Quelle: Archiv MG - BRD ALLGEMEIN - Auf dem Weg zur Weltmacht


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       Regierungserklärung '87
       

DER KANZLER VERORDNET DEM VOLK SEINE ZUKUNFT

"Die Koalition der Mitte hat von den Wählern erneuet einen klaren Regierungsauftrag erhalten. Sie wollen, daß wir die uns anver- traute Schöpfung bewahren und die Zukunft gewinnen." Von der christlichen Heuchel-Tour mit dem lieben Gott einmal ab- gesehen, hat er recht, der Herr Kanzler. Das Volk hat ihn und seine Mannschaft für weitere vier Jahre ermächtigt, auf daß es von ihnen seine Zukunft verpaßt bekomme. Bei einem derart einvernehmlich geregelten Verhältnis von Herr- schaft und Untertanen kennt das demokratische Bewußtsein daher nur eine Art der Kritik, wenn der Chef der Nation die Richtlinien für die nächsten Jahre bekanntgibt: Sie wären nicht deutlich ge- nug. Stellvertretend für die kritischen Geister der Nation kam so Oppositionsführer Vogel zu den niederschmetternden Vorwurf an die Regierungserklärung: "Die Orientierung wird nicht sichtbar" - und bot deshalb sofort eine "gute Zusammenarbeit" an. Schließlich hat es der Kanzler bei den "zentralen Themen" wahr- lich nicht an Klarheit fehlen lassen. Zum Beispiel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik ------------------------------ "Unverschuldet arbeitslos zu sein - damit darf sich unsere Ge- sellschaft niemals abfinden. Die Arbeitslosigkeit abzubauen, er- fordert langen Atem und die Bereitschaft aller Beteiligten und Betroffener zu eigenen Anstrengungen." Unser Volk ist arbeitswillig. Dafür haben wir gemeinsam mit unse- ren Kapitalisten und den Gewerkschaften gesorgt. Daß unsere Ge- schäftswelt bei ihrem Wachstum eine Menge Arbeitskräfte überzäh- lig macht, weil die anderen entsprechend mehr schaffen - damit rechnen wir, und dafür stehen wir ein. Also sollen auch die Ar- beitslosen damit rechnen und alle Anstrengungen unternehmen, einen Arbeitsplatz zu bekommen. Schließlich sind sie dank staat- licher Vorsorge auf Lohn angewiesen. Ob sie einen bekommen, ent- scheidet die Geschäftswelt. "Die Erfolge der letzten Jahre zeigen, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Die Zahl der Beschäftigten hat sich seit dem Tiefpunkt im Herbst 1983 um über 600 000 erhöht." Wir sind stolz darauf, daß es uns bei gleichbleibender Zahl von Arbeitslosen gelungen ist, 600000 Mann zusätzlich dem Zwang aus- zusetzen, sich in den Dienst des Kapitalwachstums zu stellen. Ar- mut ist noch allemal die beste Voraussetzung für Beschäftigung. Und überhaupt beschäftigt zu sein, ist das größte Glück eines Deutschen. "Der Schwerpunkt unserer offensiven Arbeitsmarktpolitik liegt bei beruflicher Qualifzierung und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Aus- und Weiterbildung sind ein Schlüssel für mehr Beschäftigung." Damit das Kapital die für seine Zwecke am besten Geeigneten fin- det, erwarten wir von unseren Werktätigen vor allem eine Qualifi- kation: Flexibilität. Das heißt Anpassung an die Leistungsbedürf- nisse der Unternehmer. Ein Arbeitsplatz ist dadurch natürlich nicht garantiert. "Wir brauchen mehr Flexibilität, gerade auch von den Tarifpart- nern. Teilzeitarbeitsplätze sind gefragt, sie müssen vermehrt an- geboten werden. Der öffentliche Dienst wird ein Beispiel geben. Langfristig wollen wir den Übergang vom Arbeitsleben in die Rente flexibler gestalten und die Möglichkeiten für eine Verlängerung der tatsächlichen Lebensarbeitszeit verbessern." Flexibilität bedeutet auch die freie Verfügbarkeit über die Ar- beitszeit seitens des Kapitals. Arbeitstag und Lebensarbeitszeit sind daher neu zu regeln, damit man je nach Bedarf länger oder kürzer, auf jeden Fall aber billiger arbeiten lassen kann. "Die Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung werden wir ins- besondere durch eine weitere Verlängerung des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitslose ausbauen." Freilich sind wir uns darüber im klaren, daß die Alten heute in der Regel verschlissen und ausgemustert sind und nicht mehr so schnell beschäftigt werden. Mit dem Arbeitslosengeld werden sie deshalb länger auskommen müssen. "Die Bürger können darauf vertrauen, daß sie im Alter als Gegen- leistung für die während ihres Arbeitslebens gezahlten Beiträge eine angemessene Rente erhalten. Die Rente ist und bleibt sicher. Die demographische Entwicklung macht eine Rentenstrukturreform unumgänglich. Renten und verfügbare Arbeitnehmereinkommen sollen sich nach unserer Vorstellung gleichgewichtig entwickeln." Die Bürger können darauf vertrauen, daß sie weiterhin für ihre letzten Lebensjahre das bekommen, was wir für angemessen halten. Wir werden deswegen auch in Zukunft die Beiträge erhöhen. Dafür bekommen dann aber die Rentner auch weniger. "Wir brauchen daher eine Generalüberholung der sozialen Kranken- versicherung mit dem Ziel erhöhter Wirtschaftlichkeit bei ver- tretbaren Beitragssätzen. Eine umfassende Strukturreform im Ge- sundheitswesen wird deshalb unverzüglich eingeleitet. Dabei ste- hen wir vor erheblichen strukturellen Problemen: Überversorgung in vielen Bereichen, aber auch Versorgungsdefizite." Es geht nämlich nicht an, daß Arbeitsunfähige und Kranke weiter wie bisher aus ihren Beiträgen versorgt werden, wenn sie doch im- mer mehr werden und Ärzte und Pharmaindustrie immer höhere Preise verlangen. Wenn die Kranken uns zu teuer werden, dann sind sie eindeutig überversorgt. Also sollen sie für weniger Dienst mehr zahlen. "Die deutschen Gewerkschaften haben Entscheidendes zum Aufbau und zur Stabilität unserer Republik geleistet. Ich appelliere heute an ihr Verantwortungsbewußtsein, denn ohne einen Grundkonsens der gesellschaftlichen Gruppen sind die Herausforderungen der Zukunft letztlich nicht zu bestehen." Wir sind sicher, uns bei all diesen Maßnahmen auch künftig auf unsere Gewerkschaften verlassen zu können. Wir wissen nämlich, daß sie jede verkündete Staatsnotwendigkeit einsehen und zufrie- den sind, wenn sie dabei mitbestimmen können. "Das Betriebsverfassungsgesetz wollen wir weiterentwickeln, um Minderheiten mehr gerecht zu werden, um leitenden Angestellten Sprecherausschüsse und Auszubildenden eine bessere Vertretung zu sichern." Deswegen können wir es uns weiter leisten, den Einfluß der Ge- werkschaften auf ein uns genehmes Maß zurechtzustutzen. Auch in der Finanzpolitik ------------- hat der Kanzler mit den Zukunftsperspektiven nicht hinterm Berg gehalten: "Mit der dringend gebotenen Verbesserung der steuerlichen Wettbe- werbsfähigkeit der deutschen Unternehmen stärken wir zugleich die Chancen für Wachstum und Arbeitsplätze. Allein durch die be- trächtliche Anhebung des Grundfreibetrags erreichen wir, daß eine halbe Million Bürger zusätzlich keine Steuern mehr zahlen. Eine vorübergehende Erhöhung der Neuverschuldung ist in Verbin- dung mit einer so anspruchsvollen Reform vertretbar. Investoren und Verbraucher können sich bei ihren Planungen und Entscheidungen weiterhin auf verläßliche und berechenbare Rahmen- bedingungen stützen." Die erfolgreiche Lohnpolitik der deutschen Unternehmen hat dazu geführt, daß wir eine halbe Million Bürger zusätzlich für steuer- lich unergiebig halten. Für eine noch bessere Wettbewerbsfähig- keit unserer deutschen Unternehmer werden wir die Staatsverschul- dung weiter erhöhen und mehr Steuern dort eintreiben, wo sie dem Wachstum nicht schaden. Investoren und Verbraucher werden daher - ihrem jeweiligen Standort entsprechend - fest mit höheren Preisen rechnen. Die einen dürfen sie veranschlagen, die anderen müssen sie zahlen. Das sichert unser Staatseinkommen. Völlig daneben war auch der Vorwurf der Grünen in der Umweltpolitik ------------- lasse es die Regierung an "konkreten Vorschlägen" fehlen: "Zu unbedenklich haben wir Güter wie reine Luft und sauberes Was- ser in Anspruch genommen. Diese Güter müssen einen Preis haben, der ihren Wert entspricht. Eine zukunftsorientierte Wirtschaft benötigt die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen... Verbot gefährlicher Treibgase in Spraydosen, Verbot des verbleiten Nor- malbenzins, Meldepflicht bei Einleitung von Schadstoffen in Ge- wässer, eine obligatorische Umweltpflichtversicherung..." Die Natur ist eine wesentliche Geschäftsgrundlage des Kapitals. Als solche werden wir sie verstärkt behandeln: Ihr Gebrauch ko- stet. Der normale Industriedreck muß gebührenpflichtig gemeldet, für den größeren müssen regelmäßig in Form von Versicherungen ein paar Mark beiseite gelegt werden. Verbote gibt's im Privatbe- reich: Deos machen alles kaputt, und Super ist viel gesünder als Normalbenzin. Wegweisendes hatte der Kanzler auch in der Außenpolitik ------------ zu vermelden: "Generalsekretär Gorbatschow spricht von 'neuem Denken' in den internationalen Beziehungen. Wir nehmen ihn beim Wort: Wenn sein Kurs Chancen birgt, zu mehr Verständigung, zu mehr Zusammenarbeit und vor allem zu konkreten Ergebnissen bei Abrüstung und Rüstungskontrolle, werden wir sie aufgreifen. Wir werden dabei weder die Realitäten aus den Augen verlieren noch Illusionen nachjagen, noch bestehende Gegensätze verwischen... Wir wollen, daß alle Deutschen eines Tages wieder durch gemein- same Freiheit in einer europäischen Friedensordnung vereint sind." Wir kennen unseren Feind. Wenn er will, daß sich zwischen uns et- was ändert, dann soll er sich ändern - und zwar so, wie wir uns das vorstellen. Solange er noch besteht, glauben wir ihm freilich sowieso nichts. Wir geben erst Frieden, wenn wir unsere Grenzen im Osten ganz frei ziehen können und alle Deutschen unserer Re- gierung dienen. * So sehen sie also aus, die Marschbefehle aus Bonn für die näch- sten Jahre. Und die sollen so "viele Fragezeichen stehen lassen" (Vogel)? Da wußte doch Volkes Stimme viel besser Bescheid: "Solide Führung in in rauher werdendend Zeiten - das ist viel wert" kommentierte die "Bild"-Zeitung die Kanzler-Rede. Wer die Zeiten rauher werden läßt, ist schließlich schon längst keine Frage mehr. zurück