Quelle: Archiv MG - BRD ALLGEMEIN - Auf dem Weg zur Weltmacht
zurück Marxistische Gruppe, Juni 1983 Argumente zum 17. JuniWER LEIDET EIGENTLICH UNTER DEUTSCHLANDS TEILUNG?
Glaubt man den feierlichen Beschwörungen der westdeutschen Poli- tiker, so geht sie "uns allen" furchtbar nahe, die "deutsche Tei- lung". Den Wandervögeln, weil ihnen der Thüringer Wald und das Riesengebirge vorenthalten werden. Unseren älteren Mitbürgern, weil sich Klassentreffen so schwer veranstalten lassen. Einigen Schlagersängern, weil sie drüben nicht singen dürfen. Den Chri- sten, weil sich ihr gläubiges Gemeindeleben nicht einheitlich für alle deutschen Brüder und Schwestern in Christo abwickeln läßt. Kurz: die G r e n z e, mit der immer die des anderen Staates gemeint ist, behindert alle erdenklichen p r i v a t e n W ü n s c h e von braven Bundesbürgern. Anderen Interessen allerdings steht die beklagte "Teilung" weni- ger im Wege. Die Leipziger Messe jedenfalls ist ein brauchbarer Umschlagplatz für Geschäfte westdeutscher Geschäftsleute, und so manche Ladung Müll wird von den zuständigen Speditionen drüben abgeladen. Der Katalog von Versandhäusern ist voll von Artikeln, die in der DDR gefertigt und hierzulande gewinnbringend an den Mann gebracht werden. Kurz: es gibt einen florierenden O s t- h a n d e l, die dazugehörigen p o l i t i s c h e n "B e- z i e h u n g e n", wobei die bundesrepublikanischen Akteure über einige Sondervorteile verfügen gegenüber ihren Konkurrenten aus der übrigen westlichen Marktwirtschaft. Freilich fehlt es auch auf diesem Feld des großen Geschäfts und der großen Politik nicht an Klagen: erstens darüber, daß man bei allem eben doch auf die Vorbehalte der anderen Seite Rücksicht nehmen muß, zweitens über das Ausbleiben von "m e n s c h l i c h e n E r l e i c h- t e r u n g e n", die einem eigentlich über alles gehen. Private Wünsche und politische Ansprüche ---------------------------------------- sollen demgemäß in der Deutschlandpolitik zusammenfallen. Dieses seltene Glück verdanken Bundesbürger nicht etwa der Tatsache, daß von Adenauer bis Kohl die jeweiligen Bundesregierungen nichts an- deres getan haben als der Wahlbevölkerung ihren Wunschzettel zu erfüllen. Vielmehr sind gleich nach dem letzten Weltkrieg die Po- litiker Westdeutschlands so frei gewesen, die privaten Ärger- nisse, die ein verlorener Krieg so nach sich zieht, nicht auf das Konto des Krieges zu schreiben. Mit der Gründung der Bundesrepu- blik stand fest, daß von den "zerrissenen Familien" bis zum lei- digen "Flüchtlingsproblem" immer nur eines zur Debatte stand: die "d e u t s c h e F r a g e"! Seitdem sind zwar nicht die "Ansprüche" der gewöhnlichen Leute im Regierungsprogramm veran- kert worden, eher schon der Kampf gegen das "Anspruchsdenken". Wo jedoch einem Westdeutschen der D D R - S t a a t in die Quere kommt, ist ihm die Sympathie seiner regierenden Mannschaft si- cher. Leute, die ansonsten nur "Opfer" für "uns alle" verordnen, werden im Umgang mit den Maßnahmen des anderen Staates zu Gegnern jeglichen Verzichts. Als berufene Anwälte der Freiheit lassen sie keinen Tag verstreichen, ohne der DDR-Regierung ein paar gesal- zene Verbrechen vorzurechnen. So gelangen die Bundesbürger zu ei- nem politischen Genuß ganz eigener Art: Als brave Mitglieder des richtigen Deutschland dürfen sie sich dauernd über die Zumutungen von H e r r s c h a f t aufregen - auswärts, nämlich drüben. Eifrige Verfechter von Berufsverboten hetzen gegen die "Mißhandlungen" von Liedermachern in der DDR; sie erkennen an, daß die Türkei mit jedem Todesurteil ein wichtigerer Partner wird, der auf dem Weg zur Demokratie ist, und registrieren bei jeder Grenzkontrolle des anderen deutschen Staates ein schreien- des Unrecht. Von jedem Demonstranten in der BRD legen sie eine Kartei an, aber drüben entdecken sie nur Geheimpolizisten und verfolgte Bürger, denen das Dagegensein unmöglich gemacht wird. Den Gastarbeitern schreiben sie vor, daß sie sich auch ohne Fami- lie zur Verfügung halten müssen, aber die DDR muß grundsätzlich sämtliche Verwandte dritten Grades zusammenführen. So sammeln sich Beweise über Beweise: Diesem Staat gehört das Handwerk gelegt. Und zwar durch den "unseren", dem man auch dabei zu Diensten sein darf... "Teilung" - was ist das? ------------------------ Ganz bestimmt k e i n e p r i v a t e Beschwerde über Unrecht und Beschränkungen, die einem selbst oder anderen angetan werden und die man für unerträglich befindet. Eher schon der sehr prin- zipielle Einwand gegen einen anderen Staat, der seinen Untertanen manches nicht erlaubt. Eigentlich aber die Übersetzung der ein- schlägigen Beobachtungen in einen Vorwand, welcher dem eigenen Staat die Freiheit zuspricht, seine Befugnisse auszudehnen. Wer "Teilung" beklagt, macht nämlich die G r e n z e n dafür ver- antwortlich, was ihm auswärts nicht paßt. Damit liegt er zwar nicht richtig, stellt sich aber ganz im Sinne von "Einigkeit und Recht und Freiheit" seiner Obrigkeit zur Verfügung. Die dankt ihm das, indem sie ihm einen F e i n d verschafft. In diesem Sinne haben schon mehrere Vaterländer an i h r e r Teilung und an der W e l t gelitten ... zurück