Quelle: Archiv MG - BRD ALLGEMEIN - Auf dem Weg zur Weltmacht
zurück WochenschauFÜNF TAGE WAR DER KANZLER KRANK - JETZT HERRSCHT ER WIEDER, GOTT SEI DANK
Was war das eigentlich für ein furchtbares Leiden, das letzte Wo- che einen gewissen Helmut Schmidt, 62, für fünf Tage aus dem Ver- kehr zog und die ganze Nation zu reger Anteilnahme mit dem Schicksal dieses Mannes veranlaßte? Ach so, der oberste Chef der BRD war da krank geworden, und schon soll man mindestens genauso besorgt sein um dessen Gesundheitszu- stand wie um den der eigenen Oma. Mit Genugtuung und Respekt be- richtete BILD von ein paar verrückten Einwohnern der Republik, die für des Kanzlers Wohlergehen in die Kirche gerannt sind, ein paar Kerzen gespendet und ein Gebet gesprochen haben, und jeden Tag mußte man ärztliche Bulletins, Dementis und Krankenbilder von Kaisers Bett über sich ergehen lassen, wo doch Personenkult ein untrügliches Zeichen für die Unmenschlichkeit eines Systems ist - jedenfalls wenn dies im Osten passiert. Kanzler Schmidt hat auch nicht einfach einen Herzschrittmacher reinoperiert bekommen, sondern ein "streichholzgroßes Kästchen lähmte die Politik in Bonn" (Tagesthemen). Nun weiß zwar jeder, daß in Bonn die ganze Woche regiert wurde wie immer (unter Gen- scher beschloß z.B. das Kabinett, die Baugenehmigung von Kern- kraftwerken nicht mehr so pingelig wie bisher mit Sicherheitsvor- schriften zu verzögern), und es regte sich auch niemand darüber auf, ohne Schmidt werde eine andere Politik gemacht, die einem nicht gefallen würde, etwa gar, weil sie einem schade. Worüber man schlicht nervös sein sollte, war der Umstand, daß der Nation die starke Hand abgeht, ohne die das Staatsschiff ins Schlingern zu geraten droht: "Helmut, du bist der Kapitän auf unserem Schiff. Werde gesund, wir brauchen dich." "Nicht schlappmachen, die Nation braucht Sie." (Genesungstelegramme aus Wipperfürth und Frankfurt, BamS). Und die Öffentlichkeit macht nicht den geringsten Hehl daraus, wofür die starke Hand des Kanzlers verlangt ist: "Die Erkrankung des Regierungschefs bedeutet unter den jetzigen Umständen eine Schwächung der internationalen Stellung der Bundesrepublik." (FAZ) Fernab von allen idealistischen Phrasen, mit denen ansonsten so gerne die Leistungen der Politiker für Deutschland und die Welt herausgestrichen werden, wird angesichts des herzkranken Kanzlers nur der eine Wunsch laut: die Durchsetzung deutscher Interessen darf durch den angegriffenen Gesundheitszustand des Regierung- schefs auf keinen Fall beeinträchtigt werden. Die Ursachen der Krankheit sind dementsprechend auch nicht orga- nischer Natur, sondern sind die Zumutungen, die für einen demo- kratischen Politiker darin bestehen, daß er Bürger hat, vor denen er seine Absichten irgendwie noch rechtfertigen und verkaufen soll. "In der Tat haben Über-Demokratisierung und eine zu große Büro- kratie im Westen verheerende Folgen... Die Gremien-Krankheit geht um. Ein neues Leitbild sollte für die Politiker aufgebaut werden: Der Mann, der den Kopf frei hat, der Zeit hat nachzudenken und zu steuern, statt auf allen möglichen Versammlungen schöne Reden zu halten. Der souveräne Mann, der nicht Akten studiert, sondern entscheidet, das sollte der ideale Politiker sein" (BamS). Da werden also Friedensfreunde, kritische SPDler, ja selbst die, die von ihrem Kanzler bloß erwarten, daß er mal ein paar "schöne" Worte für sie übrig haben sollte, also alle, die überhaupt ir- gendeinen Anspruch gegenüber ihren Politikern für angebracht hal- ten, mit dem Verdacht belegt, sie würden einen Helmut dabei be- hindern, den Interessen der deutschen Nation die gebührende Gel- tung zu verschaffen. Der hat nämlich die volle Zustimmung seiner Untertanen zu haben und muß seine Regierungsgeschäfte führen kön- nen, ohne daß ihn sein Volk in irgendeiner ankränkelnden Weise behelligen tut. Und solche politischen Qualitäten von Volk und Führer sind natürlich gerade jetzt geboten, wo doch die Nation dabei ist, ihre Interessen überall und ohne Rücksicht auf eigene und fremde Leute und Grenzen durchzusetzen. Da geht es nicht an, daß diejenigen, die das politisch zu besorgen und zu entscheiden haben, nicht kerngesund sind - sonst kommt es noch soweit, daß der jetzige Oberpolitiker dabei wieder so versagt wie unser letz- ter Führer. zurück