Quelle: Archiv MG - BRD ALLGEMEIN - Auf dem Weg zur Weltmacht
zurück Bush auf Europa-TourneeWERBEFELDZUG FÜR DIE FREIHEITLICH-SOWJETISCHE FEINDSCHAFT
Das war schon ein starkes Stück Diplomatie, das das amerikanische Präsidentengespann und die bundesdeutschen Politgrößen da vorige Woche hingezaubert haben: Vizepräsident George Bush, groß ange- kündigt als Chefpropagandist der NATO-Aufrüstungspolitik, über- bringt höchstpersönlich "den Völkern Europas" eine Friedensbot- schaft seines Chefs. An passend gewählter Stelle, in der Frontstadt Westberlin, tut er den unerschütterlichen Verhandlungswillen der US-Regierung kund: "Wir haben den Sowjets vorgeschlagen..., daß wir weiterhin keine Bemühungen scheuen werden, um ein faires und sinnvolles Abkommen zu erreichen, welches die sowjetische Bedrohung mindert." Sein Inhalt: eine ganze Atomwaffengattung, die nur für die Si- cherheitspolitik der Sowjetunion eine Rolle spielt - da eine sehr wichtige; die NATO baut bislang auf andere Vernichtungssysteme -, soll "von der Erdoberfläche verschwinden". "Null-Lösung" für so- wjetische SS-4, -5 und -20-Raketen. Um ein solches "Abkommen" mit der Sowjetunion zu schließen - so Bush, ohne vorherige Konsulta- tion der SU, vertraulich an die westeuropäische Öffentlichkeit -, würde Mr. President sich glatt auf einem "Friedensgipfel" mit Mi- ster Andropow treffen - "wo immer und wann immer es ihm recht ist". Die "Völker Europas", vertreten durch Kohl, Vogel und Kol- legen, erklären sich tief beeindruckt von Reagans ehrlichem Frie- dens- und Verhandlungswillen. Die sowjetische Regierung, (die zu- vor immerhin schon eine Teilverschrottung ihrer Mittelstreckenra- keten zugestanden hat, erklärt sich, diplomatisch, für ent- täuscht: Kein neuer Vorschlag. Ungefähr gleichzeitig gibt Präsi- dent Reagan in seiner Heimat kund: Ein neuer Vorschlag sollte das gar nicht sein; nur eine neue Einkleidung für die alte Null-For- derung. Deren Zweck: dem "Eindruck" entgegenzuwirken, die Sowjets hätten ein Zugeständnis angeboten: "Nein, offen gesagt, ich reagierte ganz einfach auf ihre Propa- gandaanstrengungen, die versuchen, unseren legitimen Vorschlag zur Abrüstung abzuwerten." (Reagan) Und "die Völker Europas", vertreten durch Politiker und Journali- sten: erklären die sich etwa voll Empörung für betrogen? Weit ge- fehlt! Wie die bestellte Kundin im Werbefernsehen, die das Mei- ster-Propper-Lied singt, beteuern ihre Führer ihren festen Glau- ben an die amerikanische Kompromißbereitschaft und ihre Enttäu- schung über die sowjetische Reaktion! Vor-Kriegserklärung statt Erpressungsgeschäft --------------------------------------------- Diplomatie, so viel weiß jeder, ist die Kunst, einem anderen Staat in höflicher Form, also wirksam und wohlberechnet, eine Er- pressung aufzumachen und ihm ein Interesse abzuhandeln. Der freie Westen hat, unter amerikanischer Führung, diese Kunst ein gutes Stück fortentwickelt. Mit der zweiten Hälfte ihres "Doppelbeschlusses", den Genfer Verhandlungen, will die NATO gar kein erpresserisches Geschäft mit dem Osten mehr machen. Sie will sich, ohne wenn und aber, die erste Hälfte ihres Doppelbeschlus- ses beschaffen: ein Atomwaffensystem in Westeuropa, mit der das sowjetische Reich sich "enthaupten" läßt - so amerikanische Stra- tegen ganz offen; um den Bruchteil eines ähnlichen Waffensystems sowjetischer Bauart auf Kuba zu verhindern, hätte Präsident Ken- nedy vor knapp 20 Jahren glatt einen Krieg riskiert! Um dieses Risiko zu vermeiden; um dem östlichen Feind ein Stillhalten abzu- handeln - und um ihm zugleich für die eigene Aufrüstung die Ver- antwortung zuzuschieben: aus keinem anderen Grund hat die NATO ihren Rüstungsbeschluß überhaupt um ein Verhandlungsangebot er- gänzt. Ein Angebot ohne jeden Inhalt: die zur Debatte gestellte "Null-Lösung" ist absichtsvoll so beschaffen, daß die Sowjetunion ihr mit Gewißheit nicht zustimmen kann. Und wenn die russischen Unterhändler die NATO-Forderung wie eine normale diplomatische Erpressung nehmen und Nachgiebigkeit zeigen, geht die westliche Seite überhaupt nicht nach normaler diplomatischer Gepflogenheit darauf ein, sondern wiederholt den alten Standpunkt als den neuen. Sie will eben auf ihr perfektes Damoklesschwert über dem politischen Haupt der Sowjetmacht auf gar keinen Fall verzichten. Sie "verhandelt" nur, e r s t e n s um mit dem Gegner in einem gewissen, risikomindernden Einvernehmen zu bleiben, b i s sie ihre Überfalls-Waffe hat, und z w e i t e n s um die gar nicht angestrebte "Verhandlungslösung" demonstrativ am Gegner scheitern zu lassen und ihn so zum Schuldigen dafür zu stempeln, d a ß man sich die neue Waffengattung zulegen "muß". Und das, da muß man sich gar nichts vormachen, i s t kein di- plomatisches Erpressungsgeschäft mehr. Parallel zum Aufbau einer perfekten "Enthauptungs"-Waffe wird da der "Beweis" geführt, daß der Gegner sie v e r d i e n t: nicht viel weniger als eine Kriegserklärung an die Sowjetunion - und moralische Beruhigung für die öffentliche Selbstgerechtigkeit des demokratischen Kriegsbündnisses. Ehrliche Doppelzüngigkeit = Epressung ohne Kompromisse ------------------------------------------------------ Die Unverfrorenheit, mit der der US-Präsident die weitgehende Nachgiebigkeit der Sowjets als bloßes Propagandamanöver zurück- weist und gleichzeitig seine Verhandlungsbotschaft "an die Völker Europas" öffentlich und mit dem besten Gewissen von der Welt als bloßes Gegenpropagandamanöver hinstellt, zeigt zwei Dinge mit größter Deutlichkeit: E r s t e n s: Die USA und ihre NATO-Partner haben nicht vor, von ihrem Programm der perfekten strategischen Einkreisung und tödlichen Bedrohung der Sowjetunion auch nur das geringste nach- zulassen. Wie fest sie zu diesem Programm stehen, das zeigen sie auch in kunstvoll und absichtsvoll arrangierten Kleinigkeiten: Es war kein Zufall, sondern eine berechnete diplomatische Feindse- ligkeit, im Besuchsprogramm des Vizepräsidenten Bush zwischen seine "Friedens"-Rede und seine erläuternde Presse-konferenz einen Besuch an der Berliner Mauer einzuschieben und die dahinter fehlende Freiheit zu bejammern, für deren Export nach Osten Pers- hing-II-Raketen gerade die richtigen Transportgeräte sind. Z w e i t e n s: Demokratische Verbündete sind durch die offen bekanntgegebene, eindeutige Doppelzüngigkeit ihres Oberhäuptlings nicht zu erschüttern. Sie spielen mit im abgekarteten Propaganda- spiel. Wider besseres Wissen bekräftigen sie den Schein amerika- nischer "Beweglichkeit" und die Schuldzuweisung an die russische Seite. Kohl und Vogel, Kanzler und Kandidat, wie aus einem Mund: "... ein großes Angebot, auf das nun Moskau antworten muß..."; die deutsche Öffentlichkeit, als wäre sie gleichgeschaltet: "Der Kreml muß jetzt Farbe bekennen!" (Peter Scholl-Latour in "Bild", 2.2.) Noch nicht einmal Beschwerden der Art, die Amerikaner würden ihre europäischen Genossen ja 'mal wieder ganz schön irritieren... Wahlkampf um das Amt des Raketenkanzlers ---------------------------------------- So einig Regierung und Opposition hierzulande sich auch in der Sache sind - M i t m a c h e n bei der westlich-freiheitlichen Feindschaftsansage an die Sowjetunion -, für den Wahlkampf eignet sie sich allemal. Die Regierung feiert "nahtlose Übereinstimmung" mit dem großen Bruder. Zwar weiß jeder, und es wird offen darüber geredet, daß Vizepräsident Bush auch deswegen eigens nach Europa und zuerst in die BRD gekommen ist, um genau diese Show abzuzie- hen und den christlich-liberalen Wahlkampf zu unterstützen. Daß durch solche Offenheit die Wirkung des Manövers beeinträchtigt werden könnte, scheint aber genauso niemand zu befürchten wie in der Hauptsache: bei dem propagandistischen Verhandlungs-Scheinan- gebot. Die SPD ist denn auch eher neidisch, daß der Glanz des Bush-Besuchs nicht auf ihren Kandidaten fällt; der drängt sich nach Kräften neben den regierenden Größen ins Bild. Aus dem durchschauten, aber trotzdem öffentlich akzeptierten Schein ame- rikanisch-westlicher "Beweglichkeit" schlagen beide Konkurrenten um das Amt des Raketenkanzlers für sich politisches Kapital: K o h l, indem er vor russischen "Scheinangeboten" warnt, wenn die Sowjetunion wirklich Angebote macht, und Vogel vorwirft, er fiele darauf herein; V o g e l, indem er den amerikanischen Scheinangeboten wohlwollende Zensuren erteilt, so zwischen zwei minus und drei, und Kohl bezichtigt, er würde die westliche Ver- handlungsbereitschaft zu wenig hervorheben. Am 6. März darf also entschieden werden zwischen einem Kanzler, der jetzt schon ö f f e n t l i c h w e i ß, daß "wegen der sowjetischen Bedrohung" noch 1983 stationiert werden muß, und ei- nem Kanzlerkandidaten, der das jetzt noch nicht öffentlich w i s s e n w i l l, weil er sich erst im Herbst zur Aufrüstung "gezwungen" sehen wird. zurück