Quelle: Archiv MG - BRD ALLGEMEIN - Auf dem Weg zur Weltmacht
zurück Der VeranstaltungskommentarDEUTSCHLAND, DEUTSCHLAND ÜBER ALLES
Unter diesem Titel, versehen mit Fragezeichen, und anläßlich des 17. Juni fand letzten Donnerstag eine vom RCDS veranstaltete Po- diumsdiskussion mit je einem Vertreter der vier Bundestagspar- teien statt. Schon das große schwarz-rot-goldene Tuch, das die gesamte Stirnwand des Hörsaals einnahm, deutete an, daß besagtes Fragezeichen die als Ausrufezeichen zu lesende rhetorische Figur war, um der geplanten Feierstunde den Anschein einer Kontroverse über eine irgendwie unentschiedene Frage zu verleihen. Wortwört- lich beantwortet war diese plumpe Vorspiegelung einer Frage dann auch schon nach dem einleitenden Beitrag des ringchristlichen Mo- derators, der im gebildet-historischen Bogen über das alte Lied der Deutschen zu der Feststellung kam, dieses Lied und mit ihm die "deutsche Frage" (schon wieder!) seien heute - 1983 und ange- sichts des 17. Juni - "aktueller denn je". Dem widersprach auf dem Podium im Verlaufe des Abends niemand. Daß die Veranstaltung von weiten Teilen der Zuhörer mit dem Absingen des Deutschland- liedes, Strophe 1, beendet wurde, veranlaßte das Podium seltsa- merweise zum gemeinsamen Bedauern über ein "S c h e i t e r n einer Diskussion". Was war geschehen? Der Abgeordnete RÜHE (CDU) stellte gleich mit seinem ersten Satz klar, wie westdeutsche Politiker ihr Eintreten für die Wiederver- einigung verstanden und gewürdigt sehen wollen: als "Auftrag" und "Vermächtnis" von allerlei zu diesem Zweck bemühten Subjekten, nie aber als den eigenen erklärten politisierten Willen. Daher wie ein Motto die Lüge "Die Bundesrepublik hat sich den 17. Juni als Staatsfeiertag nicht ausgesucht." Geradezu als aufgenötigt soll man sich also diesen Feiertag vor- stellen. Dann könne man ihn ja auch wieder fallen lassen? Das geht deshalb nicht, weil es vor 30 Jahren die Arbeiter waren, die den "Auftrag" formuliert habe, wie ihn einer wie RÜHE gehört ha- ben will und nach eigenem Bekunden immer noch hört. Und bekannt- lich sind proletarische Unmutsbekundungen, vor allem wenn sie ge- gen Normenerhöhungen sich richten, hierzulande so unumstößlich respektabel, daß demnächst in der BRD ein 360-tägiger Staatsfei- ertag gegen die Akkordarbeit eingeführt wird, abzuleisten in Überstunden, Kurzarbeit und Sonderschichten. Das nächste Subjekt der Wiedervereinigung: d i e G e s c h i c h t e. "Ein geteiltes Deutschland" sei nicht "der geschichtliche Normalfall", verkündete nun nicht mehr der Arbei- terführer, sondern der Historiker RÜHE. Woran aber bemißt sich denn, was der "geschichtliche Normalfall" ist? Vielleicht am be- wegten Schicksal Elsaß-Lothringens und Helgolands oder gar an der "Länge der gemeinsamen Grenze", wie später der SPD-Kollege ins Feld führte? Immerhin gab das Podium durch die dreiste Absurdität solcher und anderer Argumente sofort und unmittelbar zu erkennen, daß stets das als "Normalfall" gilt, was Politiker als ihr an- spruchsvolles Interesse so definieren. Die Wiedervereinigung diene d e m F r i e d e n, so dann RÜHEs Hauptparole, die von den anderen Podiumsdiskutanten nur noch un- terschiedlich variiert wurde. "Die deutsche Frage wird erst dann aufhören, ein latenter Span- nungsfall zu sein, wenn die Einheit wiederhergestellt sein wird." Als die latente Drohung, die sie ist, sollte diese Aussage aber auf keinen Fall verstanden werden, vielmehr als der unschuldige Wunsch nach Frieden als der Aufhebung jener "Spannung", die aus dem "künstlichen Charakter der Trennung" resultiere und also nur durch "Wiederherstellung der natürlichen Einheit" zu beheben sei. Wozu auch immer die Natur am Abend noch alles herhalten mußte, einigen Zuhörern im Publikum fiel jedenfalls auf, daß genannter Frieden einer war, der unter den Vorbehalt einer politischen Be- dingung (Wiedervereinigung eben) gestellt und folglich so zu ver- stehen war: Wir geben solange keinen Frieden, wie die ("das Re- gime", "die Machthaber") drüben sich nicht selber aufgeben. S o allerdings fühlte sich Herr RÜHE böswillig mißverstanden und be- tonte unter nachdrücklichem Verweis auf seinen Friedenswillen noch einmal, daß "ein geeintes Deutschland ein Modell für wirkli- che Entspannung zwischen Ost und West" sein könne. Wiederum also eine eindeutige Klarstellung über den von Politchristen (und nicht nur von denen) angepeilten Frieden: die Wiedervereinigung, also der im Grundgesetz und lange vor dem "17. Juni" beanspruchte Rechtstitel auf Ausdehnung westdeutscher Herrschaft, als "Modell" für die Infragestellung der Souveränität des gegnerischen Lagers im Weltmaßstab! Kurz: Wer den totalen Frieden will, der muß auch die "Einheit Deutschlands" wollen. So wird "Entspannung 1983" buchstabiert. Damit war zugleich dem Abgeordneten LÖFFLER (SPD) das Stichwort gegeben, auf die Erfolge der von seiner Partei verantworteten Entspannungspolitik zu verweisen, um angesichts der Offensive seines CDU-Kollegen nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, die SPD habe etwas zu verschenken gehabt. Im Gegenteil: "Wir haben einiges von dem zurückgeholt, was andere auf den Schlachtfeldern des 2. Weltkriegs verloren haben." In aller Offenheit bekannte sich dieser Herr also dazu, daß al- les, was unter dem schönen Titel "menschliche Erleichterungen" firmiert und der DDR seit 1970 "abgerungen" wurde, von westdeut- schen Politikern mit größter Selbstverständlichkeit auf der Ha- benseite erweiterter Souveränität der Rechtsnachfolgerin des un- tergegangenen Reiches verbucht wird: die BRD regiert seitdem per Verkehrs-, Handels-, Wirtschafts- und anderer Abkommen und kraft ihrer ökonomischen und NATO-Potenzen in so ziemlich alle Bereiche des feindlichen Staatswesens hinein. Im Rückblick beweist sich der ganze Stolz eines SPDlers auf die Erfolge seiner Entspan- nungspolitik darin, Mittel und Grundlage für die neudefinierten Ansprüche der christlichen Regierungsmannschaft geschaffen zu ha- ben, um in der Parteienkonkurrenz um die größte Entschlossenheit in Sachen Wiedervereinigung ja nicht zurückzustehen. Dabei hat der "Frieden absoluten Vorrang", versteht sich - aber warum füh- len sich eigentlich unsere Politiker ständig bemüßigt, d i e s zu betonen? Denn seit wann muß sich ein so durch und durch fried- liches Anliegen extra als solches ausweisen - wenn es nicht eine Kriegsdrohung ist? Der Abgeordnete RONNEBURGER (F.D.P.) machte schließlich endgültig den Übergang zu einer Publikumsbeschimpfung derjenigen, die aus den Friedensbeteuerungen seiner Vorredner herausgehört hatten, daß die propagierten politischen Ziele o h n e westliche Rake- ten n i c h t zu haben sind. Zunächst jovial-gönnerhaft und mit der unbewiesenen Behauptung, auch er sei einmal jung gewesen: "Es ist Ihr gutes Recht, in der Demokratie zu entscheiden, ob Sie den Wiedervereinigungsauftrag annehmen oder nicht." Weil er, der Politiker, aber sowieso fest entschlossen ist, die- sen selbsterteilten "Auftrag" praktisch zu vollstrecken, wurde er angesichts der Antwort "Nein!" ausfällig: "Was gibt Ihnen eigentlich das Recht, die Rechte unserer Verfas- sung so selbstverständlich in Anspruch zu nehmen, während in der DDR..." Kurzum: Wer für die verbriefte Meinungsfreiheit nicht so dankbar ist, daß er den Mund gar nicht erst aufmacht, verdient dieses Recht nicht, vielmehr verdient er es, gedeckelt zu werden. Kol- lege RÜHE assistierte: "Sie haben doch den besseren Teil des deutschen Erbes angetreten! - welche Unverschämtheit ihm gerechterweise den Zuruf einbrachte: "Die Erbschaftssteuer ist uns zu teuer!" Ein Wort noch zu Josef FISCHER (Die Grünen). Der vierte Mann auf dem Podium schaffte es, einen alternativen Nationalismus nahtlos in die Runde einzubringen. Das fing damit an, daß er seine Vor- redner mit der falschen Kritik konterte, hier werde einem "veralteten" Nationalismus das Wort geredet. Der eingangs zi- tierte RCDSler hatte nämlich mit seiner Feststellung recht, daß das "Deutschland Über alles" heute aktueller denn je ist: als das ganz eigentümliche deutsche Recht auf Aufrüstung und einen 3. Weltkrieg gegen den Osten. Fatal wurde dieser Fehler, wo FISCHER aus der angeblichen gemeinsamen Unterworfenheit der BRD und der DDR unter die "Supermachtinteressen" die Chance für einen gesamt- deutschen Nationalismus "von unten" konstruierte. Nicht nur, daß damit im Ausgangspunkt sowohl jedes eigene politische Interesse der "Satelliten" als auch jeder Unterschied zwischen BRD und DDR geleugnet wird (besonders grotesk angesichts der unzweideutig g e g e n die DDR gerichteten Wiedervereinigungsforderung aus Bonn); fatal ist dieses Programm vor alles deshalb, weil der sog. "alte Nationalismus" zum bloßen "Wiedervereinigungs p a t h o s" verharmlost wird, um an dem so in eine Brüder und Schwestern- Idylle verwandelten Einheitsgedanken positive Anknüpfungspunkte zu finden. So erklärt sich schließlich die letzte Szene auf dem Podium, als RONNEBURGER auch noch die Jenaer Friedensbewegung als einen x-ten Kronzeugen seiner Osthetze zitierte, wofür sich FI- SCHER artig bedankte, dem F.D.P.ler seine völlig Übereinstimmung versicherte und ihn aufforderte, es doch nicht bei "Lippenbekenntnissen" zu belassen. Saubere Bündnispartner haben sich da die Nationalisten "von unten" erkoren! *** Vom rechten Gebrauch der Gewalt ------------------------------- "Die Friedensbewegung der DDR warb mit dem Schlagwort 'Schwerter zu Pflugscharen'. Der Tag mag kommen, an dem die aufgrund wach- sender Unzufriedenheit über die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse die dortige Bevölkerung mobil ma- chen wird gegen das dortige Regime. Wird dies dann heißen 'Pflugscharen zu Schwertern'?" (Demokratische Blätter 2/3 1983) Mit diesem sowohl hoffnungsfrohen als auch leicht skeptischen Ausblick endet ein Artikel zum "17. Juni" im RCDS-Zentralorgan. Zwei Bemerkungen dazu: 1. Gewalt gegen das östliche "Regime" ist nicht nur das Recht, sondern die heilige Pflicht jedes DDR-Bürgers. Daß die Anteil- nahme an den Sorgen der "dortigen Bevölkerung" die blanke Heuche- lei ist, zeigt sich am hier empfohlenen bruchlosen Übergang von der Unzufriedenheit zur Mobilmachung: Bedingungslos gehört die SED weggeputzt, und Gewalt ist immer gerecht, wenn sie die Rich- tigen trifft. Die Bevölkerung der DDR darf beruhigt sein - für sie ist in der Kriegsplanung des RCDS ein Platz als Manövrier- masse in der Endlösung der 'deutschen Frage' vorgesehen. 2. Darin hat auch die DDR-Friedensbewegung schon seit längerem ihren Platz. Nur, dies das strategische Bedenken der Jungchri- sten: werden diese nützlichen Idioten rechtzeitig ihren Pazifis- mus aufgeben, der solange willkommen ist, wie jener Tag, "der kommen mag", noch aussteht - und dann zu den Waffen greifen, um sich mit der Bundeswehr zu verbrüdern? zurück