Quelle: Archiv MG - BRD ALLGEMEIN - Auf dem Weg zur Weltmacht


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       Biedenkopf in der Ringvorlesung "Christliches Europa"
       

DEUTSCHLAND - EIN NATURGESETZ

Biedenkopf steht im Ruf, ein "Vordenker" zu sein, Vordenker für die westdeutsche (CDU-)Politik. Ein Für-die-Politik-Denker also, der darüber wacht, daß die ehrenvollen politischen Vorhaben der Nation auch auf dem richtigen Weg und in der richtigen Weise re- alisiert werden. Und zu den ehrenvollen Vorhaben zählen sie alle: Ob Wiederverei- nigung oder Währungs- und Wirtschaftsunion, ob Europa oder NATO, Biedenkopf kennt da nicht nur keine Bedenklichkeiten. Er erhebt vielmehr staatliche Zwecksetzung wie auch deren Durchsetzung in den Rang des Sachgesetzlichen. Es sei wichtig, leitet er seinen Vortrag ein, "sich darüber zu verständigen, wie weit der Prozeß der Einheit beeinflußbar ist und beeinflußt werden sollte." Na- türlich weiß auch er, daß dieser "Prozeß" kein Selbstlauf ist, der erst anschließend oder daneben kontrolliert werden würde, sondern von vornherein und allein Werk von Verhandlungen und Ge- setzen ist; daß die Mauer genausowenig von alleine umfiel wie die Übersiedlung in die BRD allein eine Entscheidung der DDR-Bürger war. Er erinnert ja selbst an die "außerordentlich bedeutsame Tatsache", daß die BRD gerade deren Staatsbürgerschaft an- und so dem DDR-Staat dessen Volk aberkannt hat. Im Bild aber des Selbstlaufs soll die "Einheit" von einem Faktum hochstilisiert werden zu übergeschichtlicher Notwendigkeit - "fast natürlich" "vollzieht sie sich in allen Bereichen des Le- bens in großer Geschwindigkeit". Das politische Programm er- scheint so als die ebenso kluge wie unumstößliche Exekution großer Aufgaben. Was sowohl seine Macher ehrt als auch deren Ab- sichten ein unwidersprechliches R e c h t verleiht. In kurzen Worten: "Die Einheit ist normal". Denn wenn es ganz praktisch im- mer "normaler" wird, daß sich keiner mehr Einsprüche gegen deut- sche Politik leisten will, dann stellt sich mit dem Erfolg der Nation auch ein Bewußtsein ein, das auf die Legitimität dieses Erfolgs Wert legt. Daher nicht nur die Einheit als historisches Naturereignis; aus diesem Bedürfnis entspringt auch Biedenkopfs plötzliche Volks- nähe. Wer so fanatisch "Deutschland" brüllt, der bekommt - auch wenn er sich selber längst in der Rolle des Statisten weiß ("mal sehen, was da auf uns zukommt") - als Motor deutscher Geschichte einen Ehrenplatz in Biedenkopfs Rede und setzt dort die Übernahme jetzt auch noch ins moralische Recht. Zufrieden ist ein Vordenker aber noch lange nicht. Er zieht so seine Schlüsse aus dem neuen status quo. Etwa den: "Wir können nicht davon ausgehen, daß der Einigungsprozeß eine rein deutsche Angelegenheit ist. Mit ihm verändert sich zugleich die politische und wirtschaftliche Geographie ganz Europas... Nicht nur die deutsche Teilung, sondern auch die europäische Ord- nung wird überwunden." Auch wenn Biedenkopf einerseits gerne das Bild von einer großan- gelegten Familienzusammenführung verwendet - beschönigen will er andererseits die Wiedervereinigung nicht. Er stellt klar, daß mit der Einheit sich für den ganzen Rest der Welt, mindestens jedoch für ganz Europa, einiges und Grundlegendes "verändert". Verände- rungen der mehr ungemütlichen Sorte; denn Biedenkopf geht davon aus, daß mit wie auch im Gefolge der Einheit die sogenannten letzten Fragen auf dem Tisch liegen. Wo es in Sachen K r i e g und F r i e d e n viel zu regeln gibt bzw. alles neu geregelt sein will, da scheinen nicht alle beteiligten Staaten in der neu geschaffenen Lage ihren Vorteil zu sehen: "Deshalb bemüht man sich... um eine neue Definition der Aufgabe dieses Bündnisses. Als wesentliche Aufgabe stellt sich heraus die Anbindung der Vereinigten Staaten an Europa... und die Entwick- lung einer politischen Friedenssicherungsstruktur, die neben den politischen Strukturen der europäischen Gemeinschaft zur Frie- denssicherung beiträgt und geeignet ist, Eingang zu finden im Helsinki-Prozeß." Mögen "Europa" und "Helsinki" vielleicht auch irgendwelche mora- lisch einwandfreie Vorstellungen transportieren - Biedenkopf kennt den harten Kern dieser Wörter, die Politik und die Ökono- mie. So sicher ist er sich bezüglich des Erfolgs, den Deutschland mit und in dieser "Wertegemeinschaft" Europa einfährt, daß er großspurig-großzügig die USA als assoziiertes Mitglied anglie- dert. Sowie des weiteren - gewissermaßen im Vorbeigehen - "auf dem Weg zur deutschen Einheit (ein) Problem mitlöst"; das "Problem" nämlich der "nachhaltigen" und vollständigen Neu-Orga- nisation der sowjetischen Ökonomie... So viel Zufriedenheit mit den nationalen Erfolgen eint ihn mit seinem Parteivorsitzenden. Und unterscheidet ihn zugleich vom Kanzler. Während Letzterer beim Zusammentreffen mit seinen "ostdeutschen Brüdern" stets nur formvollendete Arroganz an den Tag legt, verhält sich Biedenkopf viel höflicher und auch viel anerkennender gegenüber der DDR. "Es wird ein neuer Staat entste- hen, keine erweiterte Bundesrepublik", mahnt er an. Doch an was denkt er dabei? An Korrekturen der westdeutschen Politik jeden- falls nicht, und an einen größeren Einfluß der ostdeutschen damit auch nicht. Fauler Zauber aber noch lange nicht. Sondern: die Aufforderung zur Bewußtseinserweiterung. Dem neuen Deutschland eignet ein neues Nationalbewußtsein; wir sind nicht mehr "nur" BRD und nicht mehr "politischer Zwerg". Wer "in Europa und der Welt" mitmischt und wer Abhängigkeiten sol- cherart einrichtet, daß es wirklich nicht mehr lächerlich wirkt, die eigenen Absichten als "Anforderungen" zu verkaufen - der soll eben, laut Biedenkopf, in puncto Bewußsein keine falsche Bescheidenheit an den Tag legen: "Wir können uns als Deutsche nicht länger politischen Anforderun- gen in Europa und der Welt mit dem Argument entziehen, wir seien für eine solche Verantwortung als Provisorium nicht geeignet" Dafür ist er nämlich gut, der Vordenker: auf einen gewissen Gleichschritt zu achten zwischen dem politischen Fortschritt und dem geistig-moralischen Zustand, dafür, entstehende Ungleichzei- tigkeiten zu bemerken, kritisch als Defizit auf Seiten des Gei- stes festzuhalten und ihnen hinterherzudenken. zurück