Quelle: Archiv MG - BRD ALLGEMEIN - Auf dem Weg zur Weltmacht


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       Von der Regierungskrise zum Regierungswechsel
       

DEMOKRATISCHE HÖHEPUNKTE DER II. REPUBLIK

In Bonn, heißt es, war Regierungskrise; man sagt sogar, sie halte noch an. Zwar ist die Krise der alten Koalition durch das Zustan- dekommen der neuen Regierungskoalition beendet, aber Kohl und Genscher werden es nicht leicht haben, in dieser Zeit Politik zu machen, hört man: Übernehmen sie doch die schwere Last des "Schuldenerbes" der sozialliberalen Koalition und müssen mit ei- ner "Pleitenwirtschaft" und mehr als zwei Millionen Arbeitslosen fertig werden; ihre Außenpolitik hat schwer daran zu tragen, daß die internationalen Beziehungen gefährlichen Belastungen ausge- setzt sind; auch das gewohnte Parteiensystem scheint aus den Fu- gen zu geraten... In Wahrheit sind das alles lauter Lügen. Wurde oder wird in Bonn etwa nicht mehr oder kaum noch regiert, weil die Wirtschaft pleite ist und der Staat seinen Bankrott er- klären muß, so daß er mittellos und regierungsunfähig ist? Nein, die Regierung erhöht sogar noch ihre Ausgaben. Gefährden die zwei Millionen Arbeitslose die öffentliche Sicherheit, bricht die Ge- werkschaft den sozialen Frieden und droht ein Volksaufstand, so daß in Bonn keine Macht mehr ausgeübt werden kann? Nein, die Re- gierung ist so frei, den Arbeitslosen noch mehr Geld zu nehmen und der DGB lehnt einen politischen Streik kategorisch ab. Droht der Staatsnotstand, weil eine bekannte fremde Übermacht mit ihren kriegerischen Tatzen nach der BRD greift? Nein, es ist gerade an- dersherum: Die BRD rüstet im Rahmen der NATO gewaltig auf, zwingt schon jetzt den Osten zu einer Kapitulation nach der anderen und schreitet zügig voran in der Vorbereitung eines gewinnbaren Kriegs. Von Regierungs-, gar Staatskrise nicht die Spur! Nicht "regierungsunfähig" war die alte Regierung - ein "Machtvakuum" ward nicht gesehen -, sondern andere wollten die Macht überneh- men. Lauter Lügen! Und doch ist die Rede von der "Politik in der Krise" ein Versprechen, das es in sich hat, eine Propaganda, die nicht umsonst von oben angezettelt wird. Ein Staat ist so exklu- siv, aus der absoluten Negativität: Krise, nichts geht mehr! ein positives Mittel machen zu können. Wenn die Regierung in der Krise sein soll, folgt daraus, daß wieder ordentlich, besser, mit fester Hand regiert werden soll. Wenn Regierungsunfähigkeit das Problem sein soll, dann müssen fähige Führer her, die sich als absolut regierungsfähig erweisen. Die Rede, die aus dem Verlauf der Parteienkonkurrenz eine Krise der Staatsführung macht, die Offensive des Westens gegen den Osten in ein schwer zu lösendes Dilemma umlügt, die vom Staat abgesicherte Volkswirtschaft in eine Herausforderung schwerer Zeiten verwandelt, diese Staatspro- paganda tritt mit dem gar nicht ideologischen Anspruch nach abso- luter Führung und Durchführung der Staatsnotwendigkeiten auf, in- nen wie außen. Unbehindert durch irgendwelche Ansprüche des Volks, unbehindert selbst durch die wankelmütige Stimme des Wäh- lers soll Politik gemacht werden. Weil die Politik in einer Krise sein soll, will der Staat für sich die Freiheit, daß alles und noch mehr, als man sich so denkt, ihm erlaubt sein muß. Das ist nicht nur Freiheit; nur so hat man sie nach offizieller Auskunft heute auch zu denken : Sie ist die souveräne Antwort des Staats auf angebliche Herausforderungen, die er selbst ins Werk gesetzt hat. Die wirklichen Folgen der Botschaft von der Krise sind schon längst im Gange. "Alle Macht geht vom Volke aus." Das deutsche Volk, die Arbeiter und Angestellten, Unternehmer und Friseure, Rentner und Kranke, Junge und Alte, Frauen und Männer, haben nicht beschlossen, daß im Herbst 1982 unbedingt die Regierung gewechselt werden muß, und diese Weisung zum sofortigen Vollzug nach Bonn geschickt, weil sonst nichts mehr läuft. Sie haben nichts davon mitbekommen, daß in Bonn nicht mehr regiert werde, vielmehr an ihren jeweiligen Lebens- oder Geschäftssorgen gespürt, daß weiter ganz schön re- giert wird. Die "historische Stunde", als Helmut Schmidt seinen Auftritt hatte und die sozialliberale Koalition auflöste, die "Stunde der Demokratie", als Helmut Kohl zum Kanzler gekürt wurde, das waren Hochzeiten der Politik, auf denen die Herrschaf- ten in Bonn ihre Regierungspartner wechselten, mehr nicht. Das Volk wurde viel zitiert, aber einem Bedürfnis nach besseren Zei- ten, einer Kritik an den unangenehmen Wirkungen der Politik ent- sprang der Wechsel nicht. Die Politiker waren unter sich und kon- kurrierten um die Macht, deren Kontinuität nie in Frage stand. Die Politik gestaltet ihren Wechsel ----------------------------------- Die Folgen der Politik für die Leute sind nicht das Argument der wechselseitigen Vorwürfe zwischen den um die Macht Streitenden. Dann wäre ja das Regieren und der Wechsel der Verantwortlichen von der Betroffenheit der Leute abhängig. Das wäre ja - ja was eigentlich? - keine Demokratie mehr, sondern Volksherrschaft. Nicht weil es so viel Arbeitslose gibt, muß die Regierung fallen, sondern weil sie von allen in ein gesellschaftliches Problem ver- wandelt und vom politischen Konkurrenten zum Beweis mangelnden Wirtschaftswachstums und dies wiederum zum Beweis der Regierungs- unfähigkeit erklärt wurde. Weshalb sich auch niemand wundert, daß die jetzt wieder regierungsfähige neue Mannschaft sogleich ver- kündet, daß im nächsten Jahr mit 2,5 Millionen Arbeitslosen zu rechnen sei. Nicht daß die Sozialliberalen die Bürger mit Sparbe- schlüssen gedeckelt haben, wird ihnen vorgeworfen, sondern daß sie es "halbherzig" und nicht konsequent zielstrebig getan hät- ten. Die neue Regierung verspricht Standfestigkeit ohne Rücksicht auf ungezogene Wünsche, so als hätten die Sozialdemokraten die Bürger mit "Geschenken" verweichlicht. Aber unter Politikern gilt eben ein angebliches Geschenk als Zeichen von Abhängigkeit und Schwäche. Die alten Macher haben den Staat hoffnungslos in rote Zahlen gewirtschaftet, das hat sie per se abqualifiziert. Die Neuen wollen den "Karren aus dem Dreck" ziehen und können das auch, weil sie ja "den neuen Anfang wählen" - sie erhöhen die Neuverschuldung in größerem Maße als im ehemaligen Haushalt '83 vorgesehen. Dem sozialdemokratischen Vorwurf, die Neuen würden "ungerechte Opfer" verlangen (Opfer sind nicht der Streitpunkt), kontert die CDV nicht mit 'Nein', sondern mit der Retourkutsche, daß der Gerechtigkeitswahn (wo bitte?) der Sozis nur falsche An- sprüche geweckt habe. Alle hätten sich auf den Staat verlassen, wie auf einen Selbstbedienungsladen: "Wir wollen keine Ellenbogengesellschaft, aber wir wollen eine Gesellschaft, in der die Menschen wieder den Mut bekommen, die Ärmel hochzukrempeln. Das ist immer noch besser, als wenn sie die Hände in den Schoß legten und auf den Staat warteten oder aber die Fäuste gegen den Staat ballten." (Geißler) Verschwiegen wird nichts von den Taten der Politik; verschwiegen wird auch nicht, wie die Leute gedeckelt werden und noch gedec- kelt werden sollen. Was sein muß, muß sein; da herrscht Einig- keit. Es fällt der SPD nicht ein, die von ihr ins Werk gesetzte kontinuierliche Verarmung der Lohnabhängigen zu bedauern. Viel besser taugt da die Feststellung, daß die neue Regierung genau dasselbe weitermache wie sie, daß der ganze "Neuanfang" eine Lüge sei und von einem Kohl sowieso nichts zu erwarten sei. Weil die Richtlinien der Politik und deren Folgen für die Betroffenen nicht zur Debatte stehen, sondern selbstverständlich unterstellt sind; weil niemand mit einem aufmüpfigen Volk rechnet, sondern sich alle seiner Loyalität sicher sind, wird alles, was man tut oder vorhat in Bonn, nach Maßstäben des Gelingens der Herrschaft interpretiert, was man selbst immer besser zustandebringt als die konkurrierende Partei. Diese Selbstdarstellung der so streitbaren Politiker soll die Menschen in den Dörfern und Städten so anspre- chen, daß sie die Politiker und Parteien, getrennt von der wirk- lichen Politik, die aus Gesetzen und ihrer gewaltsamen Durchset- zung besteht, eben nach der Kunst dieser Selbstdarstellung beur- teilen, und daß der Bürger die Argumente der Konkurrenz um die Macht abwägt und nicht den Inhalt der Herrschaft beurteilt. Der demokratische Zynismus, der da gepflogen wird, kann einem Unter- tan, der die Politik und ihre Zwecke und Absichten nach seinem Interesse beurteilt, nicht gebrauchen. So einer erscheint sofort der Systemgegnerschaft verdächtig. Die eigene "Vertrauenswürdig- keit" mit mehr oder weniger Erfolg vorstellen zu können, das verlangt vom Adressaten, daß er sowieso mitmachen will, die Prinzipien der Politik akzeptiert und dann noch die Politiker danach beurteilt, ob ihre bodenlosen Vertrauensbeweise - von der gekonnten Lüge bis zur ehrlich klingenden Visage - eine Stimme wert sind. Nur in der Politik verfängt dieses Szenarium, weil es Leute mit Gewalt bewerkstelligen solange die Loyalität des Volks zum Staat sicher ist. Kein Mensch könnte bei einem anderen um Vertrauen werben, indem er 7 x betont, er besitze doch dessen Vertrauen. Kein normaler Zeitgenosse würde glaubwürdig dadurch, daß er geschickter lügt als ein anderer. Und wer würde das sonst als gutes Argument bezeichnen, wenn ihm jemand frank und frei und ungeschminkt erklärt, daß er ihm eine aufs Haupt haut. Politiker aber machen Punkte mit "unpopulären" Maßnahmen, die sie "nicht verschweigen". Auf Lüge und Wahrheit kommt es so nicht an, höchstens wie man mit der einen oder anderen Variante bessere mo- ralische - ausgerechnet - Integrität verstrahlt. Mischnik soll weniger verräterisch wirken als Genscher - weil der längere Ohren oder nicht so ehrlich geweint hat? Schmidt ist mutig und sowieso clever, weil er die FDP rausgeworfen und einen Schritt nach vorn getan hat. Seitdem ist klar, wo der Verräter sitzt, während Lambsdorff betont, daß Schmidt den Verrat begangen habe. Warum klingt was unglaubwürdiger? Höhepunkt der von allen gewußten und durchschauten taktischen Stecherei: sich wechselseitig "bloße Taktik" vorzuwerfen, oder "bloßes Machtstreben", wo es doch bei- den um den Machterhalt oder Machtwechsel geht. Dem anderen mehr, weil er so hastig auf den Wechsel zuarbeitet. Sonst im Leben lau- ter gute Gründe, denjenigen, der sich so aufführt, vor die Tür zu setzen. In Bonn werden damit Wählerstimmen gewonnen. Des Wählers mächtige Stimme --------------------------- Um den Wähler geht es schon, aber eben nur um den Wähler. Mit dem Versprechen, den Staat in Zukunft mit starker Hand zu führen, mit Lügen von der eigenen Ehrlichkeit und Sauberkeit (in der Poli- tik), mit geheucheltem Weitblick, Durchblick, Offenherzigkeit, auch Sinn fürs Gefühl; mit blöden Verrenkungen, die Zielstrebig- keit ausdrücken sollen, und ernsten Blicken, die nichts leicht nehmen; mit der Person plus Frau und Kind, die je nach Aussehen, Gewicht und Zahl sicher irgendetwas besonders Gutes darstellen... mit all diesen Mitteln der Darstellungskunst eines Politikers soll der Wähler, wenn es denn sein muß oder sein soll; sich für den Mann der eigenen Partei entscheiden. Wobei es unerheblich ist, ob er die taktischen Kunststücke der Herren durchschaut. Glaubwürdiger ist da immer noch der eine als der andere. für das Stimmvieh sind die Dummheiten, Gemeinheiten, die arroganten Manö- ver der Mächtigen, die Führerqualitäten, die dem Volk nicht nach dem Mund reden und trotzdem volkstümlich sind, gut genug. Und mehr als Stimmvieh ist der liebe Wähler "draußen im Lande" nicht. Ansprüche stellen, das darf er nicht - hat er zwar nicht gemacht, aber darf er jetzt erst recht nicht. Die Schnauze aufreißen und die Beschlüsse der Politik in Zweifel ziehen, das ist verdächtig, wo doch von Schmidt über Genscher bis Kohl und Strauß alle versi- chern, daß Wohlstand heute nur durch Volkes Armut zu sichern ist. Die Grünen wählen darf er auch nicht, weil das zu "Unregierbarkeit" führt. Aber die Sozis oder die C-Gruppen oder den Genscher ermächtigen, daß die dann in seinem Namen ganz frei und ungezwungen und ohne sich um die Belange der Massen zu küm- mern regieren, wie sie es für notwendig halten, das darf er schon, er soll es sogar. Gibt es doch nichts Schöneres als eine Staatsführung, die schwarz auf weiß und nachgezählt legitimiert ist für die Sauereien, die sie dem Volk aufbrummt. Illusionen über das demokratische Ehrenamt des Wählers (die Diäten dafür sind ja bekanntlich nicht besonders hoch) sind da kaum noch vorhanden. Die politischen Wahlzugpferde sind sich so sicher, daß sie diese schon selbst zerstören. Die einen wollen Neuwahlen sofort, weil sie nach dem zündenden Abgang Helmut Schmidts ihre Chance wittern; die anderen wollen den Regierungs- bonus erst noch länger wirken lassen; wieder andere sehen nicht ein, ewig auf die FDP angewiesen zu sein und überhaupt ist eh un- sicher, ob man Neuwahlen am 6. März will. Der souveräne Volks- wille darf entscheiden, wann es den Parteien paßt, ihrer Spekula- tion genehm ist. Aber wenn er dann seine Stimme abgegeben hat, heißt das doch nicht, daß die Regierung, die er wollte, auch für vier Jahre im Amt bleibt. Von den augenblicklichen Stimmungen des Pöbels macht sich eine demokratische Führung nicht abhängig. Des- halb besitzt das Volk seine Stimme, der verantwortliche Politiker aber sein Gewissen, was natürlich nicht auf eine Ebene zu nivel- lieren ist, zumal es die Verfassung und Heiner Geißler, der in der Literatur belesene, auch sagen: "Wir, die Abgeordneten des Deutschen Bundestags - das ist schon zitiert worden -, sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur unserem Gewissen verantwortlich." Und er fügt hinzu, um die geltende Sicht der Manövriermasse Wäh- ler zu unterstreichen: "Wir stimmen überein, daß die Frage der Neuwahlen zu einem wich- tigen Punkt der Glaubwürdigkeit der politischen Parteien geworden ist." Gut gesagt hat das der Geißler. Noch glaubwürdiger wird er da- durch, daß er für den späteren Wahl in zwei schlagende Argumente anführt. Ohne C-Regierung würden weiter Unternehmen pleite gehen und weiter Arbeiter arbeitslos werden. Diese unselige Tendenz ist jetzt Gottseidank gebremst worden. Die Hessen sind reif für die Demokratie --------------------------------------- "Die Hessen sind helle Köpfe", meint Willy Brandt - nachher. Trotzdem, auch sie sind nur ihrem Gewissen verantwortlich, obwohl das nicht ausdrücklich im Grundgesetz steht. Diesen hohen Wert lassen sie sich nicht nehmen, so daß Herbert Wehner ob dieser verantwortungsvollen Haltung der Hessen es sich nicht nehmen läßt, gerade diesem Völkchen ein extra Lob auszusprechen: "In welchem Maß müssen sich die hessischen Wählerinnen und Wähler jetzt verschaukelt vorkommen, die am vergangenen Sonntag alles ihnen Mögliche aufgebracht haben - nämlich ihre Stimme -, um den Kohl-Genscher-Pakt doch noch zu verhindern." Sollte man nicht Onkel Herbert für diese ehrliche Auskunft dan- ken, wie er in dieser Kürze die Macht des Wählers definiert? Aber Herbert Wehner liegt nur deshalb richtig, weil ihm gerade dieses Wählervotum in den Kram paßt. Was ist, wenn dem nicht so ist? Hier zeigt sich, daß selbst die mickrige Abhängigkeit der Politi- ker vom Wählervolk, daß sie des Volkes Stimme erst verarschen müssen und nachher nachzuzählen haben, eine Last ist, die letzt- lich im Widerspruch steht zu einer politischen Führung, die nur ihrer Vorsehung des Gewissens verpflichtet ist. Man denke nur an die Unsicherheit, daß der bearbeitete Mensch aus Hessen als Wäh- ler vielleicht überfordert ist! Alles ist so gut vorbereitet ge- wesen: Holger Börner hat seine Latte nicht für die Rettung der Familie einsetzen wollen, sondern gegen die Startbahngegner, macht minus, +10% für die Grünen. Alfred Dregger gibt sich selig, weil Börner keine Chance hat und er selbst, ohne die Unterstüt- zung der eh verbotenen Hitlerjugend benutzen zu müssen, auf die Wirkung seines begnadeten Führervolks setzen kann. Die FDP merkt das alles und hängt sich dran. Das Ergebnis bestätigt, daß Demo- kratie doch nur eine relativ gute Staatsform ist. Der Gries von der FDP, dem man seinen liberalen Standpunkt ohne weiteres an- sieht, ist so erbost über sein Wahlergebnis, daß er gewohnte Höf- lichkeitsformen - "Wir haben es nicht vermocht, uns dem Wähler verständlich zu machen." - fallen läßt und ausgerechnet die Hes- sen der Blödheit bezichtigt: "Der Wähler war überfordert. Er hat nicht so schnell verstanden, was wir wollten." Alfred Dregger, der kontinuierliche Aufsteigestern im Hessenland, ist so ehrlich, Helmut Schmidt die gelungene Verführung von Wählern, die er schon auf sich gebucht hat, zuzugestehen. Also "pfeift" er auf seine Hessen und richtet seine blauen Augen nach Bonn. Weil das Ver- trauen der Menschen im Lande, mit dem Politiker nur so um sich werfen, weil das Wählervotum für einen nur seinem Gewissen ver- pflichteten Staatsmann auch die unangenehme Seite hat - wie schon Stalin sagte -, daß die blöden Stimmen für einen nicht immer auf- gehen, steckt in unseren verantwortlichen Demokraten schon ein heimlicher Stalinist. Aber das läßt sich auch demokratisch re- geln: Man interpretiert die Wahlergebnisse je nach Bedarf; man beschließt die bundespolitische oder nur regionale Bedeutung; man fordert Neuwahlen sofort oder nicht. Als wenn die Durchsetzung im Kampf um die Macht von den Hessen abhinge. Die Wende war notwen- dig, die Hessen haben sie nicht kapiert oder sind auf die "ins Menschliche gehende" (Mischnik) Verratskampagne der SPD hereinge- fallen. Fertig ist das Lob des souveränen Volks. Die FDP bleibt liberal ---------------------- Wenn H.D. Genscher die Notwendigkeit des Wechsels mit der Notwen- digkeit der raschen Bildung einer handlungsfähigen Regierung zur schnellen Lösung der anstehenden und überfälligen schwierigen Sachfragen begründet, so weiß jeder, wie das gemeint ist. Denn grundsätzlich Anderes als vorher tut die FDP nach ihrer Wende nicht. Wenn Mischnik fast mit Tränen in den Augen die Verfassung beschwört, in der Neuwahlen nur als allerletzter Ausweg vorgese- hen seien, dann liegt der Sinn und Zweck auch hier klar auf der Hand. Was selbstverständlich von den Konkurrenten um die Macht mit dem moralischen Vorwurf "Verrat" ausgeschlachtet wird, ist seinem Inhalt nach d i e liberale Politik der FDP. Das weiß auch die liberale Schuchard, wenn sie gegen Genscher darauf be- steht: "Nur Wort halten schafft wieder Glaubwürdigkeit in der Po- litik." Sie fürchtet nämlich, daß dieser Wechsel tödlich für die FDP sein könnte. Warum? Eben, weil die Partei zwischen 5 und 10% allein in der Regierungsbeteiligung und damit auch immer wieder nur mit einem sogenannten "Verrat" bestehen kann. Der gute Misch- nik, gut, weil er sich die Wenden so schwer macht, hat uns dieses Programm seiner Partei erst jüngst wieder in einem Satz erklärt: "Ich halte den Wechsel für notwendig zum Erreichen einer regie- rungsfähigen Mehrheit, um die Politik zu verwicklichen, die ich für notwendig halte." Das "liberale Element" der FDP hat keinen Inhalt, sondern nur den Zweck, den großen Parteien die fehlenden Sitze zu bieten, um so immer an der Macht beteiligt zu sein, von welcher Warte aus die FDP dann damit werben kann, sie habe in der Koalition selbstän- dige (ungefähr liberale) Positionen durchgesetzt. Deshalb auch die saudumme, aber dieser Parteilinie entsprechende Wahlparole, der "Übermacht" der großen Parteien Grenzen zu setzen oder eine absolute Mehrheit von SPD oder CDU zu verhindern, deren Politik und Macht man dann mit der einen oder anderen verhinderten Über- macht in einer Koalition teilt. Die FDP wirbt tatsächlich mit dem demokratischen Abstraktum, daß Alleinherrschaft eine schlechte demokratische Herrschaft sei - "Damit behält unsere Forderung nach Machtbegrenzung höchste Aktualität" (Wahlanzeige in Bayern) -, um dann bei für sie günstigem Ausgang zu einer souveränen handlungsfähigen Regierung zusammenzukommen, die allein das Sagen hat. Insofern ist sich diese genuine "Verrats" Partei immer und selbstverständlich treu geblieben. Sie hat ihre "Freiburger The- sen" vollgeschrieben, um ihren Schwenk zur SPD zu untermauern. Sie hat die "Wende" begründet mit der Lüge des Sachzwangs der "schweren Zeiten", angezettelt, um wegen des schwindenden Erfolgs der SPD den konservativen Partner zu suchen, den sie auch gefun- den hat. Man muß sich das einfach mal vorstellen, da werden Leute mit dem Argument zur Wahlurne gelockt, daß es unbedingt eine "dritte Kraft" geben müsse - in der Sicherheit, daß das an der Politik und ihren Folgen für den Bürger nichts ändert -; da wird nicht nur mit der bodenlosen Parole: 3 sind besser als zwei oder eins (es handelt sich um die Herrschaft, wohlgemerkt), sondern auch mit der Lüge, ohne die FDP gäbe es keine regierungsfähige Regierung, geworben. Mit einer Scheinalternative möchte die FDP eine weiter gewählte Partei sein, denn an Aufrüstung und Sparbe- schlüssen will sie ja nur weiter in der Regierung beteiligt sein. Ist es nicht ziemlich bescheuert, das Dreiparteiensystem für bes- ser zu halten als ein anderes Verfahren demokratischer Herr- schaft? So hat diese FDP Bestand nur über den Idealismus, daß De- mokratie dem Willen des Volks A l t e r n a t i v e n zur Aus- wahl bieten würde - regiert zu werden, und daß die Regierung ihr Staatsgeschäft ganz unparteilich erledigen werde, wenn noch eine Partei beteiligt ist - an der Durchsetzung der parteilichen Staatsansprüche. Genscher wegen dieser seiner liberalen Grundüberzeugung zum ewig schon erkannten unglaubwürdigen Wackelpeter zu erklären, dessen Taktik mit seinen Ohren zusammenfällt, ist deshalb sehr unge- recht. Der ist sich genauso wenig oder viel treu geblieben, wie Schmidt, Kohl und Strauß auch. Wenn jetzt alle Sozialdemokraten und CSUler in Genscher eine immer schon bloß taktische Sau erken- nen, der man es am Gesicht ansieht, so geschieht das aus Berech- nung auf den Untergang des "liberalen Elements". Und tatsächlich unterliegt der demokratische Idealismus der dritten Alternative, auf den die FDP allein setzt, gegenwärtig einem anderen Ideal, welches ganz logisch die andere Seite demokratischer Herrschaft betont. Wenn angeblich viele (also 3) Richtungen das beste Regie- ren gewährleisten, dann kommt - zumal in den verkündeten "schweren Zeiten" - das Ideal von der einen und unbehinderten und begnadeten politischen Führung, die ihr Amt nicht mehr nach Maß- gabe der Parteienkonkurrenz relativieren muß, ganz von selbst auf. H.D. Genscher wird zum ruchlosen Verräter - obwohl er nur den bekannten liberalen Wechsel organisiert hat -, weil Helmut Schmidt, jenseits aller Parteienkontroverse, ja gerade gegen die polit-egoistischen Abgründe dem Ideal entspricht, das man von oben in die Welt gesetzt hat: Retter der Nation in schweren Zei- ten. An diesem rein staatlichen Kriterium gemessen ist deshalb glaubwürdiger ein Helmut Schmidt, der die Kritik der eigenen Par- tei für nebensächlich erklärt und um seiner "Selbstachtung" wil- len den Koalitionspartner rauswirft. Der Wechselmann der Macht wird von dem für die Herrschaft sowieso bestimmten Macher Schmidt zum Verräter gemacht und ist es dann auch sofort. Deshalb hatte der einfache Trick Helmut Schmidts, die liberalen demonstrativ rauszuwerfen, diese Wirkung. Natürlich nur, weil alle Bürger, von Lieschen Müller bis Hans Heigert diesen souveränen Akt in unter- täniger Huldigung goutierten. Politische Führer sind immer begnadet ------------------------------------- Es ist ein Gerücht, daß es in unserer besten deutschen Republik keinen Personenkult (mehr) gebe. Diejenigen, die vom Standpunkt gelungener Ordnung aus wochenlang die öffentliche Meinung mit der Ideologie, in Bonn werde nicht mehr regiert, belieferten und den Wechsel zu wiederhergestellter Regierungsfähigkeit für ein not- wendiges Gesetz der Stunde ausgaben, erschauerten in ihrer Funk- tion als Meinungsdiener des Hofs nicht nur vor der "historischen Stunde" des S t a a t s (wessen auch sonst), als die sozialli- berale "Ära" beendet wird: "In dieser Stunde hört man den Mantel der Geschichte wehen." (Nowottny) Man sollte die Zeitansage "in dieser Stunde" aus dem deutschen Sprachschatz streichen! Man hul- digt auch dem Kanzler Helmut Schmidt als Inbegriff des begnadeten Führers, seiner tragischen Größe noch im Abgang, der Würde und dem Mut, einen geschickten taktischen Schachzug zu landen - demo- kratischer Führerkult, nicht nur auf Fackelzügen. "Die Zeit für den Wechsel ist gekommen. ... Das einzige, was mit Sicherheit feststeht, ist, daß es lange, lange dauern wird, ehe wieder ein politisch so begabter, intellektuell so überragender Chef im Bundeskanzleramt sitzen wird." (Die Zeit) Von links bis rechts und in den Reihen der Individualisten kol- lektiver westdeutscher Staatskunst kommt Trauer auf über das Ende des Kanzlers an der Macht: "Der Lotse verläßt das Schiff." Wo die Herrschaft in der Gestalt des Charakters ihres leitenden Ange- stellten angebetet wird, fragt man nicht mehr nach Arbeitslosig- keit und Armut, nach den Folgen der Taten des Souverän, dem man applaudiert. Jede erfundene oder wirkliche Mache des ersten Füh- rers steht für das Ansehen der Nation. Weil Helmut Schmidt eine Politik verkörpert, die ziemlich lange erfolgreich die Leute ge- deckelt hat und erfolgreich Deutschland Ansehen in der Welt ver- schafft hat, kann man sich keinen besseren Kanzler denken. Des Altbundeskanzlers Qualitäten, so als seien sie der Grund für den Erfolg der deutschen Nation, sollen von einem Kohl, von einem Genscher erst recht nicht zu bieten sein. Gestern noch galt Gen- scher als gewiefter Taktiker, der sich auf dem Felde der Außenpo- litik großes Ansehen verschafft hat, jetzt ist seine Taktik Ver- rat bis in die Hängebacken hinein. Kohl ist und war schon immer eine "Birne", aus der Tag für Tag "die Menschen in unserem Lande" heraustropfen. Eine saubere Kritik, die die Hochachtung vor der Herrschaft in ihren Figuren nicht gut genug verkörpert sieht. Schmidt-Schnauze ist wohl besser, wie? Und wenn schon Schmidt eine arrogante Figur ist, die rhetorisch besser zieht, Genscher ein blasser Brocken im Amt, Kohl der erste Mann im Sprücheklop- fen, was macht das schon aus? In der besten deutschen Demokratie und in diesen schweren Zeiten kommt das Ideal der unbehelligten Führung, bis in die Person hin- ein, auf. Das kann man an dieser peinlichen Herrscherschau mer- ken. Und wer überhaupt noch an die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte glaubt, der könnte an Helmut Kohl, dem Kanzler, feststellen, daß, je mehr die starke Hand an der Spitze des Staats gefordert wird, es desto weniger von der Könnerschaft und den Qualitäten des Mannes abhängt, der sie zu gebrauchen ver- spricht, sondern umgekehrt mit dem höchsten Amt sich dann auch automatisch die schätzenswerten Fähigkeiten einstellen, deretwe- gen ein Mann das Amt bekommen haben soll. Neue Freiheiten der Macht ------------------------- Wer die "geistige und moralische Erneuerung" fordert, der sagt das nicht einfach so daher, sondern der verlangt vom Volk, umzu- denken, also seine Ansprüche ganz in die Hände des Staats zu le- gen, und will das auch durchsetzen. Wer angebliche Regierungsun- fähigkeit mit einem "Neubeginn" beenden will, der SPD unter- stellt, mit immer mehr Staatsversorgung im Volke ein unseliges Anspruchsdenken geweckt zu haben, der verspricht, das Regieren (!) zu verbessern und die darin liegende Rücksichtslosigkeit auf allen Gebieten zu verschärfen. Mit der alten Politik der Aufrü- stung und des Sparprogramms für das Volk wird nicht gebrochen, aber der Neubeginn bedeutet, daß sich die neuen Herren in Bonn ermächtigt haben, schärfer zuzulangen nach dem Motto: Alles für den Staat und seine Freiheiten, Gehorsam für die Untertanen. Die- ses Versprechen läßt erst gar nicht die Illusion aufkommen, es ginge irgendwo noch um die Verhinderung einer schlechten Lage für die Leute. Denen soll es vor allem am "seelischen Wohlergehen" fehlen. "Wie werden wir (!) wieder flott? Wie werden aus Arbeitslosen wieder Arbeiter, die Lohn erhalten und davon (aha!) Steuern, Bei- träge und Abgaben entrichten? Allein das ist die richtig ge- stellte Frage. ... Unser Volk steht vor der Entscheidung, entweder eine Anstrengung zu machen wie nach 1945 oder in den 50er Jahren - dann kommen wir wieder nach vorn - oder zweitklassig (wer?) zu werden." (Barzel) Daß beim Reichtum der Nation auch etwas abfalle für die, die ihn schaffen, wird scharf dementiert, denn er "beruht nicht nur auf ökonomischen Wachstumsraten, sondern auch auf... Tugenden" (Kohl). Also hat das Volk zur Kenntnis zu nehmen, was es von dem Programm "über geordnete Finanzen zu einem geordneten Staat" (Kohl) behalten darf: die Tugend, seine Ärmel hochzukrempeln und selbst zurechtzukommen; dem Staat alles zu geben, aber nichts von ihm zu verlangen; Alter und Krankheit selbst zu versorgen und am besten den arbeitslosen Nachbarn auch noch mit durchzufüttern. Denn der Sozialstaat soll sich zu sehr als Leistungsinstitution für den Bürger verstanden haben, anstatt das soziale Prinzip zu verlangen, daß die Stärke des Bürgers seine Leistung ist, mit der er - egal, ob er überhaupt die Möglichkeit angeboten bekommt, sie einzusetzen - "Selbsthilfe" und "Nächstenhilfe" bewerkstelligt. "Mehr Freiheit, nicht mehr Staat" (Kohl), also für die Leute die Freiheit, sich ihre Verarmung selbst einteilen zu dürfen und "den Staat auf seine ursprünglichen Aufgaben zurückzuführen." (Kohl) Die Volksgemeinschaft hat zu viele Betten ----------------------------------------- Für die geforderte Solidarität im Opfer entdeckt der "Neuanfang", der Sparprogramme, Arbeitslose, deren Zahl steigt, Erhöhung der Staatsverschuldung, Aufrüstung als selbstverständliche Programm- punkte vorsieht, neue Ausbeuter im Volksganzen. Der "anonyme Wohlfahrtsstaat" soll sie befördert haben: - "Wer Leistung verweigert, obwohl er leisten könnte, der ist un- sozial und beutet seine Mitmenschen aus." (Kohl) - "Wer einen anderen krankschreibt, obwohl er nicht krank ist, der beteiligt sich an der Ausbeutung des Versicherungswesens." (Kohl) - "Wenn es zu viele Betten in den Krankenhäusern gibt, dann legen sich die Leute auch hinein." (Blüm) Diese Krankheiten am in die Pflicht genommenen Volkskörper sollen ausgenutzt werden, wie ja auch schon der Geburtenschwund, die Kriminalität, die Drogensucht, die Jugend, die "weder lieben noch arbeiten" kann, im Deutschen Fernsehen zu "Volkskrankheiten" er- klärt wurden. Arbeitsminister Blüm versieht seine Erklärung für die Beibehaltung der Tarifautonomie mit dem Zusatzvorschlag einer halbjährigen Lohnpause, weil man den Rentnern ja auch ihre Verar- mung zumute. Der Wechsel setzt nicht nur neue Töne in die Welt. An ihnen kann man erkennen, welche Fortschritte der Politik anstehen, wenn die Neuen sich die Rettung der Nation aus der Krise vornehmen. Im März wollen sie sich dann vielleicht wieder dem Wähler stellen und sich für ihr Vorkriegsprogrmm die Akklamation der Opfer holen. Demokratie ist eben doch die beste Staatsform - für die, die sie benutzen. P.S. In Sachen Friedens- und Sicherheitspolitik verschaffte der neue Kanzler neue Klarheit. "Das NATO-Bündnis ist der Kernpunkt deutscher Staatsraison." Und da dachte man immer, das Bündnis sei für den Frieden, die Freiheit und Sicherheit des deutschen Volkes da. *** "Wir in Bayern" hat gewählt, um "Bayern in Ordnung zu halten, Bonn in Ordnung zu bringen" (CSU-Slogan). Beides stand nicht zur Wahl, nicht einmal über die weiter regierende Partei der Ord- nungshüter in Bayern gab es irgendeinen Zweifel. Die unangefoch- tene Position der herrschenden Volkspartei im Freistaat wurde von den Konkurrenten mit "Zweidrittel-Mehrheit der CSU ist zuviel!" (FDP) und "Wir lassen uns das nicht gefallen" (SPD) von vornher- ein anerkannt. In Bayern ist das Ideal demokratischer Volkspar- teien verwirklicht: Strauß regiert, und alle vier Jahre entschei- det das Wählervolk, ihm zu akklamieren. Einzige Wahlkritik des ersten Vorsitzenden: In München haben zu wenig Plakate mit seinem Konterfei gehangen. Der Dank ans treue Volk fällt heuer noch großzügiger aus als frü- her, weil heute "schwere Zeiten" für den Staat sein sollen. "WAHLANZEIGE Danke Ihr Vertrauen ist für die CSU Verpflichtung und Auftrag für eine solide Politik in Bayern. Jetzt sind wir alle aufgerufen, die schweren Probleme, die unser Vaterland belasten, solidarisch zu lösen. Mit uns für Bayern. Mit uns für Deutschland. CSU" Man dankt für die große Bereitschaft der Bayern, sich von oben all das reinwürgen zu lassen, was die wollen. Denn so lieben die Herrschaften ihr Stimmvieh. zurück