Quelle: Archiv MG - BRD ALLGEMEIN - Auf dem Weg zur Weltmacht
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Beruhigendes aus Bonn
DIE ANTWORT AUF SACH- UND PERSONALFRAGEN: ES WIRD REGIERT
"Auch daß Kohl aus der Kanzlerwahl nicht strahlend hervorging,
wird bald vergessen sein. Wir haben eine Regierung. Sie ist fein
ausbalanciert wie ein Mobile, und falls keine Stürme kommen, mag
sie vier Jahre halten." (Süddeutsche Zeitung, 12.3.)
Die öffentlichen Meinungsmacher haben selbst dementiert, was sie
in den vier Wochen bis zur Regierungsbildung für ziemlich span-
nend ausgegeben haben: das Ringen der Koalitionsparteien um ein
Regierungsprogramm. Am Ende befanden sie etwas anderes für viel
aufregender: "Kohl mit knapper Mehrheit wiedergewählt - Strauß
lehnt Kabinettsposten ab - Der Bundeskanzler erhält mit 253 Ja-
Stimmen nur vier mehr als für die Wahl erforderlich" (Süddeutsche
Zeitung, 12.3.). Da sind Erinnerungen - sogar von Kanzler Kohl
selbst - an Adenauer laut geworden. Der wurde nämlich mit dem
denkbar knappsten Ergebnis 1949 erster Bundeskanzler der Repu-
blik: eine Stimme, seine eigene. Das hat zwar damals nichts aus-
gemacht, wie auch die Stimmenknappheit des Kanzlers heute nicht
gerade umwerfend ist: Er und seine Regierung sind im Amt; aber
zum Spekulieren darüber, wie denn Kohls Sterne noch stehen,
eignet sich so etwas immer gut. Schließlich fällt den mündigen
demokratischen Deutschen und ihren öffentlichen Vormündern so-
wieso nichts Besseres ein als immerzu auf den Erfolg und stil-
vollen Glanz ihrer politischen Führung zu glotzen. Fragt sich, ob
nicht die Sachfragen, die einen Monat lang in Bonn gewälzt wur-
den, damit ein zündendes Regierungsprogramm herauskomme, und die
sich reger öffentlicher Anteilnahme erfreuten, durch diesen un-
tertänigen Beschauerstandpunkt der Herrschaft einfach erschlagen
werden. Oder es ist schwieriger, weil Sachfragen etwas anderes
sind als sie lauten und sich vielleicht mancher noch denkt.
Die Sache
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Kleinen Schulkindern wird zuweilen der Begriff der Sache als Ding
beigebracht, das man anfassen kann, und deshalb groß schreibt.
Sie dürfen dann nicht den Fehler machen, brennend heiße Sachen
klein zu schreiben. Sachen sind ziemlich verbreitet und liegen in
verschiedenen Formen, mehr oder weniger aufgeräumt überall rum.
Meistens gehören sie auch jemandem. Dabei ist Geld so eine Sache;
offenbar, weil man dem Papierfetzen seinen Wert nicht anfühlt.
Im Regierungsprogramm kommen Sachen nur in Verbindung mit Sach-
zwängen vor, stehen also nicht zur Debatte: Bauernhöfe, die man
retten will, aber nicht kann; Fabriken, die nicht pleite gehen
sollen, aber müssen; Arbeitsplätze, die zu schaffen sind, aber
verloren gehen; viel Geld, das immer zu wenig ist; weniger Schul-
den, die wachsen. Bei den Embryos, die man nicht abtreiben soll,
ist die Sachlage noch schwieriger; genauso wie das Dämpfen der
Gesundheitskosten und der Renten. Das Eigenartige ist, daß im Re-
gierungsprogramm, um das sich die Koalitionsparteien gestritten
haben, alles mögliche Zeug vorkommt, obwohl es darauf gar nicht
ankommt, weil alle wissen, was herauskommt.
Was ist denn Sache, wenn Umweltschutz in die Verfassung geschrie-
ben werden soll, Umweltsünder härtere Strafen zu erwarten haben?
Wo bleibt da die Sachlichkeit, wenn der Staat eine Steuerreform
veranstaltet und am Ende, so gegen 1990, doch rauskommt, daß der
Staat seine Steuern ein bißchen anders einzieht, ohne daß sich
die meiste über neue Sachwerte freuen können. Kann sich eine wer-
dende Mutter denn von dem symbolischen und in Geld bemessenen Ap-
pell ans Kinderkriegen etwas kaufen? Wird den Bauern etwa etwas
versprochen, wenn im Regierungsprogramm steht liest man genau
nach -, daß nur rentable und konkurrenzfähige Betriebe der deut-
schen Wirtschaft nützen, also die Überproduktion und das Bauern-
legen weitergehen? Und wo ist die Sache, wenn neue Sicherheitsge-
setze vorgesehen sind, die die Verfolgung und Ausmerzung von Wi-
derstand effektivieren sollen? Die Sache ist offenbar die, daß
die staatliche Gewalt wie eh und je mit Gesetzen dafür sorgt; daß
sie auf ihre Kosten kommt, die Wirtschaft nicht durch Unkosten,
die arbeitende Bevölkerung betreffend, am Wachstum gehindert wird
und die öffentliche Ordnung immer fester. Die Interessen, die
zählen und gefördert gehören, aber auch die anderen Interessen,
die ebenfalls anerkannt sind, aber immerzu geopfert gehören, ste-
hen nicht zur Debatte. Aus gutem Grund: Auf diesem Gebiet kennt
die Politik nämlich keine A l t e r n a t i v e n. Die fangen
erst beim Regieren an, und dieses Geschäft duldet sowieso keine,
wenn einmal gewählt ist. Wo schlicht weiterregiert werden muß,
ist über das Was entschieden und selbst das Wer eine matte Sache.
Die Sach f r a g e n,
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denen man sich so intensiv gewidmet haben will, können bei der
Materie 'Regieren' nur deplaziert sein. Was soll denn fragwürdig
sein, wenn "Weiter so Deutschland! " das Programm ist: Der Gegen-
stand - staatliches Handeln steht fraglos fest, und von einer Al-
ternative für Deutschland war auch nicht die Rede - für Arbeiter,
Arbeitslose, Rentner und Kranke sowieso nicht. Warum haben sich
dann aber die Koalitionsparteien, die doch unbedingt zusammen re-
gieren wollen, vier Wochen lang gestritten: Hier hilft nur eine
exakte Bestimmung der demokratischen Erfindung 'Sachfrage' wei-
ter: Sachfrage ist, wenn Politiker so tun, als bräuchten sie für
ihr Regieren eine Begründung. Da das Regieren aber kein Schluß
ist, sondern selbstverständliche Herrschaft über Land und Leute,
löst sich der ganze Humbug mit den Sachfragen in die Banalität
auf, daß bei im Grunde feststehender Regierungslinie die betei-
ligten Parteien mit Scheinalternativen, originellen Einfällen,
Beharren auf einer Position, mit Themenschwerpunkten usw. etwas
für ihr wahlwirksames Image tun, ohne daß sie die Regierungsbe-
teiligung damit gefährden würden. Die Machthaber machen bei der
Regierungsbildung und beim Regieren, also immer und überall Wahl-
kampf. So ergibt sich der feine Unterschied zwischen Sach- und
Personalfragen, daß auf beiden Gebieten der Konkurrenzkampf der
Parteien und in diesem Sinne der Personen sei Unwesen treibt, so,
daß der Wähler irgendwie etwas davon mitbekommt.
Die demokratische Emanzipation der Politik von irgendwelchen
Rücksichten auf Interessen oder Ansprüche der Mehrheit des Volks
ist ohne Frage gelungen, wenn auf der Grundlage, daß das Regieren
souverän läuft, die Parteien frei konkurrieren, sich also nur
nach der Stimmung des Wählers umschauen müssen. Kritik an diesem
demokratischen Totalitarismus, in dem nicht die Herrschaft, son-
dern lediglich die Konkurrenten an der und um die Macht auf des
Bürgers Stimme Rücksicht nehmen müssen (wobei der schon so mündig
ist, sich sein Stimmungsbarometer vom Erfolg seiner Politiker
einsagen zu lassen), gibt es auch. Leider nicht am Totalitarismus
der Herrschaft, sondern an seiner vermeintlich mangelnden Souve-
ränität. Politiker (wie Jenninger) oder Figuren der Medienöffent-
lichkeit halten den Dauerwahlkampf in Bonn für eine schlechte Be-
einträchtigung eines souveränen Regierens und das - wg. Wahlen -
Taktieren der Regierungsparteien für eine Störung ungeteilter und
starker Machtausübung. Sie mutmaßen, daß so auch nicht mehr die
besten Politikerfiguren nach ganz oben kommen. Sie entdecken eine
"schlappe Regierungsbildung" (Spiegel), ärgern sich über da
"Sitzfleisch eines Pfälzers, ... der beschlossen hat, Kanzler zu
werden und es um den Preis allseitiger politischer Lähmung zu
bleiben". (Spiegel 12/87) Und sie fordern, daß "der Bundeskanzler
aber mehr sein muß als ein Buchhalter, der Gruppeninteressen ad-
diert oder ausbalanciert" (Süddeutsche Zeitung, 14./15.3.). Warum
nur haben gute Demokraten immerzu das Ideal von Adolf selig im
Kopf? Das kann kein Zufall sein.
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