Quelle: Archiv MG - BRD ALLGEMEIN - Auf dem Weg zur Weltmacht
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WAS KOSTET DIE DEUTSCHE SOUVERÄNITÄT?
"Gorbi lacht, Kohl zahlt. Aber es ist ja für die Einheit."
Auf die Formel bringt die "Bild"-Zeitung das eigentümliche
"Geschäft", das neulich am Kaukasus zwischen Kohl und Gorbatschow
gelaufen ist. Dort hat nämlich der Sowjetpräsident anerkannt, daß
die Deutschen mit ihrem neuen großen Staat auch militärpolitisch
machen, was sie wollen. Dafür hofft der gute Mann auf gute Bezie-
hungen zur neuen europäischen Führungsmacht. Und als Vorgriff auf
diese guten Beziehungen galt allgemein ein 5-Milliarden-DM-Kredit
deutscher Banken an die Sowjetunion, den die Bundesregierung ver-
bürgt.
In der Vorstellungswelt der "Bild"-Zeitung sieht das aus wie ein
fettes Geldgeschenk an die Russen, mit dem Kohl diesen Burschen
die letzten Einwände gegen das gesamtdeutsche Familienfest mit
Namen "Einheit" abgekauft hätte: "Kohl zahlt ... für die Ein-
heit". Soweit der schlechte Scherz. Aber mal im Ernst: Was zahlt
Kohl wirklich?
1.
Kohl zahlt gar nichts. Die Bundesregierung b ü r g t nur für
den Fall - der natürlich überhaupt nicht eintreten darf -, daß
die Sowjetunion den Milliardenkredit nicht mit Zinsen und Til-
gungsraten bedienen sollte. Für dieses Geschäftsrisiko der kre-
ditgebenden Banken verbürgt sich der Bundeshaushalt - gegenüber
d i e s e n B a n k e n. Kohl zahlt also gar nichts - und im
schlimmsten Fall kriegen deutsche Kreditinstitute aus Bonn ihr
Geld.
2.
Die Banken zahlen. Bloß: Ä r m e r werden sie dadurch nicht.
Für den Kredit an die Russen schreiben sie sich
F o r d e r u n g e n in ihre Bücher. Diese Forderungen sind
erstklassig, weil erstens der Schuldner Sowjetunion heißt und
weil zweitens die Bundesregierung dafür Bürgschaft leistet. Sie
sind so gut wie bares Geld - und lassen sich im Geschäft zwischen
Banken auch glatt so verwenden. Die Banken zahlen ihr Geld also
nicht einfach an die Russen weg; der Kredit v e r d o p p e l t
das Geld - ein echtes kapitalistisches "Wirtschaftswunder"; All-
tag im Finanzgeschäft.
3.
Wer kriegt das Geld? Blöde Frage: der sowjetische Staat. Aber bei
dem ist gar nicht Endstation. "Der deutsche Fünf-Milliarden-Kre-
dit wird fast vollständig dafür verwendet, sowjetische Auslands-
schulden zu bezahlen", weiß die "Wirtschaftswoche". Tatsächlich
kriegen also deutsche und andere westliche Banken das Geld ausbe-
zahlt und können sich an den Erträgen freuen, die ihnen ihre So-
wjet-Kredite von gestern bringen.
4.
Und die Sowjetunion? Was hat die davon? Die ist a l t e Schul-
den oder Zinspflichten los. Das ist die angenehme Seite. Dafür
hat sie n e u e Schulden und Zinspflichten. Das ist die weniger
schöne Seite. Im Endeffekt sind ihre Schulden um nichts geringer
geworden; allenfalls neu "geordnet". Aber dadurch wird der Schul-
dendienst nicht leichter. Dessen Last bleibt. D a s hat die So-
wjetunion von dem Geschäft.
5.
Mit dem deutschen Kredit übernimmt die sowjetische Regierung also
eine P f l i c h t. Sie verpflichtet sich, ihren Gläubigern
Zinsen und Tilgungen zu zahlen; und zwar in gutem, echtem Geld,
das erst einmal verdient sein will. Und zwar auf dem
W e l t m a r k t; denn mit Rubeln, wie sie auf dem sowjetischen
Markt zu verdienen sind, gibt sich eine westliche Bank gar nicht
erst ab. Die sowjetische Wirtschaft, in der es sowieso an allen
Ecken und Enden fehlt, muß also einige Anstrengungen erbringen,
um im Ausland Devisen zu ergattern - nur um sie planmäßig, näm-
lich nach dem marktwirtschaftlichen Zinsen- und Tilgungsplan, den
kapitalistischen Geschäftsbanken zu überweisen. - Da wird dem
Gorbatschow das Lachen noch vergehen. Denn seine Mannschaft hat
dann w i r k l i c h zu zahlen - im Unterschied zu Kanzler
Kohl, der, siehe Punkt 1, überhaupt nichts zahlt...
6.
Der 5-Milliarden-Kredit mehrt also den Reichtum der Gläubiger-
Banken, wie es sich für einen Kredit gehört. Er vertieft die öko-
nomischen Schwierigkeiten, die der Schuldnerstaat sowieso schon
hat; auch das ist allgemein so üblich im Geschäftsverkehr zwi-
schen Geldkapitalisten und geldbedürftigen Staaten. So verfestigt
er die wirtschaftliche Abhängigkeit des verschuldeten Staates von
seinen Gläubigern - und von dem d e u t s c h e n S t a a t,
ohne dessen Bürgschaft eine verschuldete Sowjetunion kaum an die
neuen Kredite kommt, die sie schon allein wegen ihrer alten
Schulden immer nötiger braucht. Der Kredit macht also nicht bloß
die deutschen Banken reicher und die Sowjetwirtschaft ärmer. Er
bringt außerdem die deutsche Regierung gegenüber der sowjetischen
in eine starke Position: Von ihren Kreditgarantien hängt es immer
mehr ab, ob und inwieweit die Sowjetunion sich überhaupt als zah-
lungsfähiger Teilnehmer am Weltmarkt behaupten kann.
7.
Das blühende Kreditgeschäft verschafft also der Bundesregierung
die Macht, der sowjetischen Seite einen z u s ä t z l i c h e n
p o l i t i s c h e n P r e i s dafür abzuverlangen, daß sie
dieses Kreditgeschäft fördert und garantiert. Und diesen Preis
hat Kohl seinem Verhandlungspartner Gorbatschow am Kaukasus aus-
einandergesetzt. Er lautet zur Zeit: Keine Einwände und kein Wi-
derstand dagegen, daß das neue Großdeutschland militärisch, bünd-
nismäßig und weltpolitisch macht, was es will. Diese Freiheit hat
Kohl sich nicht für 5 Milliarden Mark g e k a u f t. Die Sache
ist eher umgekehrt: Die Sowjets haben die Bonner Kreditbürgschaft
über 5 Milliarden g e b r a u c h t; und d a f ü r hat der
Kanzler von Gorbatschow eine p o l i t i s c h e
G r a t i s l e i s t u n g verlangt. Und - er hat sie bekommen!
8.
Dabei sind sich beide Seiten offenbar darüber einig geworden, daß
dieses Geschäft kein Schlußstrich sein soll, sondern erst der Be-
ginn einer wundervollen Freundschaft. Warum sollte denn auch die
deutsche Seite ein Geschäft beenden wollen, das ihr nichts als
doppelte Vorteile bringt, ökonomische u n d politische?! Eine
Sowjetökonomie, die deutsche Banken bedient - das ist doch
großartig und gehört unbedingt ausgebaut! Nach und nach die
g e s a m t e Sowjetwirtschaft umbauen zu einem Dienstleistungs-
unternehmen für deutschen Profit: Diese Perspektive ist den deut-
schen Kapitalisten und Wirtschaftspolitikern gar nicht mehr so
fremd. Und eine Sowjetpolitik, die alles tut, um die deutsche Re-
gierung, die Garantiemacht aller Finanzgeschäfte, bei Laune zu
halten - was wollen deutsche Ostpolitiker mehr! Die Eroberung der
DDR ist gegessen; die ö k o n o m i s c h e Eroberung sehr viel
weiterer Ostgebiete steht an; und deutsche Politiker setzen dar-
auf, daß sie mit Typen wie Gorbatschow auch prima zu machen ist.
9.
Kohl hätte "gezahlt"? Von wegen! Vor drei Wochen am Kaukasus ist
die deutsche Politik zur ökonomischen Eroberung des Ostens ein
gutes Stück vorangekommen. Die sowjetische Seite hat gezeigt,
nicht, daß sie käuflich, sondern wie sehr sie e r p r e ß b a r
ist, und sie hat sich sehr schön e r p r e s s e n l a s s e n.
Die deutsche Seite hat gezeigt, wie prächtig sie sich auf das
Handwerk der politökonomischen Erpressung versteht.
10.
Den wirklichen materiellen Preis dafür zahlen übrigens ganz an-
dere Russen als Gorbatschow - nämlich die, die er regiert. D i e
haben den Schaden.
Und das schieben "wir" als demokratische Marktwirtschaftler dem
alten bösen Kommunismus in die Schuhe. So kommt zum materiellen
Triumph des deutschen Kapitalismus und des kapitalistischen Groß-
deutschland auch noch der ideologische. Was für ein Geschäft!
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