Quelle: Archiv MG - BRD ALLGEMEIN - Auf dem Weg zur Weltmacht
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DARF GROSSDEUTSCHLAND IN DIE NATO?
Das war das letzte außenpolitische Problem auf dem Weg zur ge-
samtdeutschen Einheit: Was wird militärisch aus der DDR? Darf die
NATO gleich bis zur Oder vorrücken, wenn die Sowjettruppen ab-
rücken?
Begreiflicherweise war die Sowjetunion von dieser Aussicht denn
doch nicht so begeistert. Sie wollte wenigstens noch irgendeine
Gegenleistung dafür, daß sie den Vorposten ihres "Warschauer
Pakts" an den westdeutschen NATO-Frontstaat ausgeliefert hat. Am
besten eine Auflösung der NATO; oder eine Herauslösung Deutsch-
lands aus dem bewaffneten Westblock; zumindest eine Änderung des
westlichen Militärbündnisses in eine harmlos-friedliche Richtung;
oder allerwenigstens kein Aufbau von NATO-Militär auf DDR-Ge-
biet...
N i c h t s d a v o n wollten die NATO-Befehlshaber zugestehen.
Und die deutschen am allerwenigsten. Die haben mit aller Sturheit
auf dem ganz prinzipiellen deutschen Souveränitätsrecht bestan-
den, sich auch nach erfolgter Wiedervereinigung frei und ungebun-
den "ihre Bündnispartner selbst auszusuchen".
Natürlich haben sie nur den Russen gegenüber auf diesem Souve-
ränitätsrecht bestanden. Die Festlegung der NATO-Führungsmacht
Amerika: K e i n G e s a m t d e u t s c h l a n d
a u ß e r h a l b d e r N A T O! hat in Bonn niemand als
"Einmischung in innere Angelegenheiten" zurückgewiesen. Wie auch.
Es ging den Bonner Politikern ja gar nie darum, Deutschlands
Bündniszugehörigkeit von Grund auf neu zur Debatte zu stellen und
sich "Partner auszusuchen". Wo Kohl, Genscher und Co so grund-
sätzlich dahergeredet haben, ging es ihnen tatsächlich um die
l ä n g s t g e t r o f f e n e Entscheidung: Ganz Deutschland
gehört selbstverständlich in die NATO, und zwar zu Bedingungen,
in die kein Russe etwas reinzureden hat. Denn ohne Militärpakt
nach Bonner Geschmack wäre die ganze Einheit der deutschen
"Brüder und Schwestern" nichts wert!
Gorbatschow hat am Ende nachgegeben und zugestimmt - o h n e
j e d e d e u t s c h e G e g e n l e i s t u n g. Was hätte
er auch dagegen machen können? Die Preisgabe der DDR, die Auflö-
sung des Warschauer Pakts: Das ist ja längst gelaufen. Ein mili-
tärischer Sonderstatus der DDR, wenn es die DDR demnächst gar
nicht mehr gibt: Das ist nur noch ein frommer Wunsch der Sowjet-
regierung und nichts, was sie noch politisch erzwingen könnte. So
weit haben sich durch die sowjetische Nachgiebigkeit bereits in-
nerhalb des letzten halben Jahres die realen Kräfteverhältnisse
in Europa verschoben!
Dieser praktische Erfolg hat Kohl und Genscher das Verhandeln mit
Gorbatschow so leicht gemacht. Die deutsche Macht ist so weit,
daß sie sich für ihre volle Handlungsfreiheit auch in Mili-
tärdingen keinerlei Vorschriften mehr machen läßt, schon gar
nicht von dem "unheimlichen Nachbarn" im Osten, der Atommacht So-
wjetunion. Die deutsche Seite hat klargestellt: Sie unterschreibt
keine Vereinbarung, die nicht von der vollen Souveränität
Deutschlands und damit von der deutschen NATO-Mitgliedschaft aus-
geht. Wenn es irgendein Entgegenkommen gegenüber sowjetischen
Wünschen gibt, dann allein nach f r e i e m d e u t s c h e n
E r m e s s e n. Das war der "historische Durchbruch" am Kauka-
sus.
Demnächst ziehen also die russischen Truppen aus der DDR ab; die
deutsche Regierung entscheidet selbst, ohne Bindung an sowjeti-
sche Vorbehalte, was militärisch und NATO-strategisch aus ihren
zusätzlichen 100.000 Quadratkilometern wird. Und d a m i t sind
die Kräfteverhältnisse in Europa schon wieder deutlich verschoben
worden. Denn jetzt befehligen die Bonner Machthaber endgültig
nicht mehr einen westlichen Frontstaat von amerikanischen Gnaden.
Sie befehligen - mit den Atomwaffen der NATO im Rücken - das
strategische Zentrum des europäischen Kontinents. Und darum ist
es ihnen schließlich gegangen - bei ihrem gesamten
"Wiedervereinigungs"-Unternehmen.
So hat sich Kanzler Kohl am Kaukasus offiziell genau die Macht-
position in Europa erobert, die der Westen und vor allem die
Deutschen jahrzehntelang den Sowjets als "imperialistisches Aus-
dehnungsstreben" vorgeworfen haben. Sein Staat kommandiert in Eu-
ropa - eben weil er die zweitwichtigste NATO-Macht überhaupt ist
und das Zentrum der europäischen NATO. Sein Staat bekommt durch
seine Vergrößerung die Mittel in die Hand, sich die Nachbarn
teils als "Partner", teils als "Satelliten" unterzuordnen.
Und da soll nur keiner fragen, wozu das gut sein soll. Für Poli-
tiker ist eine solche Kommandogewalt überhaupt das Allerhöchste!
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