Quelle: Archiv MG - BRD ALLGEMEIN - Auf dem Weg zur Weltmacht
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JE UNVERSCHÄMTER DIE NATION, DESTO ERFOLGREICHER IHRE ANSPRÜCHE
ODER:
"WIR" SIND SCHON SPITZE!
Die Regierung ermuntert ihr Volk wie - einen guten alten Bekann-
ten: "Weiter so, Deutschland!" Sie lobt ihre Nation für erbrachte
Leistungen - und jeder weiß sofort, daß es sich um ein pures
Selbstlob handelt. Denn was die angesprochenen Leute vor allem
richtig gemacht haben und wieder richtig machen sollen, das ist
die Ermächtigung der C-Grupppen zur Führung der Nation. Die wol-
len ja unbedingt dafür sorgen, daß es mit Deutschland "weiter so"
geht. Die logische Voraussetzung dieses Selbstlobs: daß in den
Augen eine Wählers das Volk genau so viel taugt wie die Führung,
der es gehorcht - diese Logik der staatsbürgerlichen Schafsnatur
ist in der Wende-Republik so selbstverständlich, daß sie gar
nicht erst in Erinnerung gebracht werden muß, sondern gleich pro-
pagandistisch ausgereizt sein will. "Der Beste für Deutschland"
enthält sachlich zwar haargenau dieselbe Idiotie, hängt aber me-
thodisch hinter der Regierungsparole zurück: Da wird die be-
hauptete Eignung zum Regieren noch als plumpes Kompliment an den
Kandidaten ausgedrückt, während die Politchristen gleich frech
unterstellen - was, direkt ausgedrückt, vielleicht sogar bundes-
deutsche Wähler peinlich berühren könnte -, daß die Herrschaft
ihrer Kohl-Mannschaft ein bewahrenswerter Glücksfall für die Na-
tion ist. D e n soll das Volk sich nicht nehmen lassen.
Leider ist das "Weiter so!" aber nicht bloß christdemokratische
Wahlkampftaktik. In ihrer Leistungsbilanz lobt die Regierung ihre
Untertanen für eine Aufführung, die ihr offenbar wirklich die be-
sten Gründe zu tiefster Zufriedenheit liefert. Das erkennt sogar
die Opposition neidvoll an: Was das Volk sich von den Politchri-
sten gefallen läßt, würde jeder Sozialdemokrat und jeder
"politikfähig" gewordene Grüne liebend gern zu "verantworten" ha-
ben.
1. Ein konsolidierter Staatshaushalt
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Das Geld für den Fiskus fließt reichlich; bei wachsenden Staats-
ausgaben ist weniger Neuverschuldung nötig als in den Spitzenjah-
ren dieser Finanzierungsform. Das ist sicher schön für die Regie-
rung. Fragt sich nur, wieso normale Steuerzahler diesen Stand-
punkt teilen sollen. Denn immerhin beruht Stoltenbergs Erfolgs-
meldung ja darauf, daß den Massen-insgesamt merklich mehr an
Steuerprozenten abgezogen wird, wenn sie Lohn und Gehalt überwie-
sen bekommen, aber auch, wenn sie ein normalgiftiges Auto unter-
halten, und an etlichen anderen Stellen.
Viele haben diesen Effekt am Weihnachtsgeld gemerkt: Für sie
blieb der 13. Monatslohn diesmal weitgehend auf dem Papier ste-
hen, weil ein überproportionaler Anteil der Summe aus dem 12. und
dem 13. Gehalt bzw. Lohn tatsächlich beim Fiskus verblieben ist.
Dazu hat ihnen übrigens der Bundesfinanzminister als erster sein
herzliches Beileid ausgesprochen und auf die von ihm seit Jahren
sorgfältig geplante Steuerreform verwiesen, die demnächst einige
Entlastung bringen soll - sofern erst einmal die Christen-Crew
wiedergewählt worden sein wird. Die genau gleichlautenden Be-
schwerden und Versprechen der Sozialdemokratie kamen gleich hin-
terher.
So werden die Leute nicht nur mit einer pünktlichen Schmälerung
ihrer Zahlungsfähigkeit bedient - denn dadurch und auf keinem an-
deren Weg kommt schließlich die Zahlungsfähigkeit des Staates zu-
stande! -, sondern auch noch mit einem gediegenen Widerspruch:
Die Wirkung, eine gelegentlich etwas übertriebene Schmälerung der
privaten Kaufkraft, darf als politisches Ärgernis wahlwirksam
werden, wenn die Ursache, das Bemühen der Staatshaushälter um
eine "Begrenzung der Staatsschuld", genauso wahlwirksam als hohe
Staatspflicht anerkannt ist. Das trostlose wahlkämpferische Hin
und Her zwischen diesen beiden Standpunkten der Gerechtigkeit und
der haushälterischen Ordnung macht mit seinen albernen Idealismen
den Umkreis des staatsbürgerlichen Realismus aus. Denn es bewegt
sich ganz auf dem Boden der Realität, die der demokratische Staat
mit seinem überparteilichen Interesse am Geld s e t z t.
Christen wie Sozialdemokraten sind nämlich geborene Gegner jeder
Verstaatlichung von gesellschaftlichem Reichtum; und zwar dann am
meisten, wenn sie gerade die Ansprüche des Staates aufs gesell-
schaftliche Produkt und an die gesellschaftlichen Produktivkräfte
geltend machen. Da richten sie sich ganz nach den Sachgesetzen
des Privateigentums, die sie wirklich nicht erfunden haben. Sie
gehen davon aus, da jedes Bedürfnis auf Zahlungsfähigkeit festge-
legt ist, das Geldverdienen also d i e allgemeine Lebensnotwen-
digkeit darstellt und folglich noch in den ärmlichsten Transak-
tionen ein Stück Geld im Spiel ist, von dem sich ein gerechter
Prozentsatz als unmittelbar beliebig verwendbarer Überschuß ab-
zweigen läßt. Und sie respektieren den Sachzwang, daß die Schaf-
fung und Mehrung des gesellschaftlichen Reichtums in ihrer kapi-
talistischen Republik über eine erfolgreiche Geschäftstätigkeit
von Geldbesitzern läuft, die Besteuerung des Geschäftserfolgs
also nicht mit dessen Bedingungen in Konflikt geräten darf. Wo
die Staatsgewalt in den steuerlichen Abzügen, die sie verhängt,
ihre Souveränität im Umgang mit Armut und Reichtum ihrer Markt-
wirtschaft beweist, gerade da richten die Verantwortlichen des
bundesdeutschen Fiskus ihre Politik so ein, als wäre ihr hoheit-
licher Geldbedarf wie der jeder Privatperson den Erträgen des
Marktes und des allgemeinen Geldverdienens unterworfen. Damit
setzen sie allerdings nicht voraus, sondern fest, worum sich in
ihrer Gesellschaft ökonomisch alles drehen soll - um den abstrak-
ten Reichtum in Geldform, der gerade als Privateigentum den Be-
dürfnissen seiner wirklichen Produzenten von vornherein und prin-
zipiell entzogen ist.
Was dessen "marktwirtschaftliche" Erfolge und Rekorde betrifft,
hat die Kohl-Regierung ihre zweite unbezweifelbare Errungenschaft
vorzuweisen:
2. Ein Aufschwung
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"Die Wirtschaft" verdient so gut wie schon lange nicht. Das ist
schön für die, die verdienen; und auch für eine Regierung, die
ihren Erfolg am Wachstum des Bruttosozialprodukts bemißt. Die Po-
litiker rechnen so, weil sie von der Realität ausgehen, daß die
nationale Produktion in der möglichst effektiven Befriedigung der
Bedürfnisse der Leute - Vermeidung von Schäden eingeschlossen -
ohnehin nicht ihren Zweck hat. Sie rechnen mit einem Reichtum,
der sich in Geld mißt - egal, welche schädlichen Seiten diesem
Reichtum ansonsten innewohnen und für wen oder was er ansonsten,
seiner Beschaffenheit nach, nützlich sein mag. Sie rechnen mit
einem Geld, das glatt als Geldverlust zählt, wenn es sich nicht
fortwährend vermehrt, und zwar durch seine solide geschäftliche
Verwendung - egal, mit was für Sachen diese Gewinne erzielt wer-
den. Denn nur ein dermaßen "fruchtbares Geld" setzt die jeweilige
Regierung in Stand, wachsende Massen davon an sich zu ziehen und
für ihre kostspieligen Bedürfnisse zu verwenden, ohne daß dieser
unproduktive Konsum die Kaufkraft des Geldes schmälert. Und au-
ßerdem gibt nur eine dermaßen "dynamische" Geldwirtschaft ihnen
eine gewisse Sicherheit, daß ihre Nation auch auf absehbare Zu-
kunft ihnen die nötig Überschüsse für ihren Staatsbedarf abwerfen
wird. Daß das Bruttosozialprodukt eine von vorn bis hinten ab-
surde Summe ist, weil eben alles addiert wird, was irgendwie ir-
gendwem Geld bringt, stört keinen Wirtschaftspolitiker; denn es
kommt gar nicht darauf an, daß diese Summe den nationalen Reich-
tum angemessen darstellt, sondern daß ihr W a c h s t u m be-
weist, wie kräftig die Geschäftstätigkeit zu Überschüssen und die
Überschüsse zu erweiterter Geschäftstätigkeit führen - egal, auf
was für Artikel die sich dann wirft. Den Respekt vor dieser ele-
mentaren Bedingung des staatlichen Geldaufkommens haben auch die
Oppositionspolitiker gelernt und sich gemerkt, die die maßgebli-
che Abstraktion eines rein prozentualen Wirtschaftswachstums mit
dem Ideal eines "qualitativen" Wachstums, eines Wachstums ohne -
"vermeidbare"! - Unkosten nämlich, begleiten.
Bleibt die Frage, inwiefern der Erfolg, den die Regierung da er-
freut registriert, gleich auch noch die wahlberechtigte Massen
erfreuen soll. Immerhin sagt das Regierungsglück ja einiges dar-
über aus, wozu der nationale Reichtum da ist und da sein soll -
eben für den Geschäftserfolg der Firmenwelt - und wofür nicht.
Und die weniger schönen Wirkungen dieser Realität bleiben keines-
wegs im Dunkeln, sondern werden von der Gewerkschaft und von der
sozialdemokratischen Opposition bei Gelegenheit angeprangert. Ein
"Sinken des Lebensstandards", im allgemeinen wie vor allem bei
den unbeschäftigten Teilen der "Arbeitnehmerschaft", wird
"explodierenden Gewinnen" gegenübergestellt und der vorwurfsvolle
Schluß gezogen, es finde eine gewaltige "Umverteilung von unten
nach oben" statt.
Als Kritik am Aufschwung will dieses Bedenken allerdings nicht
verstanden sein; höchstens möchte man oppositionell an diejenigen
erinnert haben, an denen "der Aufschwung vorbeigegangen" sei und
die von der Regierung "vergessen" worden wären. Damit wird die
verharmlosende Umdeutung der proletarischen Armut, die ohnehin
niemand mehr so nennt, komplett. Von ihr bleibt nichts übrig als
ein Gerechtigkeitsproblem, das mit der größten Selbstverständ-
lichkeit von einem gesunden Unterschied zwischen- "oben" und
"unten", zwischen Gewinnen und Löhnen ausgeht und nichts als
Übertreibungen in diesem Verhältnis - nach beiden Seiten hin -
zur Debatte stellen will.
Dieser Gerechtigkeitsidealismus ist in all seiner Haltlosigkeit
erzrealistisch; er steht nämlich ganz und gar auf dem Boden der
gültigen Wirtschaftsweise, die genau deswegen immer wieder zu
"Verteilungsproblemen" führt, weil es da überhaupt nichts
"umzuverteilen" gibt, schon gar nicht "von unten nach oben". Das
"unten" hat genau den ökonomischen Inhalt, daß die lohnabhängigen
Produzenten einen fremden Reichtum mehren, aus dem geschäftlich
nützliche Anstrengung entlohnt wird, von dessen Wachstum sie aber
von vornherein ausgeschlossen sind und nicht erst durch gesetzli-
che Kunstgriffe ausgeschlossen werden müssen. Und für "die da
oben" haben Grundgesetz und Wirtschaftspolitik die Mehrung des
geschäftlich engagierten Eigentums als Recht und Pflicht durchge-
setzt. Mit der Produktionsweise ist längst festgelegt, wie Armut
und Reichtum sich zweckmäßig verteilen; und wenn die Staatsgewalt
von allen Seiten das Ihre abzweigt, ändert sie daran nichts. Des-
wegen sorgt jeder Aufschwung für noch mehr Abstand und Eindeutig-
keit; das Gejammer über Ungerechtigkeiten ist die Methode, mit
der die Wirkungen weggesteckt werden.
Wahlkampftauglich ist dieses Beschwerdewesen nach einigen Jahren
christdemokratisch-liberalen Aufschwungs kaum noch. Die Sachge-
setze des Aufschwungs will ja auch die Opposition nicht abwählen
lassen; noch nicht mal am guten Ruf der wahlwirksamen Parole
'Aufschwung' mag sie sich vergreifen. Da steht automatisch die
Regierung gut da mit ihrer Zufriedenheit: ehrlich zufrieden mit
den Erfolgen ihrer Wirtschaft, die niemand kritisiert; demonstra-
tiv zufrieden mit sich selbst, so als wäre der Konkurrenzerfolg
von Banken und Fabriken aus bundesdeutschen Landen ausgerechnet
Kohl und Co zu danken, was auch niemand so recht leugnen mag. Zur
Wahl steht der Aufschwung also überhaupt nicht - er hört schon
von selbst wieder auf, wenn die ausgedehnte Geschäftstätigkeit
demnächst wieder an die Schranken der zahlungsfähigen Nachfrage
stößt. Die Machthaber werden dann wieder die ersten sein, die
sich zum neuen Konjunkturverlauf so als Betroffene stellen wie
die Leute, die davon wirklich betroffen werden; und ihre Souverä-
nität wird ihnen auch dann wieder einfallen, um die Massen auf
eine konstruktive Bewältigung der "Probleme" festzulegen.
Denn insofern ist der ökonomische "Abschwung" genauso das politi-
sche Werk der jeweiligen Regierung wie der Aufschwung, den die
Politchristen zur Zeit ihrer Führungskunst gedankt wissen wollen:
Indem sie sich nach den jeweiligen ökonomischen Realitäten rich-
tet, verschafft die Staatsgewalt ihrer Geschäftswelt die unerläß-
liche F r e i h e i t für ihre sachgesetzlichen Konjunkturen.
Vergessen sind die Damen und Herren Arbeitnehmer bei alledem
überhaupt nicht. Auch sie werden mit einem Regierungserfolg be-
dient, den keine Opposition kritisiert, höchstens für noch zu
klein befindet:
3. Neue Arbeitsplätze
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Auf entsprechende Zählungen verweisen die Verantwortlichen voller
Stolz. Die immer noch gut 2 Millionen registrierten Arbeitslosen
lassen, sie nicht als Einwand dagegen gelten. Gegen alle diesbe-
züglichen Vorwürfe beharren die Christlichen und die Liberalen
mit ausdrücklicher Sturheit darauf, daß sie für keinen Arbeits-
platz verantwortlich sein wollen, den nicht ein Kapitalist aus
wohlbegründeter Geschäftskalkulation eingerichtet hat. Alles an-
dere verurteilen sie als "Strohfeuer", das, weil es der Ge-
schäftswelt nicht dauerhaft hilft, den Arbeitslosen selbst letz-
tendlich bloß schadet.
Für diese Rechnungsweise hat die Regierung schon wieder die öko-
nomische Realität auf ihrer Seite - die sie auf diese Weise ins
Werk setzt. Ein bedingungslos auf Konkurrenzerfolg programmierter
Kapitalismus wie der bundesdeutsche kann keine Ansprüche an Lohn-
zahlungen und Leistungsanforderungen, also an seine Arbeitsplätze
vertragen außer denen, die die zuständige Firma stellt. Und umge-
kehrt: Indem die Regierung jede vom Kapital gewünschte Freiheit
bei der Einrichtung von Leistungsansprüchen und in der Bezah-
lungsfrage und außerdem für flexible Arbeitszeiten und für Kündi-
gungen zum Gebot erhebt, programmiert sie ihre Firmenwelt auf be-
dingungslosen Konkurrenzerfolg. Mit dem gewünschten Ergebnis: Mit
den eingerichteten Arbeitsplätzen - und mit einem ausgemusterten
Bodensatz von unnützen Kräften in doppelter Millionenstärke - hat
das Geschäftemachen seinen gefeierten Aufschwung genommen.
Warum und inwiefern die in Dienst genommenen oder ausgemusterten
Millionen sich über diese Sorte Arbeitsplatz mitfreuen sollen,
ist einerseits nicht einzusehen. Schließlich enthält das regie-
rungsamtliche Selbstlob wegen zahlloser neu zustandegekommener
Arbeitsplätze den kaum mißzuverstehenden Hinweis, daß mit den
Massen als abhängigen Dienstkräften kalkuliert wird; und dem Be-
harren auf der Freiheit der Geschäftswelt, über Lohn und Leistung
an jedem Arbeitsplatz zu befinden und ihr Verhältnis frei festzu-
legen, ist ja unschwer der Zweck der Einrichtung zu entnehmen. Es
geht um die Erträge aus einem Gebrauch von Arbeitskraft, der im
materiellen, gar nicht moralischen Sinn des Wortes Ausbeutung
ist. Die Wirkungen werden in langen Statistiken, nicht nur über
Entlassungen und Arbeitslosigkeit, sondern vor allem über aner-
kannte und nicht anerkannte Berufskrankheiten, über Berufsunfälle
und Frühpensionierungen, über Wohnungs- und Familiennöte und der-
gleichen teils erfaßt, teils verschwiegen; den Betroffenen sind
sie allemal bekannt.
Denen scheint aber andererseits die Frechheit zu imponieren, -
mit der die christlich-liberale Staatsgewalt die sachliche Ge-
setzmäßigkeit der Ausbeutung, die sie mit ihrer Pflege einrich-
tet, als eine Realität hinstellt, der auch sie sich nicht,
höchstens zum Schaden der Betroffenen, entgegenstellen könnte.
Diesen Realismus teilen die Betroffenen längst: Sie bemühen sich
um einen Arbeitsplatz, als handelte es sich um ihr Lebensmittel,
einfach weil sie unter den durchgesetzten Verhältnissen durchaus
k e i n a n d e r e s Mittel zum Überleben haben; ihre Abhän-
gigkeit von den ausbeuterischen Kalkulationen ihrer arbeitswis-
senschaftlich versierten "Arbeitgeber" haben sie als ziemlich un-
veränderlichen Sachzwang unterschrieben, den sie ihrer politi-
schen Herrschaft nicht anlasten mögen; und daß bei dieser Reali-
tät auch immer mal eine Entlassung ohne Neueinstellung anfällt,
ist in die klägliche Vorteils-/Nachteilsrechnung der "abhängig
Beschäftigten" schnell als fester Posten mit eingegangen. So ste-
hen die ruinösen "Beschäftigungsverhältnisse" in unserer herrli-
chen Republik nicht bloß nicht zur Wahl; es ist noch nicht einmal
populär und wahlwerbewirksam, auf einige besonders drastische
Nachteile vorwurfsvoll hinzuweisen, so als wollte oder könnte
eine sozialdemokratisch-gewerkschaftsfreundliche Regierung da auf
"mehr Gerechtigkeit" wirklich spürbar hinwirken. Solche Gerech-
tigkeitsillusionen hat das ungesunde Realitätsbewußtsein der Be-
troffenen weit hinter sich gelassen; bestenfalls schätzen sie op-
positionelle Parolen als folgenloses Beschwerdewesen, aber nie
und nimmer als praktikables Reformkonzept. Und darin haben sie
noch nicht einmal ganz unrecht; sonst in allem! Die Regierung,
andererseits, hat damit doppelten Grund zur Zufriedenheit: Die
Ausbeutung funktioniert bestens - und die Leute, die die Manö-
vriermasse dafür hergeben, wollen nichts als sich darin engagie-
ren. Bei so viel so solidem "sozialen Frieden" braucht es die Re-
gierung noch nicht einmal zu stören, wenn der jahrzehntelange
Aufschwung der Republik ihr inzwischen ein ganz neues "Problem-"
und Aufgabenfeld eingebrockt hat:
4. Ein umweltpolitischer Einsatz nach dem anderen
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Vergiftungskatastrophen der bislang geläufigen Art sind für die
Regierung, deren Chefideologen so beruhigend aufs Jenseits zu
verweisen verstehen, vielleicht ein Grund zu gelegentlichen Sor-
gen um die Waldbauern und die Volksgesundheit, aber auf keinen
Fall ein Grund zur Unzufriedenheit. Sehr schnell hat sie gelernt,
radioaktive Wolken und vergiftete Gewässer, gesundheitsschädliche
Lebensmittel und "sterbende" Wälder als lauter Aufrufe zu christ-
lich-demokratischer Führerschaft zu buchstabieren. Ein eigener
Umweltminister steht für die konstruktive Lüge ein, die Vergif-
tung wäre der sachgesetzliche Preis für alle Schönheiten des
technischen Fortschritts und müßte entsprechend umsichtig, ver-
antwortungsbewußt und vor allem souverän "bewältigt" werden. Da-
mit profiliert er sich; und das ist ebenso schön für ihn wie
nützlich für die engagierte Industrie.
Weniger erheiternd ist die Sache für die schleichend vergifteten
und bei Gelegenheit akut gefährdeten Millionen Volkskörperchen.
Die schließen ja nunmehr auch in ihrem Privatleben, in dem sie
sich für ihre gesunden Arbeitsplätze wiederherstellen sollen, Be-
kanntschaft mit allerlei Schädlichem, das in verschiedensten Be-
reichen einer modernen kapitalistischen Produktion, also zuerst
einmal an den Arbeitsplätzen so anfällt. Dort ist die Vergiftung
schon als kleine Nebenverdienstquelle per tarifliche und überta-
rifliche Zulagen - bewältigt. Wo das Gift die Freizeit ergreift,
macht es darauf aufmerksam, daß im Kapitalismus nichts zum Null-
tarif zu haben ist; kein Genuß der Natur, die dafür gar nicht da
ist, und allmählich auch die Luft zum Atmen nicht mehr.
Nichts davon nimmt die Regierung zurück und verhindert sie, wenn
sie den Umweltschutz samt Reaktorsicherheit und Notstandsplanung
in den Katalog ihrer Führungsaufgaben aufnimmt. Sie stellt sich
realistisch zu den riskanten Realitäten eines modernen Lebens:
Sie ergänzt die ruinösen Auswirkungen lohnender Produktionszweige
und -verfahren um ihre offizielle Deutung als "allgemeine Lebens-
" sowie besondere "Restrisiken", außerdem um Meßstationen, Alarm-
pläne, Bestandsaufnahme, Informationsrichtlinien, die Kennzeich-
nung nationaler Fluchtwege; vor allem aber betätigt sie sich mit
Vorschriften über erlaubte Schadstoff-Grenzwerte und deren uner-
laubte Überschreitung samt Rechtsfolgen als ebenso souveräne wie
verständnisvolle Herrin aller Wirtschaftsaktivitäten, die der Na-
tur und den Leuten altbekannte und hochmoderne Gifte zuführen.
Sie läßt ihre Macht keineswegs an den Eingangstoren chemischer
Betriebe, atomarer Energieerzeugungsanlagen oder, sonstiger
Schornsteine und Müllkippen enden; erst recht will sie diese
Macht aber nicht dazu mißbrauchen, den Betreibern giftspuckender
Fabriken und Anlagen einen ökonomischen Zweck aufzuerlegen, der
die Vermeidung von Giftausstoß als selbstverständliche Betriebs-
bedingung einschließt. Die Abfallfrage ist das allerletzte Pro-
blem, über dem Schwarze, Grüne und Rote auf die Planwirtschaft
als "Lösung" verfallen würden. Die Aufgabe der Politik definieren
sie einvernehmlich dahin, daß bei fortwährender Vergiftung der
Landschaft samt lebendem Inventar nicht mehr und nicht weniger
ansteht als A u f s i c h t. Vielleicht werden sogar Verbote
fällig; vor allem aber kommt die interessante Diskussion in Gang,
ob nicht härtere Strafen nötig wären. Christen, Grüne und Sozial-
demokraten konkurrieren um das Wohlgefallen des demokratischen
Publikums an der erbaulichen Vorstellung, Topmanager müßten am
Ende wegen toter Fische hinter Gitter. Das versöhnt auch kriti-
sche Gemüter mit der Realität, die jeder Rechtsfanatiker ja
durchaus auch kennt: Grenzwerte stellen zuallererst einmal eine
Erlaubnis dar, bis zur vorgeschriebenen Giftgrenze zu gehen; Mis-
setäter muß man erstmal erwischen; und überhaupt machen Verbote
das Verbotene keineswegs unmöglich, sondern setzen voraus, daß
das kriminalisierte Interesse mit seinen guten Gründen ungeschmä-
lert fortbesteht, also auch immerzu "Zwischenfälle" hervorbringt,
mit denen sich fortan eine ganz eigene Rechtspflegeabteilung be-
schäftigen darf.
Die Wallmänner der Nation regieren also durchaus in die Firmen-
welt hinein. Mit ihren Grenzwerten und Kontrollorganen herrschen
sie allerdings vor allem dem Rest der Gesellschaft den politi-
schen Grundsatz auf, daß sie mit ihrer Gesundheit als Umwelt der
Industrie zur Verfügung zu stehen hat. Die Benützung von Land-
schaft und Leuten als Gift- und Müllschlucker aller produktiven
Geschäftszweige der Nation wird durch die obrigkeitlich gesetzten
Schranken, aber noch nicht einmal in ihnen, zur Realität, auf die
sich jedermann einzustellen hat - die Staatsgewalt selbst vor al-
len anderen. Sie erhebt damit die Ruinierung natürlicher Lebens-
bedingungen in den Rang einer fest eingeplanten, politisch be-
treuten, dauerhaften, "sachnotwendigen" "Neben-"Wirkung einer
konkurrenztüchtigen Geschäftemacherei. Zahllose neue Sachzwänge
schließen sich an, von gesunden Tiefbrunnen bis zu roten Telefo-
nen und von Untersuchungslabors bis zur Vorratshaltung amtlicher
Gegengifte. Die Erschaffung einer kapitalistischen Natur mit Na-
men "Umwelt" wird von Staats wegen zur Realität, an der sich
christdemokratische Führungskunst beweisen darf, grüne Alternati-
ven sich verschleißen möchten, Sozialdemokraten die Einrichtung
eines Umweltstaatsanwalts erproben wollen und die Liberalen ge-
meinsam mit allen anderen die Ergänzungsbedürftigkeit unseres
Grundgesetzes entdeckt haben.
Denn weg-wählen läßt diese Realität sich nicht; das verspricht
keine Partei. Viel lieber kommen die Wahlkämpfer anläßlich der
Vergiftungskatastrophen auf das Thema zu sprechen, das ihnen
wirklich nah am Herzen liegt: Die Zukunft der Nation, denkbar un-
schuldig repräsentiert durch "unsere Kinder". Deren Anzahl gibt
der Regierung schon wieder Anlaß zur Zufriedenheit und zu einer
wahlwirksamen Erfolgsmeldung:
5. Ein kleiner Kinderberg zeugt von Optimismus
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Ob den die "familienfreundliche Politik" der schwarzen Bundesre-
gierung zustandegebracht hat, wie erst Herr Geißler und dann Frau
Dr. Süssmuth behauptet haben, oder eine Laune der Statistik mit
ihren mittlerweile gebärfähigen geburtenstarken 60er-Jahrgängen,
wie die Opposition "kritisch" dagegenhält: Zufrieden sind sie
alle damit, daß die deutsche Nation auf absehbare Zeit über deut-
schen Rassenachwuchs verfügt.
Das ist sicher schön für den Staat, der auf eingeborenes Men-
schenmaterial Wert legt. Was allerdings die glücklichen Eltern
von der regierungsamtlichen Erfolgsmeldung haben, steht auch
schon fest. Daß die Regierung jedes nicht abgetriebene Kind auf
ihr Erfolgskonto verbucht, heißt ja überhaupt nicht, daß sie
fortan dafür aufkommen wollte. Im Gegenteil: Sie hält sich zu-
gute, für das Maß an Optimismus, also an unbekümmerter Familien-
planung o h n e und g e g e n alle ökonomischen Rücksichten,
gesorgt zu haben, ohne das es im Zeitalter der Pille kaum zu Kin-
dern kommt. Damit lügt sie zwar auch wie gedruckt; Stimmung ge-
macht hat sie gegen das bißchen Freiheit beim Vögeln und für ein
schlechtes Gewissen bei den abtreibenden Müttern. Mit ihrem
Selbstlob stellt sie aber immerhin klar, daß zum Aufziehen von
Kindern einige Entbehrungen gehören, die eine christliche Obrig-
keit ihren Elternpaaren als tätigen Idealismus dankt - also mit
dem besten Gewissen von der Welt a u f e r l e g t.
So macht das Volk seiner Obrigkeit Freude. Und deswegen ist nicht
einmal das ein Anlaß für regierungsamtliche Unzufriedenheit, was
die Zimmermänner der Nation als Mißerfolg verstehen und als größ-
tes Problem beschreien:
6. Frustrierte Demonstranten und die letzten zwei Dutzend
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Terroristen werden dringend erledigt
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Schon diese Zusammenstellung der von der Regierung ausgemachten
Gegner des totalen inneren Friedens - sie stammt nämlich vom Bun-
desinnenminister und seinen Chargen, nicht von der MSZ - ist ein
Beleg dafür, daß in Sachen innere Sicherheit von einem politi-
schen Problem weit und breit nichts zu sehen ist.
Die noch nicht gefangenen Terroristen sind praktisch vielleicht
so gefährlich wie ein paar eifersüchtige Gattenmörder. Zu einer
politischen Affäre werden sie ausschließlich durch den Aufwand,
der um die Mittel und Chancen ihrer Ergreifung getrieben wird.
Mit diesem Aufwand meldet der Innenminister den Anspruch auf eine
so totale Volkskontrolle an, daß keine 20 Leute unentdeckt blei-
ben können. Da wird die Auslegung des staatlichen Gewaltmonopols,
das doch sonst mit etlichen "Restrisiken" bestens auskommt, schon
sehr radikal. Eine wählbare Opposition dagegen gibt es nicht: Daß
d i e s e "frei herumlaufenden Mörder" - im Unterschied zu allen
anderen! ein ganz und gar unerträgliches Problem für die bundes-
deutsche Rechtssicherheit darstellen, das war der fraglose Kon-
sens im inszenierten Streit um die berühmte "Kronzeugen-Rege-
lung". Mit der hatten die regierenden Rechten dem "verlotterten
Rechtsempfinden" ihres Volkes aufhelfen - also die Vorstellung
von einem antiterroristischen Abwehrkampf der Republik verbreiten
wollen, welcher nach Befehlshabern mit unbeschränkten Vollmachten
schreit. Den Effekt haben sie erreicht, auch ohne die gewünschte
zusätzliche Fahndungs-Vollmacht. Zweifellos ein schöner Erfolg
für die Regierung.
Ebenso erfolgreich haben die politischen Ordnungshüter jeglichen
Protest in der Nation gegen Aufrüstung und AKWs - mit den Atten-
taten der RAF in einen Topf geworfen; mit Hilfe der dauernd wie-
derholten Versicherung, natürlich wolle man keineswegs alles in
einen Topf werfen, aber... Die entsprechende polizeiliche Beglei-
tung jeglichen Protestes hat inzwischen dafür gesorgt, daß Demon-
strationen überhaupt nicht mehr als Mittel der Demonstranten tau-
gen, ihr politisches Anliegen bekanntzumachen, sondern nur noch
als Mittel der Staatsgewalt, ihren totalitären Anspruch auf Ein-
und Unterordnung weithin sichtbar geltend zu machen. Nicht nur
für die Polizeimeister, sondern für die ganze Nation zählt am
Protest allein der Gesichtspunkt, wie leicht es die "Ordnungs-
kräfte" mit ihm hatten. Wünscht sich ein Polizeiminister die
Demonstration, daß ihm Vollmachten und Gewaltmittel fehlen, dann
arrangiert er d i e. Und während in Göttingen und anderswo
alles auf- und weggeräumt wird, was in den Verdacht terroristi-
scher Gewalttäterschaft gebracht worden ist, vollstrecken die op-
positionellen Bundestagsanwälte des Protests die Gleichsetzung
der politischen Ansehnlichkeit eines kritischen Anliegens mit
seiner pflegeleichten Polizeigemäßheit auf ihre Weise: Sie stehen
dafür ein, daß die vaterländischen Protestbewegungen schon von
sich aus vor allem anderen für ein total intaktes staatliches Ge-
waltmonopol eintreten - "Gewaltfreiheit" nennen sie das, ebenso
wie ihre parlamentarischen Gegenüber.
Mit so viel offensiver Sozialfriedlichkeit kann die Regierung nur
zufrieden sein. Sie hat es nämlich geschafft, ihren Verkehr mit
ihren Bürgern überall, wo es ihr darauf ankommt, auf die allerab-
strakteste Prinzipienfrage herunterzubringen. Den staatsbürgerli-
chen Fanatismus des Durchgreifens kann sie perfekt bedienen und
nach Wunsch mobilisieren: So faschistisch haben die Demokraten
ihr wahlberechtigtes Volk hergerichtet.
Deswegen können sie sich auch darauf verlassen, daß kein Polizei-
knüppel zur Wahl steht: Gerade das ist ja das prinzipiellste,
also beste Wahlargument. Man muß allerdings zugeben: Alles andere
wäre paradox. Die Bremsung der Staatsgewalt läßt sich wirklich
nicht demokratisch herbeiwählen.
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Telefonseelsorge für Denunzianten
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"Vertrauliche Telephone zur Terrorismusbekämpfung
Mit 'vertraulichen Telephonen' will der Stuttgarter Innenminister
Dietmar Schlee (CDU) den Kampf gegen den Terrorismus verstärken.
In der Bevölkerung sei grundsätzlich eine hohe Bereitschaft zur
Zusammenarbeit mit der Polizei vorhanden, aber dennoch gebe es
sicher Bürger, die sich aus unterschiedlichen Gründen heraus
scheuten, ihr Wissen an die Ermittlungsbehörden weiterzugeben,
sagte Schlee. Deswegen habe er die Einrichtung 'vertraulicher Te-
lephone' in einigen Städten des Landes angeordnet. Dort können
Zeugen, die nicht mit der Polizei in Kontakt treten wollen, sach-
dienliche Hinweise ohne Namensnennung auf Band sprechen."
(Süddeutsche Zeitung, 4.12.)
Um den Anreiz für "sachdienliche Hinweise" gegen böse Nachbarn
noch etwas anzuheben, sollte die Bundespost gleich das gebühren-
freie Telefonat mit dem Bundeskriminalamt springen lassen. So er-
setzt moderne Kommunikationstechnik das altmodische Blockwartsy-
stem, und die "hohe Bereitschaft" im Volke zum Amateurspitzeltum
wird zwar kaum "Terroristen" zur Strecke bringen, aber insgesamt
das Verhältnis der Führung zum Volk noch "vertraulicher" gestal-
ten, als es ohnehin schon ist.
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