Quelle: Archiv MG - BRD ALLGEMEIN - Auf dem Weg zur Weltmacht
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Prinzipien eines christlich-demokratischen Handlungsbedarf
FOLTER, MORAL UND POLITIK
Als Zweck seiner Chile-Reise hat Norbert Blüm angegeben, er wolle
sich vor Ort überzeugen - davon, wie es die chilenische Regierung
mit dem Foltern hält.
Verlogener ging es nun wirklich nicht. Daß ein deutscher Minister
höchstpersönlich ermittelt und Beweise sammelt, ist schon für
sich abwegig genug. Wenn er dann ausgerechnet für einen Tatbe-
stand Zeugnisse sammelt, der jedem Zeitungsleser längst vertraut
ist, so ist das auch nicht übermäßig glaubwürdig. Dennoch hat
Blüm dauernd von Glaubwürdigkeit gefaselt, und Geißler daheim in
Bonn auch.
Die Inszenierung des Scheins, als hätte es seiner gewissenhaften
Prüfung bedurft, um in einer ziemlich zweifelhaften Prozeßlage zu
einer verläßlichen Anklage zu gelangen, lag dem Minister offenbar
sehr am Herzen. Heraus kam dabei allerlei über die Gesinnung von
Christdemokraten und anderen Politikern; über die einen, die um
den publikumswirksamen Verkauf ihres Beschlusses besorgt waren,
gelegentlich auch in Lateinamerika die Menschenrechte zu vermis-
sen - und über die anderen, die andere Akzente für opportun hal-
ten.
Der Anlaß
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Vierzehn Chilenen werden plötzlich politisches Tagesthema in
Westdeutschland. Interessant an ihnen ist die Perspektive, die
sie zu gewärtigen haben. Ihr von Pinochet regierter Staat droht
sie umzubringen. Das wird bekannt gemacht, um den Blick auf die
M ö g l i c h k e i t zu eröffnen, den Delinquenten in der BRD
Asyl zu gewähren. Und die damit aufgemachte Problemdebatte war
keinen Augenblick lang mit dem Entschluß zu verwechseln, den bun-
desdeutschen Draht nach Santiago für die Botschaft zu nutzen:
"Laßt die vierzehn frei, wir füttern sie durch!" Einfach so ein
paar Menschenleben retten - das ist auch in Bonn nicht Sache von
Politik und Diplomatie. Am Schluß fanden sich die verschiedenen
Lager der Debatte zu so handfesten Auskünften bereit wie
"notfalls die Aufnahme erwägen" und "kein Handlungsbedarf". Das
hat damit zu tun, daß ein Anlaß g e w ä h l t wurde, um Perso-
nen und politische " Linien" darzustellen; da ist nicht etwas
p a s s i e r t, was den führenden Figuren der Nation aufgrund
ihres Berufes die Erfüllung einer Aufgabe d i k t i e r t
hätte. Das Thema hieß erst einmal nur: "Wie halten es die in
Chile mit den Menschenrechten, wenn sie foltern?"
Darauf muß man kommen! Nach etlichen Jahren gedeihlicher Bezie-
hungen zu Pinochet, in denen nicht nur Besuche stattfanden, son-
dern auch manches Rüstungsgut ausgetauscht wurde, nun Beschwerden
über die rohen Sitten, mit denen Justiz, Polizei und Armee des
Generals zu Werke gehen! Diese kritische Einmischung in die
innenpolitischen Verhältnisse Chiles verrät ganz bestimmt nicht
den Mut des Norbert Blüm; vielmehr die Berechnung, mit welcher
der Maßstab der Menschenrechte in Anschlag gebracht wird. Dieser
selbstgestrickte Rechtstitel, mit dem jede auswärtige Herrschaft
ideell dem Test unterzogen wird, ob sie genauso untadelig regiert
wie man selbst, ist aus erstaunlich elastischem Material. Es
heißt M o r a l, dient ganz gewiß nicht als Leitfaden der Poli-
tik, läßt sich aber je nach Bedarf zur Aufstellung von Verfah-
rensregeln verwenden. Wann und wem gegenüber die Nicht-Einhaltung
der Vorschriften menschengerechten Staatmachens zum diplomati-
schen Vorwurf wird, ist kein Geheimnis: Es hängt schlich vom
I n t e r e s s e derer ab, die sich zum Vorbild erklären.
Der Grund
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Daß man als demokratischer Politiker so gut wie nirgendwo hinfah-
ren könnte, wollte man die Pflege der Menschenrechte bei jedem
Staat zur Bedingung für partnerschaftliches Treiben machen, hat
jüngst Kanzler Kohl in Nepal verkündet. Sooft nicht zuständige
Bürger die Menschenrechtsfrage gestellt wissen wollen, den rei-
senden Politikern aber nichts daran liegt, ihrem Gast(geber) da-
mit auf die Nerven zu fallen, sind lächerlichste Auskünfte fäl-
lig. Da ist manche knallharte Diktatur schon ewig "auf dem Weg"
zur Demokratie, das Volk bzw. die Opposition noch nicht ganz reif
für sie. Wegen der Ausbreitung rechtsstaatlicher Techniken, ge-
schweige denn ihres Ideals, wird eben keine Weltpolitik gemacht,
"Zusammenarbeit" findet umgekehrt an den extremsten Brutalitäten
in Partnerländern kein Hindernis - sogar die Kooperation der Ge-
heimdienste klappt da vorzüglich. Genaugenommen könnte sich ohne
die wirtschaftliche und militärische Bestückung durch die guten
NATO-Demokraten keine Diktatur in "unserer" Hemisphäre - und nur
da gibt es sie! - überhaupt halten. Wo es um Export und Import,
um Kapital- und Waffenhilfe geht, zählt "unser Interesse" als un-
anfechtbare Moral.
Wenn die Globetrotter "unseres Einflusses" zur Mißbilligung von
Unterdrückung schreiten und das auch noch zur diplomatischen Bot-
schaft machen, dann haben sie nur eines festgestellt - d a ß
d i e R e g i e r u n g e i n e s L a n d e s n i c h t
(m e h r) d e m I n t e r e s s e e n t s p r i c h t, d a s
s i e a m e n t s p r e c h e n d e n S t a a t h a b e n.
Das kann daher kommen, daß es ihnen die Machthaber vor Ort nicht
recht machen; bisweilen genügt da auch die fragwürdig gewordene
"Stabilität", die Unsicherheit der Garantie der Ordnung, die für
das Geschäft so unerläßlich ist. Dabei ist manchmal die Beförde-
rung eines Machtwechsels in "unserem Interesse", in anderen Fäl-
len schlicht die wohlwollende Kenntnisnahme einer sich abzeich-
nenden Wende. Auch im Falle der chilenischen "Entwicklung" ist es
überhaupt kein Rätsel, daß "wir" a u f e i n e "u n s"
g e n e h m e R e g i e r u n g n a c h P i n o c h e t set-
zen. Der diplomatischen Vorbereitung künftiger Gemeinsamkeiten
zwischen der BRD und einer an die Macht gekommenen Alternative in
Chile dienten die häßlichen Töne von Blüm bei seinem Besuch; er
hat schlicht die Unterdrückungsklagen der einheimischen Opposi-
tion bekräftigt, als er Pinochet das Foltern öffentlich ver-
übelte.
Der Streit
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Wir wissen nicht, was der Arbeitsminister über Chile unter Pino-
chet alles weiß. Wie dort gearbeitet und massakriert wird, hat
ihn dem Vernehmen nach nicht sonderlich interessiert. Der Partei-
tag der Christlichen Demokraten schon eher, und um den zu würdi-
gen, hielt er seine persönliche Anwesenheit für angemessen. Diese
Präsenz war ganz bestimmt nicht erforderlich, um das festzustel-
len, was einen Norbert Blüm kritisch werden läßt. An der Frage
der F o l t e r wollte er das chilenische Regime messen und
verdammen und selbst diese vergleichsweise leichte Übung hat er
zur Höchstschwierigkeit ausgebaut.
Von Anfang an ist es ihm darum gegangen, f ü r d a s R e c h t
einzutreten. Er wollte gar nicht einfach gesagt haben, daß Justiz
und Polizei in Chile so gemein sind, Leute zu foltern, die sie in
die Finger kriegen. Vielmehr hat er sein vorbildliches rechts-
staatliches Gewissen zur Schau getragen und als Zweck des Fol-
terns das G e s t ä n d n i s unterstellt, das die Behörden von
den Angeklagten haben wollten. So hat er sich gleich auch noch in
die Pose des Richters geworfen, der darüber zu befinden hat, was
von den Delinquenten zu halten sei. Sein streng rechtsstaatliches
Empfinden hat ihm eingegeben, die unter Folter zustandegekommenen
Geständnisse für nichtig zu erklären. Offenbar war er darauf aus,
nicht einfach als Parteigänger der Opfer aufzutreten. Nicht mit
dem Widerstand der vierzehn, die als Beispiel herhalten durften,
wollte er sich solidarisieren - e r plädierte für einen sauberen
Umgang mit den Verdächtigen.
Darüber hat sich Blüm die passenden Angriffe von seiten mancher
C-Brüder eingefangen und sich selbst ein Image verpaßt; daß die-
sem Bild des Humanisten ein Schwindel zugrundeliegt, ist zwar of-
fensichtlich, macht aber gar nichts. Seine rechtsphilosophische
Prinzipienreiterei - "erzwungene Geständnisse sind nichts wert",
tönte er mit Geißler im bundesdeutschen Sommerloch herum - hat
mit den Verhältnissen in Chile herzlich wenig zu tun. Dort geht
es nämlich nicht um das aparte Problem, wie ein Opfer des Rechts,
das es verletzt hat, angemessen seine Unterwerfung unter das Ge-
setz vollzieht, indem es seine Schuld bekennt. Gefoltert wird in
Chile nicht wegen protokollreifen G e s t ä n d n i s s e n,
sondern zu Zwecken der F a h n d u n g und der Säuberung des
Landes von politischer Opposition.
Das scheinen Strauß und die Seinen zu wissen und zu billigen
obendrein. Mit dem schlichten Argument, daß Angehörige des MIR
allemal schuldig sind, weil ihr politischer und bisweilen gewalt-
samer Widerstand unrecht ist, räumen sie locker "unfeine Behand-
lung" der Gefangenen ein u n d bestehen zugleich auf der Glaub-
würdigkeit der erfolterten Geständnisse = Schuld!
Ein wahrlich schöner Streit, in dem sich Zimmermann und Strauß
schließlich sogar noch auf amnesty internatioal berufen, weil
Mitglieder des MIR nicht zu den offiziellen Schutzbefohlenen der
protestierenden Saubermänner gehören! Ein Streit, der mit dem
phantastischen Beschluß endet, gegenwärtig bestehe "kein Hand-
lungsbedarf"! Da man ja - ganz im Vertrauen auf die chilenische
Rechtspflege - erst einmal das Urteil abwarten müsse.
Profilierung - wie geht das?
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Das wußten alle Betrachter des Theaters sehr schnell: In Bonn re-
sidiert keine Deutsche Lebensrettungsgesellschaft. Die Frage, was
wer im Zuge der Chile-Begutachtung wohl will, geriet nie in die
Nähe der Antwort, es ginge eben darum, ein paar Leute herauszuho-
len. Sicher war man sich über etwas ganz anderes: Wenn maßgebli-
che C-Grüppler eine Diktatur wie Chile öffentlich neu beurteilen
so tun sie das im Blick auf ihre Glaubwürdigkeit im eigenen Land.
Geißler und Blüm sagen ja auch, daß sie die Menschenrechtsan-
klage, die sie gegen den Osten 24mal am Tag vorbringen, deswegen
auch anderswo ventilieren, weil sie ihre ideologische Lieblings-
waffe nicht als Heuchler entlarven soll. Überzeugend ist ein sol-
cher Kommentar über die taktische Handhabung des Rufes nach den
Menschenrechten zwar nicht, weil er das heuchlerische Prinzip nur
bekräftigt. Aber für gut erzogene Demokraten tut er gute Dienste,
weil sie ihrer politischen Führung allemal die Freiheit zugeste-
hen, den Rest der Welt nach "unserem" nationalen Geschmack zu
kritisieren.
Genau dieser harte Inhalt der Affäre ist mit der Verwandlung in
eine "Profilierungsdebatte" zur Nebensache heruntergebracht wor-
den. Es mag ja sein, daß die Herren von der CDU mit ihrem
"Vorstoß" in Sachen Menschenrecht tatsächlich auf "linke" Wähler
schielen; vielleicht haben auch ihre Gegner recht, wenn sie sich
Nachteile beim stramm "rechts" orientierten Wählerrand ausrech-
nen. Nur geht bei dieser peinlichen Aufregung über die bundes-
deutsche Tour, rechte und linke Wähler auszutarieren, einiges un-
ter.
Erstens genügt den mündigen Bürgern des Landes ein Spruch von Re-
gierenden über Folter in Chile, um sich so oder so für die Regie-
rungskunst made in Germany stark zu machen. Ob nun der chileni-
sche Gewaltapparat auch nur ein Opfer weniger drangsaliert, in-
teressiert da überhaupt nicht mehr.
Zweitens halten es die mündigen Bürger für das Selbstverständ-
lichste von der Welt, daß ihre Volksvertreter das gesamte Ausland
inspizieren und darüber befinden, wie auswärts regiert werden
soll. Sie sind sogar bereit, ihrem Blüm eine Menschenrechtsphrase
auf dessen politischem Ehrenkonto gutzuschreiben, ohne je im
Traum darauf zu verfallen, die Rechnung einmal umgekehrt aufzuma-
chen. Daß "unser Einfluß" in aller Welt so manche Diktatur mit
ihrem Elend und ihrer Gewalt am Leben hält, will niemand auffal-
len. Also auch nicht, daß die Menschenrechtsphrasen aus dem Munde
von NATO- und Weltwirtschaftsmachern nur der heuchlerische Zusatz
zu einer p o l i t i s c h e n E i n m i s c h u n g sind, die
auf der halben Welt so ungemütliche Zustände wie in Chile
schafft.
Drittens lassen sich die staatlichen Geschöpfe der maßgeblichen
Demokratien wunderschön mit den Verhältnissen bei uns in Deutsch-
land v e r g l e i c h e n - und siehe da, wir leben im Paradies
der Menschenrechte. Da sind sich "rechte" und "linke" Wähler so
merkwürdig einig, daß unser "System" allemal vorbildlich ist, nur
Gutes schafft und deshalb auch e x p o r t i e r t gehört.
Viertens will schließlich niemand mehr zur Kenntnis nehmen, daß
der Wunsch nach einer weltweiten Verbreitung der Menschenrechte
nur deshalb so lebendig ist, weil "unsere" I n t e r e s s e n
schon exportiert sind. Wenn sie demnächst in Chile von den
christdemokratischen Freunden des Norbert Blüm wahrgenommen wer-
den, geht ein bißchen Polizeistaat sicher in Ordnung. Denn soviel
haben die Christlichen längst von der Sozialistischen Internatio-
nale des Willy Brandt gelernt: Es ist immer gut, regierungsfähige
Freunde im Ausland zu fördern, bis sie zum Zuge kommen. Dann kön-
nen sie als Statthalter der Freiheit für "Stabilität" sorgen.
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