Quelle: Archiv MG - BRD ALLGEMEIN - Auf dem Weg zur Weltmacht
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Bundestagswahlen
ERMÄCHTIGUNG '83
Daß Zustimmung zur demokratischen Herrschaft sich jeglichem Ver-
gleich mit den materiellen Wünschen der Bürger versagt - mit die-
ser Wahrheit gehen heutzutage die berufenen Vertreter der Staats-
gewalt offensiv für sich werben.
Dabei ist nicht erst seit den Tagen, an denen die sogenannte
"Wende in Bonn sich in neuen unionschristlich eingefärbten Cha-
raktermasken auf Regierungsbänken niederschlug, eines klar, daß
sich wahrer Bürgersinn im Gehorsam an den von oben beschlossenen
"schweren Zeiten" zu bewähren hat. Umgekehrt bringt sich staats-
männische Glaubwürdigkeit darin am genialsten zum Ausdruck, wie
sie die verordnete Not als lehrreichen Test auf das nationale
Durchhaltevermögen ihres Volkes zum besten gibt. Wo sich Politi-
ker nur noch am selbstgesteckten Maßstab des "Mutes zu unpopulä-
ren Maßnahmen" messen, beweisen sie gleichzeitig ihre Popularität
in öffentlichen Moral-Appellen zu "Zuversicht und Optimismus" im
Aushalten der "Schwierigkeiten", die sie ihren Bürgern auch für
die Zukunft fest versprechen.
Und die Herren in Bonn "stehen zu ihrem Wort". Das haben sie in
Sachen vorgezogene Neuwahlen bewiesen. Diese passen schon deshalb
so gut in eine als "Scherbenhaufen" bebilderte politische Krisen-
landschaft, weil sie den "kleinen Mann auf der Straße" aus-
schließlich als W ä h l e r für die E r m ä c h t i g u n g
seines von Staats wegen für notwendig befundenen Opfers antreten
lassen.
In den breiten Debatten um das Warum, Wie und Wann von Neuwahlen
kam deshalb der ehemals bei diesem "demokratischen Urakt" noch
gepflegte Anschein einer Bezugnahme auf das Interesse des Stimm-
volkes gar nicht vor.
"Ich will wählen, ich werde wählen, und ich werde die Wahl gewin-
nen", gab der neue Regierungschef nach innen und außen bekannt
und forderte Hochachtung vor dem Mut, den seine noch junge, aber
schon sehr tatkräftige Regierung "aufgebracht hat, sich Neuwahlen
zu stellen". Und sein Generalsekretär "begründete" den Beschluß
des Kanzlers: Es muß gewählt werden, damit der Kanzler vier Jahre
für das Zeit hat, was er sich vorgenommen hat.
D a f ü r hat der Wähler mit seiner Stimme zu sorgen. Als
M i t t e l der Herrschaft darf er deren souveränes Wirken gegen
ihn mit seinem Kreuz absegnen - nicht mehr, aber auch nicht weni-
ger. Vom Standpunkt des so, für die Stabilität der Macht in die
Pflicht genommenen Stimmviehs schied ganz selbstverständlich die
Betroffenheit des Bürgers als ernstzunehmender Streitpunkt in der
Kontroverse um Neuwahlen aus. B e t r o f f e n sollten ganz
andere weit über dem schnöden Materialismus der Massen stehende,
höhere Dinger sein: so das Ansehen der Politik, die Verfassung
oder gar der Bundespräsident.
Kalkulierte Vertrauensstornierung...
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Der Fall war klar, die Taktik mit der dazugehörigen Heuchelei
kein Geheimnis. In Bonn hatten alle Parteien beschlossen, das
Volk noch vor Ablauf der regulären Legislaturperiode zur Akklama-
tion an die Urnen zu holen. Die vor der Zeit an die Macht gekom-
menen Politchristen waren dafür, weil sie sich gute Chancen für
einen Wahlgewinn ausrechnen: Die Lasten für den arbeitenden Teil
des Volkes lassen sich noch als "Erblasten" verkaufen, und außer-
dem will man sich beim "Staat-in-Ordnung-Bringen" nicht schon
wieder in zwei Jahren durch lästige Wahlen stören lassen.
"Was heißt denn der Verzicht auf zwei Jahre, wenn wir vier gewin-
nen können." (CDU-Parlamentarier Franz Möller)
Die vorzeitig aufs Oppositionsteil geschickten Sozialdemokraten
waren für Bundestagswahlen, um mit ihrem gedolchstoßten Helmut
noch einen Stich zu machen, herübergemachte Frei- als geeinigte
Sozialdemokraten für den enttäuschten Liberalen möglichst wirksam
zu vermarkten und ansonsten die Kontinuität, mit der die neue Re-
gierung den Leuten ans Existenznotwendige geht, als unso-
zial(demokratisch)es Plagiat herauszustellen. Schließlich war
auch der "organisierte deutsche Liberalismus" dafür, weil alle
dafür waren.
Nach kurzer Debatte, ob man den Bundestag geschickter über eine
getürkte Uneinigkeit in der Regierungskoalition (Genscher war da-
gegen) oder gleich über ein nicht so gemeintes Mißtrauen für Kohl
auflöst, entschied man sich für letzteres, zumal das Grundgesetz
dafür einen eigenen Artikel besitzt. Alfred Dregger - volksnah
wie er ist - kam
"...zu der Auffassung, es sei das beste, den Wählein eine 'klare,
verständliche und einfache Begründung' zu liefern, die auch der
Mann auf der Straße verstehe. Dreggers Parole vor der Fraktion
lautete denn auch: 'Wir geben Helmut Kohl unser Vertrauen - aber
erst nach den Wahlen im März.'" (Süddeutsche Zeitung, 10.12.82)
"Der Mann auf der Straße" verstand die kalkulierte Vertrauens-
stornierung der CDU und wunderte sich nicht, daß am 18. Dezember
keine bundesdeutsche Zeitung die Schlagzeile trug: "Nur acht Ab-
geordnete im Bundestag vertrauen Kohl." Stattdessen wurde eine
geglückte Mißtrauerisinszenierung bekanntgegeben: "Bundestag öff-
net den Weg zu Neuwahlen mit Entzug des Vertrauens für Kohl."
Praktisch war damit die Sache gelaufen: Dem demokratischen Men-
schentypus Wähler, war von seiten der Politik Tür und Tor geöff-
net, um sich alsbafd frei auf seinem Stimmzettel für den beab-
sichtigten Zweck des Machtgewinns seiner Herrschaften zu ent-
scheiden.
...mit Heuchel-Show
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Ideologisch dagegen war die Sache längst nicht ausgekostet. Nicht
nur Abgeordnete, denen der vorgezogene Wahltermin stank, weil
ihre für vier Jahre sicher geglaubten Diätenfelle davonzuschwim-
men drohten, bekamen plötzlich Schwierigkeiten mit ihrem Volks-
vertretergewissen. Allenthalben war von "absurdem politischen
Theater", "Roßtäuscherei", "Vulgarisierung der politischen Kul-
tur" und "würdelosem Kasperltheater" die Rede. Mitglieder des Ho-
hen Hauses, die sonst mit dem guten Gewissen der Gewalt jedem
Spar- und Aufrüstungsbeschluß das Wort reden, wollten anhand der
M e t h o d e n der Herbeiführung von Volksakklamationen auch
noch das Problem ihrer Selbst- und der Achtung vor der Herrschaft
überhaupt diskutiert wissen. Wie bestellt meldete sich aus jeder
Fraktion mindestens eine Figur zu Wort und absolvierte profimäßig
den demokratischen Heuchelsketch nach dem Motto: Je respektloser
die Politik auf der Unbedingtheit ihrer Macht beharrt, um so mehr
gebührt ihr der Respekt von unten: Da wollte ein CDU-Parlamenta-
rier aus seinem Herzen keine Mördergrube machen und stimmte mit
einem gezielten und geplanten Ja für Kohl, weil er ihn ohnehin
für den sicheren Wahlsieger halte. Da riskierte der am Ende sei-
ner Karriere angelangte Altfreidemokrat Schmidt (Kempten) durch
Nichtbeteiligung etwas und rettete so seine Selbstachtung mit
hinüber in den Ruhestand. Da ließ Helga Schuchardt das Geschäft
der Macht hochleben, um es durch den schlechten Stil des Herrn
Kohl beschmutzt zu sehen:
"Herr Kohl, was haben sie aus diesem Parlament gemacht?"
Die Sozialdemokraten schließlich waren in der glücklichen Lage
der Opposition. Ihr Nein zum Vertrauen für den Regierungschef ge-
nügte nicht nur dem gemeinsamen Zweck, es brauchte sich auch - im
Gegensatz zur vertrackten Enthaltung der Unionschristen verfah-
rensmäßig nichts nachsagen zu lassen. Deshalb versäumte es auch
ihr Ehmke nicht,
"noch einmal klarzustellen, daß das Nein der SPD nicht nur dem
Kanzler, sondern auch dem Verfahren",
gelte und somit seine Partei über ein lupenreines Verhältnis zur
Macht verfüge. Gerade in letzterem aber wollte Dregger seiner
Fraktion gar nichts am Zeug geflickt sehen. Er deutete den Ver-
trauensentzug für Kohl als eindeutiges Indiz für die
'"Standhaftigkeit" der Union, wenn es um "staatspolitische Ge-
bote" geht. Dafür zitierte er sogar Goethe:
"Denn der Mensch, der in schwankenden Zeiten selbst schwankend
gesinnt ist, der mehret das Übel und breitet es weiter und wei-
ter."
Nicht daß an diesen ganzen Großkotzigkeiten irgendetwas gewesen
wäre, was nicht für jeden als Getue um die sehr eindeutige Ab-
sicht der Parteien, die Staatsgewalt in ihre Finger zu kriegen,
durchschaubar war. Der Vorwurf der "Heuchelei" mit der dazugehö-
rigen Entlarvung, daß es dem jeweils anderen "nur um die Macht"
zu tun sei, gehört heutzutage vielmehr schon zum guten Ton in der
Parteienkonkurrenz, wo sich Politiker in der bekannten Manier um
den paradoxen Nachweis aufführen, daß der am meisten die Macht
verdient, dem es am wenigsten darum geht.
Dabei zeihen sich diese Damen und Herren gerne der Falschheit,
die sie alle für ihre Selbstdarstellung nicht missen wollen. Sie
gehört offenbar so sehr zur souveränen Eigenart des Politikerbe-
rufs, daß sie als selbständiges Kriterium für die Güte seiner
Ausübung gilt. Getrennt von den handfesten Taten der Politik wer-
den d i e M e t h o d e n i h r e r K o n k u r r e n z, die
miese Schauspielerei ihrer Funktionäre, wie sie auf vertrauens-
würdig, ehrlich, volksnah usw. machen, dem Wahlvolk als Grund ge-
nug angeboten, diese Herrschaften mit der Gewalt über sich zu be-
trauen.
Würdige Glaubwürdigkeitsprobleme
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Angesichts dessen ist es eine speichelleckerische Leistung erle-
sener Güte, die Absolutheit des Willens zur Macht, zu der sich
die Politik im März durch Wahlen beglückwünschen läßt, als
Z w a n g s l a g e zu deuten:
"Gewiß liegt der Grund dafür (für Wahlen) auch in der plebiszitä-
ren Stimmung, die in unserer Gesellschaft inzwischen eingezogen
ist. Keine Partei konnte es da wagen, sich dem Ruf nach Neuwahlen
zu entziehen." (Zeit, 17.12.82)
Da soll doch tatsächlich eine "Stimmung" derart laut nach Neuwah-
len gerufen haben, daß die verschreckten Parteioberen sich nichts
anderes mehr trauten, als dem schleunigst nachzukommen. Dieses
Bild von einer dem Plebs hörigen, weichgewordenen Staatsmacht
lügt der Leitartikler seinen Lesern nicht etwa deshalb in die Ta-
sche, weil er meint, irgendjemand würde es als Tatsache nehmen;
er gebraucht es, um sich daraus seinen kritischen Aufruf zur Ver-
antwortung für alles, was die Politik in fragloser Machtvollkom-
menheit entscheidet, zu drechseln.
Wo der Staat nichts als seine Freiheit beweist, ergreift die de-
mokratische Öffentlichkeit - kritisch, wie es sich für sie gehört
- so Partei dafür, daß sie ein "Risiko" nach dem anderen ausmalt.
Aus dem von den Parteien f ü r s i c h reklamierten Stimmkreuz
wird ein Unsicherheitsfaktor ersten Grades stilisiert; wobei noch
stets die Wahrheit herauskommt, daß es sich bei den beschworenen
"Gefahren" für das Regieren in Bonn um keine mit dem Gehorsam der
Untertanen (der gehört nämlich zum Wählen wie das Amen in die
Kirche) handelt, sondern ausschließlich um solche, die der Staat
s i c h s e l b s t bereiten könnte: Etwa, indem er z u o f t
den Urnengang verordnet und damit leichtsinnigerweise den Ein-
druck erweckt, als hinge der Gang seiner Geschäfte von irgend et-
was ab; etwa, indem der Kohl sein Ziel der "Regierung der Mitte
verfehlt" und mit einer absoluten Mehrheit samt intrigantem
Strauß, aber ohne liberales Element in einer ungut
"polarisierenden" rechten Ecke stehen würde (der Ärmste!); etwa,
indem "Hamburger Verhältnisse" (aber Hamburg ist ja leider inzwi-
schen auch schon nicht mehr das, was es einmal war) geschaffen
würden und so - um der "Regierbarkeit" willen - der "Zwang zur
großen Koalition" entstünde, was der "politischen Kultur" ganz
ohne ordentlich dafür seienden parlamentarischen Widerpart scha-
den könnte etc. Den Vogel in dieser Debatte schoß zweifellos "Der
Spiegel" ab. Er, der in seinen besten Jahren noch so manchen Po-
litiker über die von ihm selbst aufgebaute Klinge der
"Glaubwürdigkeit" - in den vorzeitigen Ruhestand springen ließ,
meinte ganz auf dem Dampfer der "schweren Zeiten" - heute den Po-
litikern den Vorwurf nicht ersparen zu können, zu sehr genau auf
dieses Kriterium ihrer Selbstdarstellung geachtet und nicht ein-
fach stringent weiter Staat gemacht zu haben. Nicht von ungefähr
fällt ihm dabei die Bevölkerungsgruppe als Beleg ein, auf die es
nun einmal ankommt in einem ordentlichen Klassenstaat:
"Mag es noch so viele Gründe gegen vorzeitige Wahlen geben, mögen
die Unternehmer lamentieren, der Konjunktur bekomme die Unsicher-
heit nicht - jetzt muß gewählt werden. Den Politikern geht es nur
noch um eines: ihre Glaubwürdigkeit."
Alt im Sinne von Kamelle ist am "Spiegel" nur noch die Tour, wie
er seiner Geilheit aufs effektive Staat-Machen im Konterfei eines
unverwüstlich heimtückisch-lauernden Strauß Ausdruck verleiht.
"Um der mutwillig ins Spiel gebrachten eigenen Glaubwürdigkeit
willen müssen die Christdemokraten in eine Wahl, in der sie den
gefährdeten Genscher und seine FDP mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit verlieren und sich dem Erpressungsdruck der
Strauß'schen CSU voll ausliefern werden." (Spiegel, 13.12.82)
Es ist schon eine reife journalistische Leistung, alles als Not-
lage der Politik zu deuten, was die Führer der Nation in äußer-
ster Freiheit gegenüber den Härten ihrer politischen Praxis fürs
Volk, diesem nur noch über, das formelle "Versprechen", daß sie
ihre Beschlüsse auf jeden Fall auch durchzuziehen gewillt sind
("In Kohl hat die Republik wieder einen Kanzler, der die Wahrheit
sagt." Geißler) an "Glaubwürdigkeit" abfordern. Da sollen sich
doch tatsächlich die herrschenden Parteien "mutwillig" am eigenen
Ast sägen und allem besseren Streben nach einem starken Staat zum
Trotz sich um die Chancen der Macht bringen. Schlimmer noch, sie
"mußten" es, weil sie sich hemmungslos in das Dilemma verrannt
hatten, "entweder die Verfassung oder ihr Wahlversprechen zu bre-
chen".
"Der Schildbürgerstreich der Neuwahlen wird die Malaise der Bun-
desrepublik nicht beenden, sondern verstärken. Um ihre Glaubwür-
digkeit zu retten (die sie stets nur in Stimmergebnissen messen),
haben die Parteien die Verfassung verbogen - das einzige, was
diesem Lande Halt gibt." (Stern, 29.12.82)
Wenn die Verfassung leidet
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Auch ein schöner Dreh, die politischen Willenserklärungen zu gou-
tieren, indem man sie an ihren eigenen rechtlichen Willenserklä-
rungen problematisiert. Vornehmlich in ihrer seltsamen Erschei-
nungsweise als "Wesen" oder "Geist" wird die Verfassung als das
eigentlich leidtragende Subjekt vorgestellt, schwer demoliert
durch das unsinnige Beharren auf einem unzweckmäßigen
"Wahlversprechen".
"In der Tat haftet diesem Umgang mit dem parlamentarischen Ernst-
fall-Instrument der Vertrauensfrage etwas von der augenzwinkern-
den Theatralik eines um seinen Inhalt gebrachten Rituals an; der
Bundestag demonstriert eine Regierungs-Unwilligkait, die realiter
gar nicht existiert, und zwar lediglich zum Zweck, sich demnächst
durch den Wähler in seiner Regierungsfähigkeit bestätigen zu las-
sen." (Zeit, 17.12.82)
Wo die Bonner Parteien einvernehmlich erklären, daß das genau der
Witz an ihrem "Wahlversprechen" ist, den Bürger Wähler
"lediglich" für die Bestätigung ihrer Regierungsvollmacht an ei-
nem 6. März heranzuziehen, um ihm dann - mit voll legitimierter
Souveränität - ihre Regierungsfähigkeit handfest einzubleuen; wo
die Koalitionsparteien sich für genau diese Absicht mit einem
Grundgesetz-Artikel in die Pflicht nehmen, da läßt es sich eine
aufgeklärte, profimäßig organisierte demokratische Öffentlichkeit
nicht nehmen, sich die Pose des letzten Verfassungstreuen abzu-
schminken. Ihr kämpferisch vorgetragener Grundgesetz-Idealismus
("eine nach dem Wesen des Grundgesetzes verfassungswidrige Insze-
nierung") bezieht dabei seine ganze Schau aus der Anerkennung der
"Verfassungswirklichkeit". Soviel nämlich steht auch für die kri-
tischsten Geister unter den Meinungsmachern außer Frage, daß die-
ses grundlegende Gesetzeswerk eben eines ist, in dem sich der
Staat an seinen e i g e n e n Notwendigkeiten orientiert. Nur
w i e er diesen Notwendigkeiten anhand der Verfassung Geltung
verschafft, darum wollen sie schon noch einigen regiekritischen
Wind gemacht haben: Hätte das Ganze z.B. nicht sauberer und von
der Dramaturgie her in sich schlüssiger über die Bühne gebracht
werden können?
"Gewiß die Koalitionsvereinbarung dokumentierte bereits die Ab-
sicht, Neuwahlen zur Not auch gegen das Grundgesetz herbeizufüh-
ren. Aber dies schloß doch nicht die Chance aus, nachträglich
verfassungskonforme Voraussetzungen für vorzeitige Neuwahlen zu
schaffen." (Süddeutsche Zeitung, 15.12.82)
Und wenn schon die Chose - etwa durch einen vorbereiteten Rück-
tritt der FDP-Minister - stilistisch nicht ordentlich durchge-
feilt war, warum hat man dann nicht wenigstens bei den Begrün-
dungsmonologen der Fraktionschefs auf politisch höherstehende
Kultur geachtet und "nicht einmal den Schein gewahrt"?
"Und wenn es schon am Mut und Gespur für verfassungspolitische
Korrektheit gebrach, weshalb hat man dann nicht wenigstens das
Taktgefühl besessen, die vorsätzliche Verfassungsbeugung so gut
dies eben geht zu kaschieren?" (ebd.)
Schlußendlich, da die Inszenierung nun einmal - verpatzt, wie sie
war - über die Bühne gegangen ist und auch das Veto des Verfas-
sungsorgans Bundespräsident angesichts der Verwilderung des poli-
tischen Geschmacks nichts mehr besser macht - schließlich hat
"...die zynische Operation mit scheinheiligen Legitimationsfor-
meln das öffentliche Bewußtsein längst derart deformiert, daß ein
solches Veto wahrscheinlich weithin falsch verstanden würde."
(ebd.)
- bleibt auch dem intellektuell weit unterforderten Kommentator
nur noch der leicht resignative Trost, künftig von den Staatsge-
waltigen mehr theatralischen Mut zu fordern, wenn es um die öf-
fentlichkeitswirksame Identifizierung der Massen mit ihren Vorha-
ben geht:
"So könnte man sich in die vorzeitigen Neuwahlen nur unter der
einen Voraussetzung fügen, daß man aus diesen Vorgängen lernt,
wie man es nie mehr machen sollte." (ebd.)
Hommage für das oberste Verfassungsorgan
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Obwohl zu keinem Zeitpunkt von irgendjemand in der Republik be-
zweifelt wurde, ob sich der politische Beschluß zu Neuwahlen
durchziehen ließe (dafür ist unsere Demokratie viel zu stabil),
wurden diese Zweifel doch heftig ideologisch genährt, um neben
dem Ansehen des Staates, der ihn tragenden Parteien und der Ver-
fassung vor allem einem Staatsorgan die Referenz zu erweisen: dem
Bundespräsidenten. Zur ausgiebigen Verwirklichung dieses Vorha-
bens überließ Carstens seiner Öffentlichkeit den vollen grundge-
setzlichen Spielraum von 21 Tagen. Und die hiesigen Meinungsbild-
ner machten ihren Bückling vor dem obersten Repräsentanten des
Staates tief, tiefer geht's nicht. Vorbereitend dazu verliehen
sie erst einmal dem formellen Akt, daß sich die Regierenden in
Bonn zu ihren wechselnden Kräfteverhältnissen immer noch eine Be-
stätigungsurkunde in der benachbarten Villa Hammerschmidt abholen
müssen, eine weitreichendere Bedeutsamkeit:
"Der Augenblick ist in der Tat nicht ohne Dramatik. Denn seitdem
am vergangenen Freitag Bundeskanzler Kohl Bundespräsident Car-
stens um die Auflösung des Bundestages ersucht hat, ist das ganze
komplizierte Kräfteverhältnis, das die Aktionen und Reaktionen
der Bonner Politik ansonsten zügelt und balanciert, gleichsam auf
einen, noch dazu fast exzentrisch gelegenen Punkt, auf die Ent-
scheidung eines Mannes gestellt."
So "...lastet in diesen Wochen zwischen den Jahren ein guter Teil
des politischen Schicksals der Bundesrepublik christopherushaft
auf Carstens' Schultern." (Zeit, 24.12.82)
Man stelle sich das einmal vor. Da schmeißen diese Parteien ihr
"kompliziertes Kräfteverhältnis" einfach an einen "exzentrisch
gelegenen Punkt", und jetzt sitzt es dem armen alleinstehenden
Carstens im Genick. Und das alles bloß, weil im Artikel 68 des
Grundgesetzes steht, daß die durch eine Vertrauensfrage ange-
strengte Auflösung des Bundestages erst eine ist, wenn ihr der
Bundespräsident seinen höchsten Segen erteilt hat.
"Da steht er nun, urplötzlich in eine historische Rolle gedrängt:
die wohlerhaltensten 68 Jahre, die man sich denken kann, unge-
beugt und blitzenden Augs - und läßt sich nichts anmerken." (ebd)
Nun wäre dies ja alles kein Problem. Carstens - rüstig wie er
sich in seinem arbeitslosen Leben gehalten hat - steht wie eine
Eins, sagt wie geplant Ja zu Neuwahlen, hat damit "das Kräftever-
hältnis" vom Hals und kann wieder wandern gehen. Also lautet der
Beschluß, muß man daraus eine "Schicksalsstunde" der Nation ma-
chen. Der Bundespräsident wird in eine "psychologische Druckku-
lisse" gestellt, bedrängt auf der einen Seite durch den
"Parteienegoismus", der mit dem Drucken der Wahlkampfplakate
nicht warten mag, bis der Präsident seinen Entscheidungsspielraum
zeitlich ausgekostet hat; auf der anderen Seite durch die Würde
seines Amtes, um deretwillen allen geschaffenen Tatsachen zum
Trotz unbedingt der Schein, als gäbe es sie noch nicht, gewahrt
bleiben muß.
"Dabei schadet dieser rüde Umgang mit rechtlichen Ordnungen ja
nicht nur der politischen Kultur und der Glaubwürdigkeit gegen-
über jenen, die man zum Respekt vor der demokratischen Verfassung
erziehen will. Vor allem vergrößert diese Rücksichtslosigkeit die
Kalamität, in der sich der Bundespräsident befindet. Wenn man ihn
schon in den eigenen Parteiegoismus einspannt, hätte man ihm doch
die Situation erleichtern müssen. Statt dessen fügt man der Nöti-
gung noch den Hohn hinzu." (Süddeutsche Zeitung, 15.12.82)
Wie man inzwischen weiß, hat Carstens aus dieser extra für die
Verherrlichung seines Staatsamts erfundene "Kalamität" das Beste
gemacht. Er sah sich durch den wohl vorbereiteten öffentlichen
Background "genötigt", dem Staatsvolk via Fernsehen ins Haus zu
kommen, um ihm in Form einer Begründung seiner schweren Entschei-
dung ("Ich habe es mir nicht leicht gemacht") zu verkünden, daß
alles, was in den oberen Etagen der Macht beschlossen wird, den
uneingeschränkten Respekt der Untertanen verdient. Dafür führte
er ins Feld, daß er erstens seine ganzen Weihnachtsferien dafür
geopfert habe, sämtliche kompetenten Äußerungen zu einer längst
feststehenden Entscheidung "sorgfältig zu prüfen"; daß zweitens
"die Bedenken gegen das eingeschlagene Verfahren" zwar aufgrund
ihrer Konstruktivität sehr dankenswert seien, aber "nach meiner
Ansicht nicht durchgreifen",
weil auch ein Bundespräsident an der Tatsache eines derart ein-
heitlich von allen Parteien vertretenen Machtanspruchs "nicht
vorübergehen kann"; drittens sei die stilkritische Forderung nach
einem sauberen Rücktritt des Bundeskanzlers kleinlich, weil es
der "kompliziertere Weg" für den doch sehr einfachen Zweck sei;
und viertens sollten "in dieser kritischen Situation, die in der
Geschichte der Bundesrepublik bisher einmalig ist", die Wähler
ihrem Auftrag zu wählen, gerecht werden, dann könnten sie sich
auch sicher sein, daß sich die Politik bei ihren bevorstehenden
"Entscheidungen von großer Tragweite" immer auf sie beruft.
So steht ihnen also nichts mehr im Wege, den
Neuwahlen im März
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b e s c h l o s s e n schon im November von den Koalitionären
Kohl, Genscher und Strauß, offiziell ausgeschrieben vom Bundes-
präsidenten am 7. Januar. Hinter dem Hickhack um Zeitpunkt und
Verfahrensweisen, wie und wann denn der Wähler das Wort haben
soll, steckt nichts anderes als die Spekulation auf die günstig-
ste Startposition für die Konkurrenten um die Macht in Bonn und
eine sehr klare Absichtserklärung, w o f ü r d e r Wähler beim
Wort g e n o m m e n wird: Er hat am 6. März entweder die Re-
gierung zu bestätigen oder die Opposition an die Regierung zu
bringen, in beiden Fällen dafür zu sorgen, daß in Bonn "stabil"
über ihn r e g i e r t wird.
Bei den anstehenden Wahlen kann nicht einmal mehr der Schein auf-
kommen, hier würde über irgend etwas anderes entschieden als über
die Personalbesetzung zur Durchführung dessen, was längst be-
schlossene Sache ist. "Sparprogramm" und Aufrüstung werden konse-
quent ausgebaut und fortgesetzt. Durch den Wahlentscheid im März
erhalten die Politiker für volle 4 Jahre einen Freibrief, in al-
ler F r e i h e i t das Beschlossene zu tun, so wie sie es für
notwendig halten. Demokratische Wahlen 1983 in der Bundesrepublik
haben erklärtermaßen den Charakter von E r m ä c h t i-
g u n g s g e s e t z e n, mit dem Unterschied zu 1933, daß sie
nicht dem Faschismus den Weg ebnen, sondern demokratische
Staatsmänner b e s t ä t i g e n, die die westdeutsche Demo-
kratie in "schweren Zeiten" verwalten mit allen ihren bekannten
Segnungen fürs Volk. Hieß es vor 50 Jahren, die Deutschen hätten
nicht g e w u ß t, was auf sie zukommt, so wird es ihnen heute
von allen Seiten g e s a g t - Wahlkampf 1983!
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