Quelle: Archiv MG - ASIEN VIETNAM - Ein Trauma der Amis?
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Vietnam
SOZIALISMUS IN INDOCHINA CONTRA SÜDOST-USASIEN
Daß der "Sieg im Volkskrieg" zwar das Marionettenregime im Süden
beseitigt, seinen Paten, den Imperialismus, aber keineswegs in
Indochina geschlagen hat, das zeigen die ersten 5 Jahre der So-
zialistischen Republik Vietnam: Der Aufbau des Sozialismus auf
der Grundlage des erreichten Kriegsziels der USA, Vietnam "in die
Steinzeit zurückzubomben", steht gerade nicht auf der Tagesord-
nung. Und der Krieg gegen Vietnam geht weiter - in Kampuchea.
Die alljährliche Trockenzeitoffensive der vietnamesischen Volks-
armee gegen die bewaffneten Widerstandsgruppen, die der SR Viet-
nam in Kampuchea Präsenz und Einfluß streitig machen, brachte in
diesem Jahr einige Fortschritte - sowohl was den Ablauf der Ope-
rationen angeht, wie in der öffentlichen Betrachtungsweise des
indochinesischen Kriegsschauplatzes.
Der vietnamesische Versuch, gegen die Operationsbasen der Roten
Khmer und der Verbände von Sihanouk und Son Sann an der thailän-
dischen Grenze vorzugehen, wurde von Thailand umstandslos als Be-
währung seines Frontabschnittes gegen die Sowjetunion und ihre
Einflußzone aufgefaßt, als den die USA seit drei Jahren seine
Grenze zu Kampuchea mit allem dafür zweckmäßigen Gerät ausstat-
ten.
Die "Gegenschläge" der thailändischen Armee und Luftwaffe auf
kampucheanisches Gebiet stellten klar, daß die Stützpunkte der
Roten Khmer und ihrer Koalitionspartner auf jeden Fall als Haupt-
bestandteil dieser Front verteidigt werden und Vietnam sich kei-
nen Hoffnungen hinzugeben braucht, deren bewaffnete Aktionen in
Kampuchea mit militärischen Mitteln je unterbinden zu können. In
der derzeit gültigen öffentlichen Betrachtungsweise, liest sich
dies andersherum:
"Die vietnamesische Armee hat kaum Chancen, mit dem Widerstand
der Roten Khmer fertig zu werden. Dafür zerstörte sie (mit ihrem
Vorstoß an die Grenze Thailands) alle Illusionen, die Herrschaft
Vietnams über ganz Indochina könne noch rückgängig gemacht wer-
den." (Spiegel, Nr. 15/1983)
Nun hat sich weder der "Spiegel" noch sonst eine maßgebliche In-
stanz der Öffentlichkeit oder gar der Politik in den imperiali-
stischen Staaten solche "Illusionen" gemacht. Vielmehr ist es die
erklärte A b s i c h t der Aufrüstung in Südostasien und der
außenpolitischen Isolierung der SR Vietnam, ihr klarzumachen, daß
sie in Laos und Kampuchea einen ganz und gar unzulässigen Ge-
brauch der Souveränität macht, die ihr als Resultat der Beendi-
gung des Vietnamkrieges durch die USA geblieben ist. Vietnam
h a t in Gestalt seiner Volksarmee ein Instrument, eigene natio-
nale Sicherheitsinteressen tatsächlich zu v e r f o l g e n;
nur dazu, ihnen A n e r k e n n u n g zu verschaffen bei seinen
Nachbarn und dem Rest der Welt, reicht's nicht, da seinen Sicher-
heitsinteressen die Interessen des Imperialismus nun mal entge-
genstehen (dies im übrigen der Unterschied zu jenem sehr viel
kleineren Staat mit einer mindestens ebenso schlagkräftigen Ar-
mee, der keinerlei Probleme hat, seine Sicherheitsinteressen, so
maßlos sie auch sind, d u r c h z u s e t z e n, Israel).
Vom Volksbefreiungskrieg zur nationalen Verteidigung
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"Solange der Imperialismus existiert, muß unser Volk wachsam
bleiben und darauf vorbereitet sein, jeden Akt der Sabotage und
der Aggression durch jeglichen Feind zu vereiteln. Der Aufbau der
Nation muß Hand in Hand gehen mit nationaler Verteidigung, das
ist lebenswichtig für unsere Nation." (Le Duan an den Parteikon-
greß 1916 der KPVN)
Die Führung der SR Vietnam mochte sich zwar 1975/76 darüber im
klaren sein, daß ihre Auseinandersetzung mit dem Imperialismus
auch mit dem Ende des Kriegs nicht beendet war. Was das für das
Land und den "Aufbau der Nation" bedeutete, darüber bestanden -
und bestehen - allerdings Fehleinschätzungen, die einige Konse-
quenzen für diesen Aufbau haben.
Das Ergebnis dieses Krieges, die zwar ungeteilte Souveränität
über ein jedoch völlig zerstörtes Land, verdankte sich gar nicht
so sehr der überlegenen Schlagkraft ihrer Streitkräfte und dem
Siegeswillen ihres Volkes, die in den Erklärungen der KPVN immer
an erster Stelle rangieren, als vielmehr dem Kalkül der USA, die-
ses Ergebnis gemessen an deren weltweiten Absichten für akzepta-
bel zu halten: einem Kalkül, in dem der militärische Widerstand
in Vietnam allenfalls als einer unter anderen Faktoren vorkam,
von denen nicht der geringste das Wissen war, daß der vietnamesi-
sche Staat nicht lebensfähig war. Die Ökonomie, Infrastruktur
etc. waren ebenso ruiniert wie ihre natürlichen Voraussetzungen,
der landwirtschaftlich nutzbare Boden. Im Süden war die Alimen-
tierung aus dem Fonds der US-Kriegsmaschinerie weggefallen, im
Norden weitgehend die Unterstützung durch die VR China. Und die
Verhandlungen über "Wiedergutmachung" und sonstige "Wiederauf-
bauhilfen" an Vietnam wurden von den USA von Anfang an mit
allenfalls einer Absicht geführt: den Vietnamesen vor Augen zu
führen, wozu die Weltmacht Nr. 1 außer der Zerstörung eines
Landes noch imstande ist wenn der betreffende Staat den unver-
zeihlichen Fehler begeht, sich gegen ihre Interessen zu stellen.
So durfte sich die SR Vietnam nach Kriegsende noch drei Jahre
lang in "Verhandlungen" mit dem IWF, der Weltbank und USA-Regie-
rungsstellen diplomatisch vorführen lassen, daß sie mit ihrer
Durchsetzung als Staat noch längst nicht die Anerkennung als sol-
cher seitens des Imperialismus, und womöglich ökonomische Ange-
bote für den Übertritt ins Lager der westlichen Entwicklungslän-
der zu erwarten hat. Für die USA kam noch nicht einmal der for-
melle Anerkennungsakt der Aufnahme diplomatischer Beziehungen in
Frage.
An der eindeutigen Absicht dieser Fortsetzung des Krieges mit an-
deren Mitteln: Illusionen über eine nationale Befreiung
g e g e n den Imperialismus in den Ländern der dritten Welt in
Zukunft gar nicht erst aufkommen zu lassen - blamierten sich die
vietnamesischen Offerten einer "Neutralitätspolitik" in Form nur
bedingter Zusammenarbeit mit der Sowjetunion oder gar günstiger
Investitionsbedingungen für westliches Kapital ziemlich gründ-
lich. Ihr Adressat, die USA, hatte ja gerade mit seinen recht er-
folgreichen Bemühungen, Vietnam "in die Steinzeit zurückzubom-
ben", den vietnamesischen Kommunisten nur die "Wahl" gelassen,
gleich ihren ökonomischen und politischen Bankrott zu erklären
und abzutreten, oder aber sich von der SU zu deren voraussehbarem
Schaden aushalten zu lassen.
Und mit dem Einmarsch vietnamesischer Truppen in Kampuchea ließ
sich der amerikanische Beschluß, diese Art der "Selbstbestimmung
der Völker" für schädlich zu erklären und die zuständige Regie-
rung als "Gefahr" kaltzustellen, gleich wieder "bestätigen": Der
Übergang zu einer erneuten Behandlung Vietnams als m i l i-
t ä r i s c h e n Gegner und Verbündeten des Hauptfeindes war
fällig. Die noch laufenden Verhandlungen mit der Weltbank ließen
sie abbrechen mit der Begründung:
"Das Land befindet sich im Krieg, und eine Durchführung der Pro-
jekte ist nicht zu erwarten."
Zugleich froren sie vietnamesische Guthaben von über 100 Mio.
Dollar ein und zeigen seitdem, wie konsequent sie den Standpunkt
durchzusetzen gewillt sind, nach Vietnam auch aus dem Rest der
Welt keinen müden Dollar kommen zu lassen:
- So haben die USA Einspruch erhoben gegen verschiedene geplante
Projekte des UNO-Entwicklungsprogramms, die für die Zeit von
1982-1986 auf ein Volumen von 94 Mio. Dollar kamen und von der
Vollversammlung noch 1981 gebilligt waren. Grund: Infrastruktur-
projekte wie der Wiederaufbau der Nord-Süd-Eisenbahnlinie seien
"militärisch gefährlich" und überhaupt könne es bei Vietnam keine
"humanitäre" oder sonstige Hilfe geben, da das die Unterstützung
einer unrechtmäßigen Besatzungsmacht bedeute (Far Eastern Econo-
mic Review, Juli 1982).
- durchgesetzt haben sie in der UNO, die UN-Hilfsgelder für Kam-
puchea völlig zu sperren und stattdessen für ein "Thailand-Grenz-
programm" auszugeben, "direkt an die Betroffenen, die Flüchtlinge
selbst" (= die Guerillatruppen, die in den Lagern ihre Versor-
gungs- und Operationsbasis haben).
- Im IWF (dem Vietnam dank der Mitgliedschaft Südvietnams ange-
hört) blockierten sie jegliche Kreditvergabe und damit indirekt
jeden Kredit überhaupt aus den IWF-Mitgliedsländern. Als Resultat
konstatieren die USA, daß Vietnam vorerst gar nichts anderes üb-
rig bleibt, als sich voll auf den einzigen ihm verbleienden Ver-
bündeten, die SU, zu stützen und ich weiter zum Gegenstand des
derzeit weltweit geführten Beweises zu machen, daß es in Pech und
kein Glück ist, Verbündeter des Hauptfeindes zu sein.
Daß die Praktizierung dieses eindeutigen Standpunktes der USA und
ihrer imperialistischen Partner in der u.a. an Vietnam ausgetra-
genen Konkurrenz der VR China mit der SU nicht nur Unterstützung
fand, sondern durch ihre "Strafexpedition" und die Aufrüstung der
Pol-Pot-Klientel noch ganz massiv vorangetrieben wurde, war in
diesem Zusammenhang eine nicht ganz unerwartete erfreuliche
Zugabe für den Imperialismus.
Der Krieg in Kampuchea
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Auch die VR China verhehlte nicht ihr Wissen um das nachhaltig
ruinöse Resultat der amerikanischen Kriegführung in Vietnam, als
sie ihrem Wunsch Aus- und Nachdruck verlieh; die SR Vietnam solle
sich als friedlicher Nachbar aufführen und die chinesischen In-
teressen bezüglich Indochinas respektieren. Daß Vietnam in Indo-
china überhaupt Interessen verfolgte, machte es zum regionalen
"Hegemonisten", zum Störenfried, der für eine "aggressive Arro-
ganz" zu bestrafen sei. D.h. auch die chinesischen Kommunisten
behandelten die SR Vietnam umstandslos als regionalen Stellver-
treter des Hauptfeindes Sowjetunion, dem klarzumachen sei, daß er
sich die Unterstützung durch die SU, auf die er angewiesen war,
absolut nicht leisten könne. Der Ansatzpunkt dafür bot sich in
Kampuchea.
Eigentlich wäre ja die Auseinandersetzung zwischen den Roten
Khmer und der KP Vietnams, an der die VR China die vietnamesische
Unbotmäßigkeit sich offenbaren läßt, eine Angelegenheit, die nie-
manden sonst etwas angehen müßte. Und solange sie sich in Auffas-
sungsunterschieden über die Methoden des sozialistischen Aufbaus
nach dem Abzug der Amerikaner ausgedrückt haben mochte, interes-
sierte sie auch niemanden. Dann aber beschlossen die Roten Khmer
mit offener chinesischer Unterstützung, die vietnamesische Be-
siedlung und Verwaltung des Ostens von Kampuchea entlang des Ho-
Chi-Minh-Pfades zum Gegenstand eines nationalen Grenzstreits zu
erheben und diesen mit Waffeneinsatz auszutragen. Und Vietnam
formulierte an diesem Streit im ungetrübten Bewußtsein einer
"gelungenen" militärischen Auseinandersetzung seine neue natio-
nale Aufgabe, offensiv sein Territorium zu verteidigen:
"Um unser Volk zu verteidigen, müssen wir den Feind vernichten,
bevor er Verbrechen gegen unser Volk verüben kann...
Es kann gesagt werden, daß die Aufgabe der 'Verteidigung des Te-
ritoriums' noch neu ist für unsere Streitkräfte, die gebildet wa-
ren und gereift sind in einem langen Befreiungskrieg. Deshalb
müssen sie denken, kreativ sein... Jedem ist klar, daß zur Ver-
teidigung des Territoriums der Feind an einem Ort gestoppt, an
einem anderen angegriffen und so sein ganzer Angriffsplan und
-aufmarsch gestört werden muß." (Zeitschrift der Volksarmee, Nr.
11, November 1978)
Der militante Nationalismus der Roten Khmer wurde für die vietna-
mesischen Kommunisten zum Grund, auch in Kampuchea eine Befrei-
ungsaktion durchzuführen. Es mochte nach Jahrzehnten gemeinsamen
antiimperialistischen Befreiungskampfs der Kommunisten in Indo-
china zwar ein naheliegendes Urteil sein, in den bewaffneten An-
griffen der Roten Khmer einen Verrat an der gemeinsamen Sache des
Sozialismus in Indochina zu sehen. Aber schon die von der KPVN
kraft ihres falschen Bewußtseins vom errungenen anti-imperiali-
stischen Sieg beanspruchte Zuständigkeit für die endliche Durch-
setzung wahrhaft volksfreundlicher Herrschaften in den Staaten
Indochinas hatte kaum noch etwas zu tun mit dem richtigen Gedan-
ken Ho Chi Minhs und der anderen Gründer der alten KP Indochinas,
daß die Kommunisten keinen Grund hätten, sich für die Wiederher-
stellung der vom französischen Kolonialismus aufgehobenen bor-
nierten Grenzen der indochinesischen Stämme und Herrscherhäuser
einzusetzen. Sie führte auch noch zu der Illusion, aus dem über
seine Befreiung von den Schergen Pol Pots zweifellos e r-
l e i c h t e r t e n Volk der Khmer, bzw. den davon übrig-
gebliebenen Teilen, ließe sich die kämpferische Basis für das von
den vietnamesischen Truppen an die Macht gebrachte Regime schmie-
den.
Offenbar hat sich die vietnamesische Führung nicht klargemacht,
daß sich der Charakter der durch die Roten Khmer gegen Vietnam
vorgetragenen Feindschaftserklärung nicht in deren "Verrat" er-
schöpfte, keine inner-indochinesische Angelegenheit war, die des-
halb auch nicht durch Vietnam als Vormacht in Indochina zu berei-
nigen war - und daß das Volk von Kampuchea dabei schon gleich gar
keine Rolle spielte.
Vor allem haben sich die vietnamesischen Kommunisten in der öf-
fentlichen Meinung der westlichen Welt getäuscht, die sich vom
demonstrativen Grauen über die "Steinzeitkommunisten" in Kampu-
chea binnen weniger Wochen - strikt orientiert an der amtlichen
Definition der imperialistischen Interessenlage - zur Empörung
über Vietnams Verletzung der kampucheanischen Souveränität wan-
delte, die durch die Beseitigung des Völkermörderregimes von Pol
Pot keineswegs zu entschuldigen sei. Aber auch die seither einge-
tretene Entwicklung, die Eröffnung des erneuten permanenten,
Kriegszustandes gegen Vietnam durch die USA und die VR China un-
ter ungenierter Verwendung der Pol Pot'schen Schlächtertruppen,
hält die Führung der KPVN nicht davon ab, in der Vertreibung Pol
Pots aus Pnom Penh und der verlustreichen Behauptung gegen die
chinesische Strafexpedition "Siege von enormer historischer Be-
deutung in den zwei Kriegen zur Verteidigung des Vaterlandes" zu
sehen:
"Unser Volk hat den üblen Machenschaften der chinesischen Führung
eine erste Niederlage beigebracht, hat Unabhängigkeit, Freiheit
und Sozialismus in Vietnam sichergestellt, seine internationale
Pflicht gegenüber den Brudervölkern vom Kampuchea und Laos er-
füllt und aktiv die nationale Unabhängigkeit und den Frieden in
ganz Indochina verteidigt." (Le Duan auf dem 5. Parteitag der
KPVN im März 1982)
Als Resultat dieses gleich vierfachen Siegs hat Vietnam zwar
seine Sieherheitsgrenzen nach Westen verschoben, sich dafür aber
eine vom Imperialismus gesponsorte Truppe innerhalb des von ihm
kontrollierten Territoriums eingehandelt, so daß zu den Aufgaben
der Grenzsicherung jetzt auch diejenigen einer Schutzmacht für
Kampuchea gekommen sind.
Das Trostlose an Vietnams "Siegen" gegen China und gegen die vom
US-Imperialismus ausgestatteten kambodschanischen "Widerstands-
gruppen" besteht darin, daß deren Kriegsziel ja gar nicht die
unmittelbare militärische Ausschaltung der vietnamesischen
Volksarmee ist und damit das Brechen des staatlichen Willens der
SR Vietnam, sondern ihre kontinuierliche Schädigung. Und dieses
Ziel erreichen ihre Aktionen allemal; erst recht, seit die
Organisation der thailändischen Front von den USA selbst in die
Hand genommen worden ist.
Thailand wird als der "ASEAN-Frontstaat" (Außenminister Shultz)
massiv aufgerüstet, seine Grenze zu Kampuchea in eine mit allen
notwendigen schweren Waffen ausgestattete Frontlinie verwandelt,
in deren Schutz nicht nur die Widerstandsgruppen zunehmend sicher
sind, sondern die auch wirksame Übergriffe der thailändischen
Truppen gegen vietnamesische Militäraktionen auf der kampucheani-
schen Seite der Grenze erlaubt. Und die Versorgung und Verwaltung
der Lager koordiniert längst eine zentrale CIA-Dienststelle
"Nationaler Hilfsdienst" in Bangkok.
Als eindeutiges Kriegsziel der USA formulierte dies schon vor
zwei Jahren generalsmäßig kurz und bündig der US-Oberbefehlshaber
Pazifik: "Bleeding Vietnam white". Oder dasselbe durch den zu-
ständigen Oberbeamten im US-Außenministerium, Holdridge, im Sep-
tember 1982 vor einem Kongreßausschuß auf diplomatisch gesagt:
"Wir haben immer noch kein Zeichen dafür, daß Hanoi die Verfol-
gung eines veralteten kolonialistischen Ehrgeizes aufgegeben hat,
seine Nachbarn zu beherrschen und Frankreich in der Hegemonie
über Indochina zu beerben. Während Hanoi offensichtlich die Ko-
sten seiner Ambitionen in Indochina reduzieren will, wie seine
jüngste diplomatische Offensive zeigt, gibt es keinerlei Anzei-
chen, daß die Vietnamesen von ihrem Ziel politischer und wirt-
schaftlicher Beherrschung von Kampuchea und Laos ablassen wollen.
Hanoi scheint immer noch nicht verstanden zu haben, daß seine ko-
lonialistischen Ambitionen seine nationale Sicherheit eher unter-
minieren als festigen. Seine eigene Politik hat seine Isolation
herbeigeführt, seine Wirtschaft ruiniert und Bedrohungen aus ver-
schiedenen Richtungen erzeugt. In Wirklichkeit ist die Politik
der Führung in Hanoi die größte Bedrohung für seine nationale Si-
cherheit und das Wohlergehen des vietnamesischen Volkes." (Dept.
of State Bulletin, Nov. 1982)
Das ist die der Weltmacht Nr. 1 würdige Attitude: Ihre globale
Alleinzuständigkeit für die Weltordnung des Imperialismus selbst-
zufrieden als Kampf gegen einen "veralteten Kolonialismus", zu
deklarieren, weil er gegen das e i n e, mißliebige Resultat der
Entkolonialisierung vorgeht - und dem Opfer wohlwollend vorzuhal-
ten, daß es sich doch selber nur schade, wenn es sich die impe-
rialistische Mißbilligung mittels der Unterminierung seiner na-
tionalen Sicherheit, der Ruinierung seiner Wirtschaft und der
Verelendung bzw. massenhaften Vernichtung seiner Bevölkerung zu-
zieht.
Sozialistischer Aufbau vs. nationale Sicherheit
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Die entsprechenden Bemühungen der USA (und der VR China) werden
derzeit in auffälliger Häufung durch die Öffentlichkeit auf ihren
Erfolg hin begutachtet. Die Zahl der Berichte aus Vietnam in
Fernsehen und Presse läßt auf ein doppeltes Interesse schließen:
das der Reporterprofis wie Winfried Scharlau etc., zu besichti-
gen, wie eigentlich die "Sieger" des Vietnamkrieges, die vietna-
mesischen Kommunisten, mit ihrem Sieg in den letzten acht Jahren
zurechtgekommen sind, und das der SR Vietnam, die sich offenbar
vom Hereinlassen jener Journalisten einen außenpolitischen Nutzen
verspricht.
Was man diesen Berichten entnehmen soll, ist schnell gesagt:
Vietnam hat mit ungünstigen natürlichen Bedingungen zu leben -
Taifune, Überschwemmungen, verödete Landstriche und viel Dioxin
im Boden, das die Mißgeburtenrate hochtreibt (daß dieses Zeug
heute als "wirksamstes aller Gifte" schon in irgendwelchen Gramm-
Mengen Gegenstand der Fahndung dreier Staaten und außenpoliti-
scher Verwicklungen dazu, damals in tausenden Kilogramm von der
US-Luftwaffe auf Vietnams Wälder und Felder verteilt wurde - und
das wirklich nicht nur; um die Vietcong ihrer natürlichen Deckung
zu berauben, mit leider nicht bedachten Nebenwirkungen, sondern
in der vollen A b s i c h t, das Land auf Jahrzehnte hinaus un-
fruchtbar zu machen -, das hervorzuheben oder gar noch zum Anlaß
der Empörung zu nehmen, ist heute längst nicht mehr zeitgemäß).
Auch gibt es sehr viele Invaliden, die nicht voll arbeitsfähig
sind (daß ein großer Teil davon seine Gliedmaßen erst nach dem
Krieg bei der Arbeit auf den Feldern verlor, weil diese weiträu-
mig von den Truppen des Thieu-Regimes vor dem Abzug vermint wur-
den, unter Mitnahme der Lagepläne der Minen in die USA, ist auch
nicht gerade die Sorte Information, die für eine linientreu impe-
rialistische Öffentlichkeit heute noch von Interesse wäre). Kurz:
Die Wirtschaft liegt noch völlig darnieder, auf dem Land - vor
allem im Norden - herrschen Armut und Hunger, in den Städten
ist's kaum besser, nur in Ho-Chi-Minh-Stadt läßt's sich fast
schon wieder leben (selbst für die alten und neuen - Kriegsbe-
richterstatter), da es eigentlich immer noch oder fast schon wie-
der das alte Saigon ist. Was die Vietnamfreunde also nach acht
Jahren schlecht und rechter Behauptung der SR Vietnam gegen die
Fortsetzung des Vietnamkriegs mit anderen Mitteln konstatieren,
ist die befriedigende Tatsache, daß Vietnam nach acht Jahren so-
zialistischem Aufbau keinen Aufbau und schon gar keinen Sozialis-
mus hingekriegt hat.
Der Rechnung, die die imperialistische Staatenwelt der Soziali-
stischen Republik Vietnam nach dem Ende des Krieges zunächst öko-
nomisch, dann seit der Vertreibung Pol Pots und seiner Schlächter
auch militärisch aufgemacht hat, daß diese sich den Unterhalt und
Einsatz ihrer Armee zur Verfolgung ihrer nationalen Interessen in
der Region eigentlich gar nicht leisten könne, begegnet die viet-
namesische Führung mit der Entschlossenheit, ihn sich um jeden
Preis - leisten zu w o l l e n. Die Formel dafür ist Le Duans
Losung vom "Hand-in-Hand-Gehen" von "Aufbau der Nation" und
"nationaler Verteidigung". Der handfeste Gegensatz, der hier
"Hand in Hand" gehen soll, erhielt im Umgang des Staates mit sei-
ner Ökonomie seitdem einige charakteristische Verlaufsformen.
Die erste Fünfjahresplanperiode nach der "Wiedervereinigung"
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(1976-1980)
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Die Überzeugung der vietnamesichen Kommunisten, gegen die USA
durch den Siegeswillen der Massen aus eigener Kraft einen Sieg
errungen zu haben, ließ sie offenbar auch den wirtschaftlichen
Aufbau nach Kriegsende als eine Aufgabe ansehen, die mit den Me-
thoden der Kriegswirtschaft des Nordens und im übrigen mit ganz
viel Aufbauwillen zu lösen sei, wie das selbst die "Zeitschrift
der kommunistischen und Arbeiterparteien 'Probleme des Friedens
und des Sozialismus' mit milder Kritik anmerkt:
"Ihre Erfahrungen bei der Wirtschaftsführung mußten die vietname-
sischen Kommunisten unter harten Bedingungen sammeln: in einer
Hand den Pflug, in der anderen das Gewehr; in einer Hand das Ge-
wehr, in der anderen den Hammer. Bel der Leitung der Wirtschaft
bediente man sich notgedrungen einer Vielzahl militärischer und
halbmilitärischer Methoden. Diese wurden zur Gewohnheit, gingen
in Fleisch und Blut über." (Nr. 9/1982)
Entsprechend sah der vom 4. Parteitag der KP Vietnams im Dezember
1976 verabschiedete Fünfjahresplan aus. Bereits die Aufstellung
eines einheitlichen Plans für Nord- und Südvietnam war eine rein
politische Willenserklärung, die in den höchst unterschiedlichen
Ausgangsbedingungen für einen planvollen Aufbau der Ökonomie im
Norden und im Süden keinerlei Grundlage hat.
Im Norden hatte durch die lückenlose Mobilisierung der Bevölke-
rung trotz der Zerstörung von Industriebetrieben, Kraftwerken,
Verkehrsverbindungen und Bewässerungsanlagen durch den Bombenter-
ror der USA eine einigermaßen funktionierende Kriegswirtschaft
aufrechterhalten werden können, auf der Basis einer kollektiv be-
triebenen Landwirtschaft und einer strikt am Bedarf der Streit-
kräfte orientierten, zum großen Teil von der Volksarmee selbst
organisierten industriellen Produktion. An eine ausreichende Pro-
duktion von Reis und anderen Lebensmitteln für die Ernährung der
Bevölkerung war jedoch nicht zu denken gewesen - die Reisliefe-
rungen aus der VR China bis 1975 deckten hier den dringendsten
Bedarf.
Im Süden war die Alimentierung durch die US-Kriegsmaschinerie an
die Stelle der vom Krieg zerstörten Produktionsanlagen und natür-
lichen Produktionsbedingungen getreten, und die verbliebene Ge-
schäftswelt richtete sich an den Möglichkeiten aus, die die Un-
terhaltung des Saigoner Regimes und seiner Klientel durch die USA
bot. Für eine geplante Produktion fehlte es hier nach dem Krieg
an den elementarsten Momenten der Kalkulierbarkeit. Wo noch die
einfachsten Produktionsvorgänge, das Anpflanzen eines Reisfeldes
oder das Aufziehen von Säuen, an "Zufälligkeiten" wie dem Grad
der örtlichen Verminung und Vergiftung des Bodens hängen, weder
mit einer regelmäßigen Stromversorgung, noch mit genügenden
Transportkapazitäten oder auch nur kalkulierbarer Transportdauer
zu rechnen ist, etc., stand nicht das großzügige Entwerfen von
"Entwicklungsetappen" an, sondern das bloße Wiederingangsetzen
der grundlegenden landwirtschaftlichen Produktion und der Her-
stellung des wichtigsten Geräts in dem bißchen an industrieller
Kapazität, das vorhanden war.
Auf diese Weise war in beiden Landesteilen in der Zeit von
Kriegsende bis Ende 1976 immerhin ein gewisser Produktionszuwachs
zustandegekommen, schon allein dadurch, daß nicht mehr Krieg war.
Die noch intakten Anbaugebiete des Südens konnten wieder normal
bewirtschaftet werden, die Volksarmee setzte ihr Personal und
ihre Produktionsbetriebe zum Teil für Wiederherstellungsarbeiten
der Infrastruktur und für die Herstellung dringend benötigter
einfacher Produktionsmittel ein.
Zwar kam angesichts der Zerstörungen des Krieges ein "Auf-die-ei-
genen-Kräfte-bauen" Idealismus gar nicht erst auf. Daß die Füh-
rung der SR Vietnam jedoch in ihrem Fünfjahresplan für 1976 bis
1980 Planziffern vorgab, die mit den im Land gegebenen Produkti-
onsbedingungen, zumal des Südens, so gut wie nichts zu tun hat-
ten, für deren Erfüllung man stattdessen aber amerikanische Wirt-
schaftshilfe, Weltbankkredite und Entwicklungshilfe anderer west-
licher Staaten, sowie gleichzeitig die verstärkte Unterstützung
durch die SU als Voraussetzung fest einplante, macht deutlich,
welch idealistische Betrachtungsweise ihrer zerstörten Ökonomie
sie sich vom Standpunkt ihres Siegesbewußtseins gleichwohl lei-
stete: Nicht nur war es ziemlich verrückt, das notwendig improvi-
sierende Umgehen mit dem, was an Ökonomie überhaupt vorhanden
war, "Plan" zu nennen und mit in verschiedene "Aufbauetappen" ge-
kleidete Erwartungen zu versehen. Vor allem die offenbar herr-
schende Vorstellung, auf der Grundlage der siegreichen Wiederver-
einigung werde ihr Land auch vom Rest der Welt als das angesehen,
als was sie es ansahen: ein einziges großes Entwicklungspoten-
tial, erwies sich nicht erst im nachhinein als eine ziemlich
trostlose Illusion.
Nachdem die beiden konkurrierenden sozialistischen Großmächte
Vietnam die Alternative ziemlich deutlich gemacht hatten, sich
entweder für die eine oder die andere Seite zu entscheiden und
sich damit die Feindschaft der abgelehnten Partei einzufangen,
kam es offensichtlich gerade deshalb zum Streit auf dem 4. Par-
teitag Ende 1976, weil man sich über die Tragweite der Entschei-
dung ziemlich klar war. Die Entscheidung für das Bündnis mit der
Sowjetunion war dann folgerichtig: von der Sowjetunion war, ganz
abgesehen von der entscheidend wichtigen Militärhilfe, für die
Entwicklung der eigenen Ökonomie am meisten zu erwarten.
Diese Rechnung ging in den folgenden Jahren insoweit auf, als die
SR Vietnam 1978 in, den RGW aufgenommen wurde und die SU durch
die Lieferung des elementarsten Bedarfs an Ausrüstung, Waffen,
Treibstoff etc., für die Volksarmee sowie beträchtlicher Mengen
Nahrungsmittel für die Aufrechterhaltung einer Minimalversorgung
der Bevölkerung das Ü b e r l e b e n d e s S t a a t e s si-
cherte.
Die schweren Naturkatastrophen in den Jahren 1977-1979 unterstri-
chen aber nur noch einmal, was "Aufbau" in einer Ökonomie hätte
bedeuten müssen, in der Überschüsse kaum vorhanden waren und de-
ren überwiegend landwirtschaftliche und kaum mechanisierte Pro-
duktion von den ganzen Zufälligkeiten der Natureinwirkungen ab-
hängt und zugleich immer noch von den Kriegsfolgen betroffen ist.
Statt sich jedoch d i e s e r Notlage zu stellen und die vor-
handenen Mittel - und sei es auch nur die Kooperation von Ar-
beitskräften - zweckmäßig zu ihrer Überwindung einzusetzen,
stützte sich der als Plan niedergelegte Aufbauidealismus prak-
tisch nur auf den Appell ans Volk, seiner Opferbereitschaft nun
von der militärischen auf die ökonomische Front zu übertragen.
Der vermeintliche Vorteil, den die Führung der KPVN an der im
Norden von ihr eingerichteten Ökonomie entdeckte - die Arbeitsmo-
ral, die den Mangel an produktivitätssteigernden Arbeitsmitteln
und -verfahren wenigstens teilweise kompensiert, sollte sich per
politischen Beschluß gefälligst auch im Süden einstellen.
Das Setzen auf die "sozialistische Moral" wurde nirgends anschau-
licher vorgeführt als in den "neuen Wirtschaftszonen". In schönem
Nebeneinander konnten dort die subalternen Agenten des Thieu-Re-
gimes in Lagern und Freiwillige, meist unter Thieu vom Land ver-
triebene Bauern, die in den Städten kein rechtes Auskommen mehr
hatten, ihren Einsatz für den nationalen Aufbau durch die aus-
sichtslose Anstrengung beweisen, aus unfruchtbarem, kriegsverwü-
stetem, vergiftetem Boden ohne Baumaterial, ohne Dünger, mit un-
zureichendem Saatgut und an Produktionsmitteln mit kaum mehr als
Hacke und Schaufel ausgestattet (bevor man noch an den Einsatz
von Arbeitstieren und Pflügen etwa dachte, wäre hier meist das
Minensuchgerät, der Metalldetektor das erste und wichtigste Pro-
duktionsmittel gewesen - wenn vorhanden), sich selbst eine Exi-
stenzgrundlage und der Nation eine Erweiterung der landwirt-
schaftlichen Anbaufläche zu verschaffen. Da die Kultivierung un-
ter diesen Umständen auch für die, die freiwillig in die neuen
Zonen gegangen waren, eine Strafe darstellte, weil sie nicht ein-
mal die S u b s i s t e n z garantieren konnte, mußten die mei-
sten Projekte aufgegeben, die Siedler in die Städte zurückgelas-
sen werden.
Daß man immerhin aus diesem Fiasko gelernt hat, zeigt die Art und
Weise, wie die Ansiedlung in neu zu bewirtschaftenden Gebieten
heute betrieben wird. Einfache Häuser sind errichtet, Gärten für
den Gemüseanbau angelegt und die Äcker vorbereitet, etwa durch
den Anbau von Ananas, die selbst auf den sehr schlechten Böden
wachsen (und deren Fruchtbarkeit verbessern), die dort übrig-
geblieben sind, wo früher tropischer Regenwald wuchs, der im
Krieg vernichtet wurde.
Aber auch in den funktionierenden Anbaugebieten des Südens,
hauptsächlich im Mekong-Delta, aus denen über die Hälfte der Rei-
sernte des Landes kommt, wurde eine "Kollektivierung" in Angriff
genommen, die den Bauern lediglich als eine nationale Inpflicht-
nahme gegenübertrat.
Wo auf der Grundlage "sozialistischer kollektiver Herrschaft" (Le
Duan) in der Tat die gesteigerte Produktivkraft kooperativer Ar-
beit genutzt werden könnte, wenn die entsprechenden kooperativen
Produktionsweisen auch eingeführt werden, wurden die Bauern im
Süden mit der Forderung nach kollektiver Bewirtschaftung des Bo-
dens unmittelbar zusammen mit hohen Ablieferungsverpflichtungen
konfrontiert: Die Vorteile der Kooperation, der genossenschaftli-
chen Produktion waren also für sie als solche überhaupt nicht
wahrnehmbar.
Es wäre wohl nicht schwer gewesen, den Kleinbauern des Südens die
Vorteile gemeinsamer Bewirtschaftung des Bodens klarzumachen.
- Wo sich ein Großteil der landwirtschaftlichen Produktionsmittel
- Arbeitstiere und -geräte - in den Händen weniger reicherer Bau-
ern befindet, die damit nicht nur aus ihrem eigenen Land größeren
Ertrag ziehen, sondern auch ein Geschäft aus ihrem Verleih an die
Kleinbauern des Dorfes machen, wo über den Düngemitteleinsatz zur
Ertragssteigerung die Zahlungsfähigkeit des einzelnen Bauern ent-
scheidet, bedarf es keiner großen Überzeugungsarbeit für die ge-
meinschaftliche Nutzung dieser Produktionsmittel auf genossen-
schaftlicher Basis.
- Wo viele Bauern mangels ausreichender Größe ihres Bodens und
ausreichender Erträge verschuldet sind und weniger für ihren Le-
bensunterhalt als für die Kreditzinsen arbeiten, zudem immer wie-
der wegen Zahlungsunfähigkeit zum Verkauf ihres Bodens gezwungen
sind, ist selbst die Überführung solchen Privateigentums in ein
Kollektiv durchsetzbar - wenn für den einzelnen dabei mehr her-
ausschaut als vorher.
- Und wo der private Handel dafür sorgt, daß aus der Ernte ein
Geschäft zuallererst für ihn wird, und zuletzt für die Bauern,
wie sollten da die Bauern etwas dagegen haben, wenn der Staat ih-
nen zu festgelegten Konditionen die Ernte abnimmt, um deren Ver-
teilung selbst zu organisieren - sofern sie dafür die Produkti-
ons- und Konsumtionsmittel erhalten, die sie brauchen?
Da aber die Einrichtung von Genossenschaften und die Verstaatli-
chung des Handels sich vor allem am staatlichen Interesse be-
stimmt, aus der Landwirtschaft möglichst viel an Mehrprodukt her-
auszuziehen, ohne in der Lage zu sein, etwas hineinzustecken für
die Steigerung der Produktion, trat für die Bauern an die Stelle
des ökonomischen Zwangs ihrer Abhängigkeit von dem Produktions-
mitteleigentum des Großbauern und den Krediten des Handels der
staatliche Ablieferungszwang (der sich von ersterem vor allem
darin unterschied, daß man sich ihm leichter entziehen konnte).
Und an die Stelle des von den Händlern je nach Gang der Geschäfte
gezahlten Preises, der bei vielen kaum zum Nötigsten reichte,
trat ein staatlicher Festpreis in einem Geld, für das es nichts
zu kaufen gab.
Denn v e r l a s s e n wollten sich die vietnamesischen Kommu-
nisten bei der Durchführung des Plans nun doch nicht auf die Mo-
ral der Bevölkerung. Weshalb sie die Bescheißerei des Staates
mittels seiner Finanzhoheit zum theoretischen Prinzip für
"Staatsfinanzen und Geld-Waren-Beziehungen im gegenwärtigen Sta-
dium" erhoben:
"Während eines und selbst nach einem Krieg muß der Staat, um die
drängenden Anforderungen des Kampfes, der Produktion und des all-
täglichen Lebens zu erfüllen, viel mehr ausgeben als er verdient,
d.h. er muß für die Konsumtion viel mehr an Produktwert vertei-
len, als er durch die Produktion (und durch Hilfe) mobiliseren
kann. Das ist leicht zu verstehen und kann nur dadurch vonstatten
gehen, daß es einen Überschuß an Geld gibt, und das Ergebnis ist,
daß es wesentlich mehr Geld als Waren gibt." (Le Van Tu, in:
"Economic Studies", Hanoi, No. 3/79)
Das bekannte Ergebnis der Fünfjahresplanperiode war ein Rückgang
der Produktion in den Jahren 1979 und 1980 unter das Niveau des
ärgsten der Kriegsjahre, was bei der Lebensmittelversorgung trotz
sowjetischer Lieferungen vor allem im Norden zu unmittelbarer
Hungersnot und entsprechendem Rückgang der Arbeitsproduktivität,
im Süden zur Massenflucht übers Meer (unter Mitnahme einer nicht
unbeträchtlichen Zahl an Booten der für die Lebensmittelversor-
gung wichtigen Küstenfischerei) und zu einem florierenden
Schwarzmarkt für alle Mangelwaren führte. Dieser blühte vor allem
deshalb, weil die vietnamesischen Kommunisten sich kaum in der
Lage sahen, die Dreieinhalb-Millionen-Bevölkerung im ehemals im-
perialistischen Wasserkopf Saigon, die nach dem Abzug der Amis
und der Beseitigung des Thieu-Regimes (meist auch schon zuvor) zu
einem großen Teil ohne Arbeit war, im ökonomischen Aufbau einzu-
setzen. So entwickelte sich die Stadt zum Eldorado flotter Ge-
schäfte mit den zurückgelassenen Warenlagern des Imperialismus
und dem immer größer werdenden Angebot an Reis und anderen Le-
bensmittel, die der Ablieferung an die staatlichen Distributions-
stellen entzogen wurden. In dieser Nebensphäre der Ökonomie wurde
nicht nur kein bißchen Reichtum produziert, sondern in der Ver-
marktung des Mangels entwickelte sich ein privater Geschäfts-
standpunkt, der für die staatliche Ökonomie Entzug von Teilen des
spärlich produzierten gesellschaftlichen Reichtums bedeutete, in-
dem diese zu Wucherpreisen irgendeiner zahlungsfähigen Nachfrage
zugeführt wurden, statt der staatlichen Verteilung.
Für die Führung der SR Vietnam war der 1977/78 sich ausbreitende
Schwarzhandel, der noch das verbliebene bißchen nach Plan funk-
tionierender Ökonomie im Süden sukzessive auflöste, allerdings
kein ö k o n o m i s c h e s Problem, das mit planmäßigen wirt-
schaftlichen Maßnahmen zu beheben wäre. Sie erklärten ihn zu ei-
nem Problem der n a t i o n a l e n L o y a l i t ä t. An den
Händlern von Ho-Chi-Minh-Stadt wurde nicht ihre ökonomische Funk-
tion, das Geschäft mit dem Hunger, bekämpft. Sondern in konse-
quenter Anwendung des nationalistischen Sieger-Moralismus der
vietnamesischen Kommunisten wurden die Händler und andere in qua-
lifizierten, zum Teil wenig entbehrlichen Funktionen Tätige, über
ihre "nationale Identität", ihre chinesische Abstammung, zu Leu-
ten erklärt, die sich der vietnamesischen Nation nicht verpflich-
tet fühlten und deshalb zu verschwinden hätten.
Zur Mobilisierung der nationalen Opferbereitschaft des vietname-
sischen "Kernvolks" taugte die Vertreibung der Hoa zwar ebensowe-
nig wie sie den Schwarzmarkt beseitigte. Aber dafür wurde sie
ebenso wie der im gleichen Jahr erfolgte RGW-Beitritt Vietnams
von der VR China als eindeutige Feindschaftserklärung aufgefaßt
und zum Anlaß genommen, mit der offensiven Bekämpfung der SR
Vietnam zu beginnen. Die letzte Wirtschaftshilfe wurde abgebro-
chen, die Roten Khmer zur Anzettelung ihres Grenzkrieges gegen
die SR Vietnam ermuntert.
Neuer Krieg - neue ökonomische Politik
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Die in den Kriegsjahren entwickelten ökonomischen Funktionen,
ihre Transportkapazität, ihr diverses Pioniergerät, aber vor al-
lem auch ihre industrielle und landwirtschaftliche Produktionska-
pazität, mit der sie einen großen Teil ihres Eigenbedarfs
(abgesehen von schweren Waffen und Gerät sowie Treibstoff) selbst
deckte, hätten die Volksarmee zu einem der wichtigsten
"Produktionsfaktoren" der vietnamesischen Ökonomie nach dem Krieg
machen können, - wenn es möglich gewesen wäre, sie in entspre-
chender Weise unter friedensmäßigen Bedingungen einzusetzen.
Umgekehrt stellte aber die Aufrechterhaltung der m i l i t ä-
r i s c h e n Bereitschaft auf hohem Niveau eine enorme Bela-
stung des ökonomischen Aufbaus dar. Und mit dem Beginn des
Grenzkriegs mit dem "Demokratischen Kampuchea" war vollends der
weitgehende Abzug der Volksarmee aus ziviler Verwendung fällig,
um ihre Einsatzbereitschaft als voll kriegsfähige Truppe zu
gewährleisten, verbunden mit einer Ausweitung der Personalstärke
und dem Aufbau zusätzlicher industrieller Kapazität für den mili-
tärischen Bedarf.
Für den Niedergang des allgemeinen Versorgungsniveaus unter das
Existenzminimum im Jahr 1979 und 1980 waren dieser Zwang zur er-
neuten militärischen Mobilisierung und die verlustreiche Abwehr
der chinesischen "Strafexpedition" vom Frühjahr 1979 kräftige Im-
pulse. Und selbst der Armeeführung schien es nicht mehr opportun,
den Gegensatz von nationaler Verteidigung und ökonomischem Aufbau
als "Hand-in-Hand" Verhältnis zu leugnen. In der Zeitschrift der
Volksarmee hieß es:
"Es wäre eine Vereinfachung, wenn der Widerspruch zwischen der
Wirtschaft und der Landesverteidigung nicht erkannt würde. Aber
wir wären in unseren Anstrengungen, den Aufbau der Wirtschaft mit
der Landesverteidigung zu verbinden, zum Pessimismus, zur Labili-
tät und Passivität verurteilt, wenn wir diesen Widerspruch über-
treiben würden."
Denn
"aufgrund der Aufgabe der Landesverteidigung und der Sicherung
unserer Verteidigungskraft muß die Produktion der militärischen
Ausrüstung, selbst wenn sie keinen Gewinn abwirft und mit hohen
Kosten verbunden ist, vorangetrieben werden." (zit. nach: Nguyen
Than Hung, Politische und wirtschaftliche Veränderungen in Viet-
nam seit dem 6. ZK-Plenum der KPVN, Sept. 1979, BIOST 4/1981)
Die Aufwendungen für den erneuten, dem Land als Dauerzustand auf-
gezwungenen Krieg machten bald 60% des gesamten staatlichen Bud-
gets aus (mit demselben Verhältnis an Militärkosten lebt zwar, um
diesen Vergleich noch einmal zu strapazieren, Israel seit 30 Jah-
ren recht gut, aber eben, als wirklich siegreiche Nation, auf der
anderen Seife der Front) und lösten eine veränderte Betrachtung
und Behandlung der eigenen Ökonomie aus, die auf dem 6. ZK-Plenum
der KPVN im September 1979 eingeleitet und nach längeren Diskus-
sionen in der Partei, die zur mehrmaligen Verschiebung des 5.
Parteitages führten, auf diesem schließlich im März 1982 endgül-
tig beschlossen wurde. Die Selbstkritik, die die vietnamesischen
Kommunisten aus diesem Anlaß über sich hereinprasseln ließen, er-
schöpft sich dabei in der Feststellung, daß es bisher irgendwie
nicht geklappt, man falsche Erwartungen gehabt hat, - weil man
die Entwicklungen nicht berücksichtigt hat, die sich inzwischen
"naturwüchsig" eingestellt haben.
Mai Duc Tho, Bürgermeister von Ho-Chi-Minh-Stadt, kritisierte
beispielsweise die (Fehleinschätzung der Begeisterungsfähigkeit
der) Bevölkerung:
"Eigentlich sollte der großartige Sieg über die Amerikaner und
die Errungenschaft des sozialistischen Aufbaus die Werktätigen zu
einer großen Begeisterung und zu einer Verstärkung ihrer vor-
wärtsgerichteten Anstrengungen veranlassen. Aber diese Begeiste-
rung und Verstärkung ihrer Anstrengungen halten sich nur in Gren-
zen. Wir müssen im Gegensatz dazu feststellen, daß Pessimismus
und Mißtrauen in der letzten Zeit begannen, sich bei vielen Men-
schen breitzumachen." (BIOST 4/81)
- woraus zwingend folgt: "Das Wichtigste ist jetzt die Motiva-
tion", wie ein von Winfried Scharlau (ARD) interviewter Dorfbür-
germeister im zentralen Hochland meinte. Und die Kritik, die sich
im theoretischen Organ der KPVN findet, geht auch nicht über die
in angebliche "methodische" Fehler verwandelte Feststellung des
Mißerfolgs hinaus: In der Verwaltung der Wirtschaft und der Ge-
sellschaft gibt es viele Fehler, die wir nicht rechtzeitig er-
kannt haben und die daher sehr langlebig sind, Die Ausarbeitung
des Plans war zentralistisch und bürokratisch ausgerichtet. Viele
Planziffern waren unrealistisch und unwissenschaftlich. Der Plan
war verzettelt, nicht ausgewogen und hatte keine Schwerpunkte.
Eine sinnvolle Verbindung zwischen der Planung und dem Markt
wurde nicht hergestellt. Wir haben zudem auch nicht rechtzeitig
konservative Tendenzen bekämpft, wodurch eine Verbesserung der
wirtschaftlichen und finanziellen Maßnahmen zur Förderung der
Produktion möglich gewesen wäre. Der Staatsapparat und die Wirt-
schaftsverwaltung zeigen viele Mängel. Die Leitung war hinsicht-
lich der Planerfüllung bürokratisch und unwirksam."
Das Resultat dieser Kritik an der bisherigen "verzettelten" Pla-
nung kann man einem Bericht in der Zeitschrift "Probleme des
Friedens und des Sozialismus" (Sept. 1982) entnehmen:
"Entsprechend den neuen Prinzipien setzt sich das Gesamtprogramm
für die Tätigkeit der Betriebe aus drei Plänen zusammen. 'Plan A'
betrifft den Komplex der Produktion, für den der Staat in allen
Teilen - ... - die Verantwortung trägt. Er gibt die Erzeugnisno-
menklatur vor und erhält auch die fertigen Erzeugnisse. Nach
'Plan B' werden ebenfalls Nomenklaturwaren hergestellt, doch ob-
liegt die Absicherung dem Betrieb; er muß sich um Rohstoffe und
Material kümmern, die er auch auf dem freien Markt erwerben kann.
Der Absatz der Erzeugnisse erfolgt über staatliche Kanäle, die
Preise sind vertraglich gebunden. Bei 'Plan C' schließlich ist
auch die Nomenklatur aufgehoben: selbst überlegen, selbst heraus-
finden, was, woraus und wie zusätzlich produziert werden kann,
natürlich nicht zum eigenen Schaden, also gutgehende Erzeugnisse.
Diese 'dreistufige' Planung kannten wir noch nicht. Wie wird sie
von den vietnamesischen Genossen begründet? Die ganze Vielfalt
des Bedarfs, meinen sie, läßt sich zentral nur schwer erfassen
(und warum sollte man das auch tun?). Also ist es wohl nicht
schlecht, wenn die Betriebe selbst Bedarfslücken ermitteln und zu
schließen suchen."
Was hier als staatlicher "Auftrag" formuliert wird, daß, mit Aus-
nahme der wichtigsten, die Betriebe sich vorwiegend "selbst" um
alles zu kümmern haben, ist die konsequente "Selbstkritik" des
Aufbauidealismus der ersten Jahre: Nachdem sich alle möglichen
Formen, sich praktisch durchzuschlagen, eingebürgert haben, nimmt
die Partei offiziell Abstand von ihrer Prätention einer gesamt-
staatlichen Planung in der Berechnung, so immerhin von dem natur-
wüchsig entstandenen Gemisch von Selbstversorgung, Organisieren
und Privatgeschäften zu profitieren. Ähnlich werden die landwirt-
schaftlichen Produzenten behandelt, deren Ernte nicht mehr zum
größten Teil der Zwangsablieferung unterliegt, sondern die sich
jetzt verpflichten sollen, eine feste Kontraktmenge an den Staat
zu verkaufen. Den darüber hinausgehenden Ernteertrag können sie
zu einem höheren Preis bzw. gegen zusätzliche Düngemittel, Bauma-
terialien etc. ebenfalls an den Staat, aber auch nach Belieben
auf dem "freien Markt" verkaufen.
Am deutlichsten wird der "neue Pragmatismus" an der Behandlung
des bisherigen Schwarzhandels, der schon bald nach der Ausweisung
der Hoa wieder mehr oder weniger offen toleriert wurde, indem ihm
de facto die von der staatlichen Wirtschaftsverwaltung nicht mehr
bewältigte Versorgung der Bevölkerung in den großen Städten, vor
allem in Ho-Chi-Minh-Stadt überlassen wurde. Er rückte nun in den
Rang eines staatlich konzessionierten "Sektors" der Ökonomie auf.
Das bisherige staatliche Sich-Abfinden mit dem Schwarzmarkt macht
jetzt der offiziellen "Entdeckung" seiner "Vorteile" durch den
Staat Platz. Und die zwei Bereiche, in denen der Schwarzhandel
sich bisher betätigte, werden ihm nun offiziell zugewiesen als
die Sphäre, in der er sich als "privater Sektor" gemäß seinen Ge-
schäftskriterien zum Nutzen des Staates entwickeln möge: Erstens
die Abwicklung des "freien Marktes", der nun von Bauern und di-
versen Handwerks- und Industriebetrieben verhältnismäßig reich-
lich beschickt, daneben aber auch mit jeder Menge Schmuggelgut
aus Thailand versehen wird. Die "Marktpreise", die hier zustande-
kommen, haben natürlich mit Kostpreisen, Konkurrenz, um die zah-
lungsfähige Nachfrage etc. nichts zu tun, sondern sind die dem
staatlich erlaubten Geschäft mit dem Mangel, der Not, entspre-
chenden Wucherpreise.
Zweitens die Vermittlung des vietnamesischen Außenhandels in die-
jenigen Staaten, mit denen Vietnam keine geregelten zwischen-
staatlichen Handelsbeziehungen unterhält. Und das ist so ungefähr
die ganze imperialistische Staatenwelt, deren Zahl sich alljähr-
lich in den Ja-Stimmen für die UNO-Repräsentanz des Schlächters
Pol Pot manifestiert. Die hier im staatlichen Auftrag getätigten
Schieber-Geschäfte bedeuten unmittelbar Abzug vom gesellschaftli-
chen Produkt, da stillschweigende Geschäftsgrundlage die Akkumu-
lation eines nicht unbeträchtlichen Teils der erlösten Dollarbe-
träge als private Mittel der vietnamesischen Händler ist.
Der Grund für diese neue ökonomische Politik der "materiellen An-
reize" also für die "pragmatische" Konzessionsbereitschaft gegen-
über den anfangs noch bekämpften Händler- und Wuchergeschäften,
liegt in der extremen Situation der Jahre 1979 und 1980: Der Auf-
wand für die Rundumverteidigung an der gesamten indochinesischen
Grenze zu Thailand und der VR China sowie der Zusammenbruch der
Ökonomie, der von der Sowjetunion schließlich schon wegen der in-
nervietnamesischen Distributionsschwierigkeiten kaum mehr aufge-
fangen werden konnte, machten eine Steigerung der Produktion und
vor allem des dem Staat für seine Zwecke, zur Aufrechterhaltung
seines Apparates zur Verfügung stehenden Mehrprodukts zur natio-
nalen Überlebensfrage. Die überdeutliche Nebenabsicht ist es da-
bei, dem Staat die über das schiere Existenzminimum hinausgehende
Versorgung der Bevölkerung vorerst v o m H a l s z u
s c h a f f e n und sie sich selbst, d.h. dann eben "Markt", zu
überlassen.
Und die als Sozialismus beanspruchte Verantwortung für das Wohl
des Volkes zieht sich auf die Verbreitung der Lüge zusammen, daß
ausgerechnet der Markt "in der gegebenen Situation" - die offen
eingestanden eine des Mangels ist - die Bedürfnisse der Leute am
besten befriedigen soll.
Das E r g e b n i s der neuen vietnamesischen Wirtschaftsfrei-
heit: Die Getreideproduktion erreichte mit 16,3 Mio t einen
Höchststand (1979, am Tiefpunkt, betrug sie kaum 12 Mio t), davon
wurden 2,7 Mio t vom staatlichen Distributionsapparat aufgenom-
men. Der Getreideimport (aus der SU) ging auf 1/6 des Volumens
von 1979 zurück, und für das laufende Jahr soll mit über 17 Mio t
die Selbstversorgung der SRV erreicht werden ("DDR-Außenwirt-
schaft", 27.4.1983). Was von diesem "Fortschritt" zu halten ist,
bringt die "Neue Zürcher Zeitung" vom 7.5.83 auf den Punkt:
"Nicht mehr Pumpen, Düngemittel oder Pestizide stehen hinter der
Rekordernte des letzten Jahres, sondern das Erwerbsstreben der
Bauern und gutes Wetter. Ein einziger Taifun kann die Ernte ver-
nichten. Dann wird wieder gehungert."
Auch die Industrieproduktion stieg um 13% gegenüber dem Vorjahr,
was allerdings immer noch weniger ist als 1976 und zudem nahezu
ausschließlich durch die Produktionssteigerung in den - meist
privaten, allenfalls genossenschaftlichen - Kleinindustrien und
dem Handwerk zustandegekommen ist Wenn sich gleichzeitig Ho-Chi-
Minh-Stadt zum führenden Industriezentrum entwickelt und zwar
hauptsächlich mit Betrieben, die für den privaten Binnenmarkt und
für den Export in die Welt des Dollar produzieren und mit dieser
Industrie 1982 eine Wachtumsrate von 36% gegenüber dem Vorjahr
zustandebringt, dann steht fest, daß die gegenwärtige marktwirt-
schaftliche "Blüte zumal im Süden Vietnams mit einer systemati-
schen, rationellen Entwicklung des Landes wenig zu tun hat.
Der "Ausnutzung" statt E l i m i n i e r u n g des Schwarzmark-
tes durch den Staat entspricht der buchstäblich inflationäre Ge-
brauch, den er von seinem "Anreizmittel Geld" macht. Nachdem das
Unvermögen, staatlicherseits die Bevölkerung mit dem Nötigsten zu
versorgen (wofür es ja einige o b j e k t i v e Gründe gibt),
der erklärten Absicht Platz gemacht hat, die Behebung bzw. Ver-
teilung des Mangels dem "Markt" zu überlassen, verlegt sich der
vietnamesische Staat zunehmend auf f i n a n z w i r t-
s c h a f t l i c h e Methoden des Umgangs mit seiner Ökonomie.
Er stattet die Lohnempfänger der staatlichen Behörden und
Betriebe mit Geldbezügen aus, stattet die Lohnempfänger der
staatlichen Behörden und Betriebe mit Geldbezügen aus, die den
meisten von ihnen wenigstens gestatten sollen, das, was an der
Versorgung aus dem staatlichen Distributionsapparat zum
Existenzminimum fehlt, auf dem privaten Markt mit seinen Wucher-
preisen zu decken. Er tritt auf diesem Markt selbst als Nachfra-
ger auf, um Mängel in der von ihm selbst eingerichteten Ökonomie
zu beheben. Und all das wird ziemlich locker mit Gelddruckerei
finanziert, die es der privaten Geschäftswelt nicht nur erlaubt,
ihre Preise immer hoher zu setzen, die vielmehr auch den vietna-
mesischen "Dong" für den Staat immer untauglicher macht. Längst
freuen sich westliche Berichterstatter wieder daran, daß
"in Vietnam der Dollar wieder König" (Frankfurter Allgemeine Zei-
tung, 1.11.82)
ist. Der Tatsache, daß auf diese Weise bei Teilen seines Volks,
Bauern mit ertragreichem Grundeigentum und vor allem all jenen,
die im H a n d e l ihr Geschäft machen, Akkumulation von Geld-
reichtum stattfindet, trägt der Staat entsprechend findig damit
Rechnung, daß die nicht lebensnotendigen Konsumartikel, wie Fahr-
räder, Radios etc. von vornherein zu Preisen verkauft werden, zu
denen nur diese erfolgreichen Bürger der SR Vietnam überhaupt als
zahlungsfähige Nachfrager in Betracht kommen.
Diejenigen, die kein Eigentum haben, und auch nicht das Glück,
sich für die - unter diesen Verhältnissen als solche geltenden -
"Spitzenlöhne" in den halbprivaten Betrieben ausbeuten zu lassen,
haben unter diesen Bedingungen nichts zu lachen: Die Landbevölke-
rung ohne oder mit zu geringem privaten Grundbesitz, die Staats-
bediensteten, soweit nicht dank ihrer höheren Stellung an der
privaten Geschäftssphäre partizipieren, die Arbeiter der für den
geplanten Bedarf der nationalen Ökonomie produzierenden staatli-
chen Industriebetriebe.
"Sie" (bei der Neuen Zürcher Zeitung, sind die "Städter" gemeint,
weil sie einen Stadt-Land-Gegensatz entdeckt haben will) "finden
sich in einer Zwangsjacke aus ungemein niedrigen Löhnen und ga-
loppierenden Preisen, die in einem einzigen Jahr um das Zehn- bis
Zwanzigfache steigen. Weil nämlich (!) die Industrie, herunterge-
kommen, ohne ausreichende Elektrizität und Ersatzteile, nicht in
der Lage ist, dem Nachfrageschub aus den Dörfern mit einer ent-
sprechend steigenden Produktion von Konsumgütern zu begegnen. Und
weil ein Beamter, selbst ein Arzt mit einem Monatseinkommen von
200 Dong, auf den freien Märkten oft nur zuschauen kann. Zwiebeln
kosten da 40 Dong das Kilo, Kartoffeln 50 Dong, ganz zu schweigen
von Schweinefleisch 50 bis 100 Dong)." (7.5.1983)
Auf der anderen Seite ist diese sehr einseitig blühende Ge-
schäftstätigkeit für den nunmehr seinen Staatsetat reflektieren-
den vietnamesischen Staat eine Quelle der Steuer- und Abgabener-
hebung. So rühmt sich das ehemalige Saigon, inzwischen als Ho-
Chi-Minh-Stadt bereits 40% des Staatshaushalts aus seinen Steuern
und Abgaben zu bestreiten. Und die jüngsten finanzpolitischen
Maßnahmen in Vietnam sind vor allem wegen ihrer differenzierenden
Wirkung bemerkenswert: Eine Verdoppelung der Abgabenbelastung für
die privaten Geschäftsleute ("Vietnam zieht Schrauben für freies
Unternehmertum an", Financial Times, 11.5.1983 ) entzog in
H a n o i den meisten der inzwischen auch dort aufgemachten pri-
vaten Restaurants und Trödelläden, über deren buntes Bild und
wachsende Zahl sich Olaf Ihlau in der "Süddeutschen Zeitung" vom
2.5.83 noch entzückte, die Geschäftsgrundlage; die Händler in Ho-
Chi-Minh-Stadt können sie lässig zahlen.
Insoweit hat die von der VR China und den imperialistischen Staa-
ten verfolgte Politik des "Bleeding Vietnam white" nicht nur eben
dies erreicht: Vietnam nachhaltig auszubluten. Sie hat damit auch
sichergestellt, daß auf absehbare Zeit der Sozialismus, oder auch
nur sein Aufbau, wie immer die KPVN ihn vorhaben möge, in Vietnam
nicht auf der Tagesordnung steht: Im Norden wird so weiter ge-
wurschtelt wie bisher, aber ohne die nationale Begeisterung aus
den Zeiten des Krieges gegen die USA; im Süden kommen wieder Ar-
mut und Reichtum, Ausbeutung und Eigentum zu Ehren, auch wenn es
immer noch einen großen Unterschied für die Betroffenen macht, ob
solche Verhältnisse von einem durch den Imperialismus eingesetzen
Regime durch Terror durchgesetzt oder von einer kommunistischen
Partei geduldet werden, der dank der gegen sie eingesetzten öko-
nomischen und militärischen Gewalt nichts anderes einfällt.
Der aktuelle Stand der "Kambodscha-Diplomatie"
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erschöpft sich wesentlich darin, daß die diversen Beteiligten auf
immer neuen Konferenzen und Staatsbesuchen der Führung der SR
Vietnam ihre wohldurchdachten und aus der genauen Kenntnis der
von ihnen mit herbeigeführten inneren Lage Vietnams heraus auch
überaus wohlmeinenden Kalkulationen präsentieren.
Die der U S A wurde im Prinzip schon vorgeführt. Da sie die
ASEAN-Staaten, allen voran Thailand, gegen Vietnam einen ordent-
lichen Stellvertreterkrieg führen lassen, darf auch ASEAN Vietnam
das Kapitulationsangebot unterbreiten, das sich in einer Studie
des US-Senats vom letzten Jahr schon vorformuliert findet:
"Ein Kompromiß könnte aus folgenden Elementen bestehen: 1) Viet-
nam und Thailand einigen sich über einen schrittweisen Rückzug
Vietnams aus Kampuchea; 2) in Kampuchea wird eine Koalitionsre-
gierung aus Son Sann, Sihanouk und Heng Samrin, d.h, ohne die
Roten Khmer gebildet; 3) die Roten Khmer werden entwaffnet bzw.
durch ausreichende nichtkommunistische militärische Kräfte inner-
halb Kampucheas kontrolliert; 4) China verzichtet auf die Wieder-
einsetzung des Roten-Khmer-Regimes oder wird an der Regelung
nicht beteiligt; 5) die Neutralität Kampucheas wird garantiert."
"Eine solche Lösung könnte auch zu einer unabhängigeren Stellung
von Laos führen und damit die Situation wiederherstellen, in der
Laos und Kampuchea als Pufferstaaten zwischen Vietnam und Thai-
land fungierten."
Allerdings rechnet man nicht so ohne weiteres mit der Kapitula-
tion Vietnams in einem solchen "Kompromiß":
"Wahrscheinlicher ist deshalb das Fortdauern des gegenwärtigen
antivietnamesischen Widerstandes in Kampuchea, unterstützt durch
China; Thailand und die anderen ASEAN-Staaten und möglicherweise
belebt durch eine neue nichtkommunistische Führung unter der
Ägide von ASEAN. Das würde Vietnam zwingen, in den nächsten Jah-
ren weitere erhebliche Ressourcen für Kampuchea aufzuwenden und
würde so die Durchführung seiner wirtschaftlichen Aufbaupläne
weiter behindern. Als Konsequenz dürfte die Bereitschaft der
vietnamesischen Streitkräfte und politischen Führung zunehmen,
militärisch gegen die Stützpunkte und Nachschublinien des Wider-
standes in Thailand vorzugehen und Thailand zur Aufgabe seiner
Unterstützung zu zwingen. Gegen solches Vorgehen könnte Thailand
und die anderen ASEAN-Staaten aus eigener Kraft keine Abschrec-
kung bereitstellen: Diese muß von China und den USA kommen."
Weshalb die USA Vietnam folgende drei "Optionen" ihrer Politik
eröffnen:
- Entweder es läßt sich durch USA und China unmittelbar ökono-
misch und militärisch so fertig machen, daß es seine Vorstellung
von einem sozialistischen Indochina im Bündnis mit der SU aufgibt
und die Chancen einer Zusammenarbeit mit USA und ASEAN erkennt;
- oder es läßt sich von den USA mit ASEAN in Kampuchea so in die
Engetreiben, daß es ... s.o;
- oder es arrangiert sich gleich mit den USA, wobei es in diesem
Fall des Seitenwechsels Kampuchea und Laos mitbringen darf.
Die V R C h i n a rechnet Vietnam an der gemeinsamen Grenze in
nicht zu seltenen Abständen mit Artilleriebeschuß und Truppen-
übergriffen vor, daß es sich das verlustreiche Einstecken von
Lektionen à la 1979 nur ersparen kann, wenn es sich aus Kampuchea
zurückzieht, die dortigen Kommunisten unter Heng Samrin fallen
läßt und Pol Pot anerkennt - als wenn nichts gewesen wäre.
Die S o w j e t u n i o n, der einzige Verbündete Vietnams, hat
zwar ein Interesse an Vietnam, auch ein gewisses an Kampuchea,
aber auch an einer "Normalisierung der Beziehungen" zur VR China.
Und dies läßt sie die vietnamesischen Kommunisten auch wissen,
indem sie ihnen die Kosten der eigenen, Wirtschaftshilfe vorrech-
net und diese ins Verhältnis setzt zum militärischen Aufwand der
Besetzung Kampucheas. Diese Rechnung beinhaltete auch die Kürzung
der Hilfslieferungen im letzten Oktober, kaum daß das Versor-
gungsniveau in Vietnam das Existenzminimum zu überschreiten
drohte.
Aber da gibt es doch noch einen alten Freund der Vietnamesen.
F r a n k r e i c h s Außenminister Cheysson kam nach Hanoi und
sagte dort, ihm seien die Vietnamesen in Pnom Penh lieber als Pol
Pot. Natürlich hat auch Cheysson gleichzeitig der vietnamesischen
Führung vorgerechnet, daß es sich für sie nicht auszahlt, ihre
Truppen in Kampuchea zu lassen und die dortige Regierung weiter
zu stützen. Aber daß der französische Außenminister überhaupt
nach Vietnam gekommen ist, jenem Staat seine Anerkennung zuteil
werden ließ, um seine außenpolitischen Erpressungen loszuwerden,
das ließ "Le Monde Diplomatique" bereits von einem "dritten Weg"
Vietnams schwärmen:
"Unter den gegebenen Bedingungen ist es verständlich, daß einige
Politiker die Möglichkeit eines dritten Weges sehen, der es einem
wahrhaft blockfreien Vietnam ermöglichen würde, gestützt auf Pa-
ris, endlich die Anerkennung durch die USA zu erhalten."
Welch' schönes Angebot: Der Verlierer von Dien Bien Phu, der ehe-
malige Kolonialherr Frankreich, offeriert den vietnamesischen
Kommunisten unter französischer Schirmherrschaft die Rückkehr un-
ter die imperialistische Weltordnung!
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