Quelle: Archiv MG - ASIEN SUEDKOREA - Noch eine geteilte Nation
zurückSÜDKOREA BEKOMMT EINE DEMOKRATIE VERPASST: DAS WAR'S DANN AUCH SCHON.
Die Freie Welt ist eine ihrer drückendsten Sorgen los. Die näm- lich, daß ihre feinen Olympischen Spiele in einem geschmacklosen Rahmen abgehalten werden müßten. Dabei ist es natürlich sowieso eine Hochsicherheits- und Polizeifrage ersten Ranges, wenn die Doping-Monster und Sportkrüppel aller Welt zum Ruhme ihrer heimi- schen Staatsgewalt aufeinander losgelassen werden. Und da ist ein gutorganisierter Polizeistaat a la Südkorea gar kein schlechter Austragungsort. So wie Berlin 1936 zum Beispiel. Des weiteren war es natürlich eine erstklassige Heuchelei, erst die Olympische Idee als politische Kampfdemonstration gegen den Ostblock ein- und in Seoul anzusetzen und sich dann in dem Pro- blem zu ergehen, ob da nicht die feine Idee unter Polizeistaats- terror und Tränengas leiden könnte. Aber die erlesene Sorge scheint man jetzt erst einmal los zu sein. Und nicht nur das: Genugtuung kommt auf angesichts der herzerwärmenden Vorstellung, ausgerechnet die Olympiade und die Stilprobleme ihrer demokratiebeflissenen Anwälte in aller Welt hätten Südkorea nun zu einer Demokratie verholfen. Wann hat man jemals schon eine so bilderbuchmäßige Bestätigung für die Gutig- keit des eigenen Systems? Wie es rein per Sport und kritischer Anteilnahme einem Volk seinen Herzenswunsch nach Demokratie und "friedlichem Wandel" erfüllt? Wg. Olympiade? -------------- Einerseits irgendwie schon. Schließlich hat sich das Regime die Olympiade bestellt, um sich von aller Welt Anerkennung zollen zu lassen für den Aufstieg, den die Nation unter seiner Fuchtel ge- schafft hat. Umgekehrt hat die Opposition das als eine hervorra- gende Gelegenheit angesehen, für ihr Anliegen einer Demokratisie- rung, d.h. ihrer Zulassung zur Staatsverwaltung, mehr internatio- nale Aufmerksamkeit zu erreichen. Anstelle der von der Regierung vorgesehenen Machtübergabe an den nächsten Ex-General verlangt die Opposition die Wahl des Präsidenten durchs Volk. Die Partei des regierenden Militärs hat sich jetzt damit einverstanden er- klärt - in Gestalt des vorgesehenen Nachfolgers, der sich mit seiner plötzlich eingetretenen Liebe zur Demokratie, kombiniert mit den landesüblichen Wahltechniken, auch einige Wahlchancen ausrechnet. Und so ein glücklicher Ausgang rein wegen der Olym- piade? Eben doch nicht ganz. Es war schließlich kaum zu übersehen, daß es für den ruckartigen Sinneswandel des verstockten Diktators ge- nau eine Woche gebraucht hat nach dem Auftauchen des US-Emissärs und ein paar unmißverständlichen Hinweisen aus Washington. Was im übrigen in den südkoreanisch-amerikanischen Beziehungen keine Be- sonderheit darstellt. In einem Frontstaat, der als Basislager für strategische US-Interessen eingerichtet ist, in dem das Militär unmittelbar unter US-Kommando steht usf., da werden auch alle Fragen der politischen "Stabilität" naturgemäß mit der Schutz- macht geklärt. Und die hat sich aktuell gegen eine militärische Lösung entschieden, anders als 1980 in Kwangju, wo es die damals für notwendig erachtete Anzahl von Toten gegeben hat. "People's power" - die Macht des Volkes? ---------------------------------------- Demokraten lieben ihre Märchen. Sie verzichten auch nicht darauf, wenn auf Bestellung des US-Außenministeriums ein kleiner Form- wechsel der Herrschaft vorgenommen wird. Es soll wieder einmal - wie auf den Philippinen - "people's power" gewesen sein, die machtvoll für das Gute gesorgt hat. Deshalb sind die beachtlichen Straßenschlachtfähigkeiten der südkoreanischen Kommilitonen - ganz entgegen der Berichterstattung aus Kreuzberg z.B. - gar nicht groß mit der "Gewaltfrage" traktiert worden; auch die Über- prüfung auf terroristische Elemente oder kommunistische Unterwan- derung hat sich in Grenzen gehalten. Die in Südkorea gebotene A l t e r n a t i v e zum bisherigen Herrschaftspersonal garan- tiert schließlich so offenkundig, daß keines der maßgeblichen In- teressen an diesem niedlichen Staatswesen auch nur entfernt in Frage gestellt wird. "People's power" in den richtigen Händen ---------------------------------------- Sachkundige Beobachter vor Ort haben ermittelt, daß der Wechsel zur Demokratie noch weitaus reibungsloser vonstatten gehen kann als auf den Philippinen. 1. existiert keine kommunistische Bewe- gung, die militärisch niedergemacht werden müßte; 2. besteht auch weniger das Risiko, wenn die Demonstrationen mit der National- fahne und der machtvollen Forderung nach Änderung irgendwelcher Wahlprozeduren abgewickelt werden, daß der Machtwechsel irgendwie mit einem Sozialprogramm verwechselt werden könnte, woraus dann unter einer demokratischen Regierung wieder "Instabilitäten" er- wachsen könnten. Und schließlich bürgt die Oppositionspartei für einwandfreie Kandidaten in der Konkurrenz um die Führung der South Corea Inc. Deren moralisches Haupt, der eine Kim, ist von den USA vorsorglich schon in Reserve gehalten, ein paar Jahre in den USA aufbewahrt und seit 1985 wieder in Südkorea deponiert worden. "Time Magazine" entdeckt "eine Ironie" ausgerechnet darin, daß die beiden Kims mit der Wirtschafts- und Außenpolitik ihres Konkurrenten Chun weitgehend e i n i g sind. Dabei be- weist das nur, daß die Forderung nach Demokratie eben gar nichts Umstürzlerisches an sich hat, sondern sich ganz darauf reduziert, daß eine Konkurrenz um die Führung der Staatsgeschäfte erlaubt sein soll. Die demokratischen Konkurrenten sind eben mit der Ge- schäftsgrundlage ihres südkoreanischen Staatswesens sehr zufrie- den und halten nur eine Änderung der Herrschafts t e c h n i- k e n für überfällig. "People's power" für die richtigen Aufgaben ------------------------------------------- Schließlich hat die Frontlage Südkorea ein fernöstliches Gegen- stück zum Marshall-Plan eingebracht, mit dem das noch ziemlich rückständige, gerade aus der Kolonisation entlassene Volk an eine kapitalistische Zivilisation gewöhnt wurde, nämlich daran, als Angebot eines Billiglohnlandes zu fungieren, das für US-Kapital und sogar für japanisches wegen herrlich niedriger "Arbeits- kosten" attraktiv ist. Auf der Grundlage hat Südkorea es zu seinem "Wirtschaftswunder" gebracht, nämlich zu einer staatlich organisierten Exportindustrie, die als bescheidene Kopie der japanischen ihre Exporterfolge auf westlichen Märkten erzielt hat oder den Ölstaaten mit viel willigem Arbeitermaterial ihre Dol- lars recyclet. Und eine solche "hochentwickelte und zuversichtliche Mittelmacht" ("Time Magazine") ist den demokratischen Ersatzpolitikern natür- lich lieb und teuer, weshalb sie auch keine Gelegenheit auslas- sen, den tugendhaften koreanischen Nationalcharakter zu loben mit seinen 60 und mehr Wochenstunden, mit seiner sprichwörtlichen Be- scheidenheit und seinem ausgeprägten Familiensinn, der einiges an Sozialstaatskosten erübrigt. Und was die s t r a t e g i s c h e Geschäftsgrundlage Südkoreas angeht, als Aufmarschbasis gegen den Kommunismus und US-Stützpunkt mit nationalem Umfeld zu dienen, da läßt die demokratische Alternative gar keine Zweifel an ihrer Treue zu den westlichen "Werten" aufkommen. "Wir brauchen eine starke Regierung, um das Militär effektiv zu kontrollieren und um eine starke Verteidigung gegen die Drohung aus Nord-Korea zu haben." (Kim Dae Jung in der "Washington Post", 31.8.86) Schließlich schadet die Militärdiktatur laut demselben Kim letzt- lich nur der Verteidigungsbereitschaft des Volkes! Der überwältigende Unterschied zwischen --------------------------------------- Militärdiktatur und Demokratie ------------------------------ Der besteht nur darin, daß sich die Herrschaft ein bißchen moder- nisiert, sich überfüssig gewordenes Mißtrauen gegen ihr Volk er- spart. Die alten Machthaber wollten, gerade weil sie ihren impe- rialistischen A u f t r a g begriffen haben, ihrem Volk nicht recht trauen, was die erforderliche antikommunistische Ausrich- tung und das freiwillige Mitmachen bei den politisch beschlosse- nen militärischen und ökonomischen Programmen betraf. Die Park und Chun haben ihre Aufgabe darin gesehen, die Nation überhaupt erst einmal tauglich zu machen und auf Linie zu bringen. Und des- halb haben sie sich politische Konkurrenz, irgendeinen Streit um die nationale Linie erst gar nicht leisten wollen. Jede opposi- tionelle Regung, jedes Bedürfnis nach Parteienkonkurrenz und Pressefreiheit haben sie kategorisch als Einfallstor für den Nor- den und kommunistische Subversion behandelt. "Wir können uns eine Wahl des Präsidenten durch das Volk nicht leisten, weil der Feind immer bereit ist, uns anzugreifen." (Der Präsidentschaftskandidat der Regierung, Roh Tae Woo, vor gerade drei Wochen zum "Stern", 25.6.) Eine - nach Beschlußfassung der USA - inzwischen überfüssige bzw. nutzlose Übertreibung. Deshalb sind sich alle maßgeblichen Betei- ligten blitzschnell einig geworden, daß es einen diktatorischen Antikommunismus in Südkorea nicht mehr braucht und daß dessen Funktionen auch einmal demokratisch erledigt werden können. Der bekannte Freiheitskämpfer Heiner Geißler hat sich mit seinem ebenso bekannten Mut an die Spitze der Bewegung gestellt und dem Regime entgegengeschleudert, "für die Aufrechterhaltung repressiver Maßnahmen gibt es keinen objektiven Grund". "Objektiv", das heißt, die richtigen Opfer für einen solchen Staatsterrorismus sind nämlich nur Kommunisten. Und dieses edle Programm m i ß b r a u c h e n die Generäle in Südkorea: "Vielmehr sieht es so aus, daß unter dem Vorwand der Kommunismus- bekämpfung eine militärische Oligarchie von 60 bis 80 Generälen sich an der Macht halten will." (Süddeutsche Zeitung, 26.6.) Ja dann - dann besorgt sich die Freie Welt den moralischen Plus- punkt für Menschenrechte und verfügt Demokratisierung, damit das Demonstrieren auch mal wieder aufhört bzw. "echte" Systemfeinde von "versöhnbaren" ordentlich unterschieden werden können. Die südkoreanische Börse bedankt sich mit einem Boom. Es kann ja sein, daß einige der Demonstranten auch unter einem volksgewählten Präsidenten entdecken, daß sie Gründe zum Demon- strieren haben: Dann bekommen sie es eben mit ihrem eigenen Volkswillen zu tun. Die Oppositionspartei hat durch ihren Kim schon vorsorglich, versichert, daß sie ein paar "Maßnahmen zur qualitativen Verbesserung der Polizei" auf Lager hat. zurück