Quelle: Archiv MG - ASIEN SUEDKOREA - Noch eine geteilte Nation
zurück Streiks in Südafrika und SüdkoreaBEITRÄGE ZUR POLITISCHEN EMANZIPATION DER ARBEITERKLASSE IN ENTWICKLUNGSLÄNDERN
In Südkorea und in Südafrika wird gestreikt, und nicht zu knapp. Die Presse hierzulande gibt ihrer Verwunderung darüber Ausdruck, daß die das dürfen. Aber da sie anscheinend dürfen, besteht kein Grund zur Sorge. In kontrollierten Bahnen abgewickelt, sind Ar- beiterstreiks ein Beitrag zur Stabilität, weil sie das Selbstbe- wußtsein des arbeitenden Teils der Gesellschaft heben, und schrecken Bürger nicht. Freilich muß die nötige Kontrolle gewähr- leistet sein. Dafür stehen die bekanntermaßen bewährten Gewaltap- parate derjeweiligen Staaten ein. Südafrika - Schwarze streiken für die Behandlung als Arbeiter ------------------------------------------------------------- In den Kohle- und Goldminen Südafrikas sind zwischen 230- und 340-tausend Arbeiter im Ausstand. Die Gewerkschaft der Minenar- beiter NUM hat vom Verband der Bergwerksgesellschaften eine 55%ige Lohnerhöhung, Verbesserung der Urlaubsregelungen, bessere Abfindung der Familien im Falle von Grubenunglücken, bei denen jährlich durchschnittlich 700 Arbeiter ums Leben kommen, und vor allem eine "Beendigung des Wanderarbeitersystems" gefordert, "das Bergarbeiter zwingt, den meisten Teil des Jahres ohne ihre Fami- lien in eingezäunten, bewachten Heimen zu leben". Die Bergbaukonzerne ihrerseits haben je nach Anlage Lohnerhöhun- gen zwischen 16 und 24% angeboten. Verhandlungen über ihr "Angebot" lehnten sie allerdings ab, auch wenn die Gewerkschaft ihrerseits Verhandlungsbereitschaft signalisierte und ihre Lohn- forderung auf 30% reduzierte. So können Berichterstatter behaup- ten, die beiden Zahlen lägen ja nicht weit auseinander. Der NUM ging es an diesem Punkt allerdings ums Prinzip. Sie will die "Bergbaufirmen zwingen, ein Lohnabkommen auszuhandeln, anstatt bloß zu verkünden, wieviel sie den Arbeitern zugestehen wollen." (Der NUM-Vorstand Cyril Ramaphosa) Die Arbeitgeber geben sich konziliant. Der Vorsitzende der Anglo American Corporation, Gavin Relly, z.B. will den Umstand, "daß ein legaler Streik in einem so lebenswichtigen Industriezweig stattfinden kann, als Anzeichen für den Fortschritt der südafri- kanischen Gesellschaft in Richtung Normalisierung verstanden wis- sen." Relly gilt auch als Kritiker der Apartheid. Weil einer sei- ner Arbeiter ein Neger ist, aus diesem Grund würde er sich nie- mals mit ihm nicht an den Verhandlungstisch setzen. Als Vertreter des Unternehmerstandpunkts muß er allerdings in der Sache hart sein. Um den Schein zu dementieren, sie würden mit einer s c h w a r- z e n Gewerkschaft nicht verhandeln, hat sich das Minensyndikat nach den ersten Versuchen, den Streik zu brechen - Entlassung von 7000 Arbeitern, Androhung des Rausschmisses von anschließend 40.000 -, zu Verhandlungen und einem neuen Angebot herabgelassen. Das einmalige Angebot hieß: Verlängerung des Urlaubs auf einen Monat pro Jahr und Erhöhung der Lebensversicherung auf 4 Jahresgehälter. Über die Forderung nach Beendigung des Wander- arbeitersystems hat man nichts mehr erfahren; das würde die Minen in Südafrika auch der zentralen Geschäftsbedingung berauben, die Notlage der Hungerleider im Hinterland und in den Nachbarländern auszunutzen. Die Gewerkschaftsmitglieder haben das Angebot der Unternehmer abgelehnt. Die Regierung Botha verkündet, daß sie ein Streik nichts angehe, sondern dieser eine Angelegenheit der beiden kontrahierenden Par- teien sei. Regierung und Unternehmer verfolgen die Linie, den Ar- beitskampf von der Apartheid-Frage zu trennen. Sie wollen die Auseinandersetzung nicht unter dem Gesichtspunkt führen, der für ihre Staatskonstruktion immer gleich die Systemfrage aufwirft und im Ausland dauernd für negatives Echo sorgt. Das hat auch Botha mitgekriegt, daß sich Blüm - wenn er darf - bei ihm über geteilte Parkbänke beschweren will und nicht über verelendete Wanderarbei- ter. In so materialistische Angelegenheiten wie Streiks mischen sich Solidaritätskomitees und Menschenrechtschristen nicht ein. Gegen die streikenden Arbeiter wird folgendes Konzept verfolgt: Die Gewerkschaft der schwarzen Arbeiter soll sich an der Macht des Minenkapitals abarbeiten; die ö k o n o m i s c h e n Kal- kulationen sollen das Ergebnis des Streiks diktieren. Die Berg- werksgesellschaften führen bei der Entlassung von 10.000en von Arbeitern ihre betriebswirtschaftlichen Kostenrechnungen ins Feld und teilen mit, durch den Streik wäre so manche Zeche unrentabel geworden. Sie bemühen sich nach Kräften, die Solidarität der Schwarzen aufzubrechen. 100.000 stellen sie vor die Situation des existentiellen Aus, anderen machen sie finanzielle Angebote, wenn sie als Streikbrecher die Arbeit wieder aufnehmen. Im übrigen be- ginnen sie bereits mit der Rekrutierung neuer Arbeitskräfte in den Siedlungsgebieten der Schwarzen. Und wie um zu beweisen, daß die Arbeiter zwar von ihnen, sie aber nicht von den Arbeitern ab- hängig sind, weil ihnen schlimmstenfalls Schaden an den Gewinnen entsteht, lassen sie die interessierte Geschäftswelt in regelmä- ßigen Abständen wissen: "Neues Goldbergwerk 1990 voll betriebsbe- reit." "Südafrika: Platinmine für 530 Mill. Rand" etc. Das Angebot, den Streik "ökonomisch" zu entscheiden, ist der po- litische Versuch, die schwarzen Arbeiter auf ihre Dienste als Klasse zu verpflichten, ohne diesen Zwang gleich als rassische Sortierung in Bürger unterschiedlichen Rechts geltend zu machen. Das ist die Entpolitisierung des Arbeitskampfes, die die Regie- rung will. Ihr Ideal ist es, den Lohnauseinandersetzungen den Charakter einer politischen Manifestation gegen die Rassengesetze zu nehmen und den Kampf gegen die Apartheid von seiner materiel- len Grundlage in den speziellen südafrikanischen Ausbeutungsver- hältnissen zu trennen. Die Gewerkschaft umgekehrt sieht in dem Zugeständnis, nicht gleich mit den "staatsfeindlichen Umtrieben" des ANC identifiziert zu werden, ihre Chance, sich als Vertreter der Arbeiterklasse und damit, so wie die Dinge in Südafrika nun einmal liegen, als politische Kraft der Schwarzen zu konsolidie- ren. Die Betriebe müssen sich also darauf einstellen, ihre Schwarzen als Arbeiter mit Gewerkschaftsrecht zu behandeln, was ihnen angesichts der Besonderheiten des südafrikanischen Arbeits- markts nicht allzu schwerfallen dürfte; dafür können sie damit rechnen, daß die Konjunkturen ihres Geschäfts sich nicht ständig mit dem Auf und Ab der Apartheidpolitik und der rassistischen Herrschaftssicherung überkreuzen. Daß Neger in Südafrika als Schwarze behandelt werden, ist frei- lich auch bei diesem Streik schlechterdings nicht zu übersehen. Nicht nur, daß der Ausgangspunkt der Lohnforderung der Vergleich mit den dreimal höheren Löhnen weißhäutiger Arbeiter ist. Hier suchte die Regierung ein kleines politisches Zugeständnis zu ma- chen, indem sie jetzt auch schwarze Arbeiter zur Prüfung als Sprengmeister zuläßt. Nicht nur, daß das ordnungsstiftende Ein- greifen der Polizei in den Streik bereits so viele Todesopfer wie in früheren Streiks auch gefordert hat. Die wirtschaftliche Ren- tabilität der Minen basiert neben der Produktivität der einge- setzten Maschinerie auf dem billigen, in Wohnsiedlungen eingep- ferchten und nach Bedarf zu den Homelands und zurücktransportier- ten Arbeitsvieh. Südafrikanische Bergwerksunternehmen p a r t i- z i p i e r e n n i c h t n u r an den südafrikanischen Ras- sengesetzen, sondern ihre Umsätze beruhen schon auf der sicheren Kalkulation mit schwarzen und weißen Lohngruppen, auch wenn sie sich einen Aufstieg schwarzer Arbeiter innerhalb der Firma auch mal laut vorstellen können. Mag sein, daß ein Anglo American Corporation-Vorstand sich auch Weiße in seinen Werkssiedlungen denken kann, wenn sie es aufgrund "mangelnder Qualifikation" verdienen - auf seine Werksghettos will er, wie der Verlauf der Auseinandersetzung zeigt, nicht verzichten. Diese Grundlage seines Geschäfts, bei dem ihm auch noch die Versorgung seiner Klienten obliegt und selbst die Konten gesperrt werden können, wenn Arbeiter an ihr Geld wollen, hält er für so normal wie ein Türkenwohnheim in der BRD. Die National Union of Mineworkers ist sich des politischen In- halts ihrer Auseinandersetzung mit der Minenkammer bewußt. "In Südafrika... werden Lohnverhandlungen mit Arbeitgebern vom ganzen Apartheidsystem beeinflußt. Unsere Mitglieder leben in Wohnheimen und Townships, die gemäß der Apartheid geschaffen wur- den. Wir genießen keine Freizügigkeit, wir bezahlen Steuern, ohne in der Regierung repräsentiert zu sein. Eine Gewerkschaft mit nur einem Funken Selbstachtung muß sich natürlich solcher Ungerech- tigkeiten annehmen." (Ramaphosa im "Spiegel" 35/87) Im Unterschied zu den Negeraufständen der letzten Jahre haben die Neger im Moment tatsächlich den Hebel erwischt, den sie als Ar- beiter überhaupt in der Hand haben. Der Streik ist gut organi- siert. Die Leute wissen, welche Repressionen auf sie zukommen. Und die Buren tun wie üblich das Ihre, die Schwarzen in ihren sehr korrekten Vorurteilen zu bestärken. Im Gegensatz zu manchen Gerüchten hierzulande ist der Streik allerdings noch konziliant. Er umfaßt noch nicht die "vitalen" Produktionssektoren der Na- tion, ohne die der Westen tatsächlich schlecht zurecht käme: Uran und Stahlveredler wie Chrom und Mangan. Bis jetzt hat die NUM nur das Angebot der Niederlage. Auf keine ihrer Forderungen ist e i n g e g a n g e n, 50.000 Streikende sind entlassen worden. Die Gewerkschaft selbst hat ihre Lohnfor- derung nochmals um 3 Prozentpunkte herabgesetzt. Was sie von der Wiedereinstellung der Gefeuerten hält, ist nicht bekannt. Im Ton bleibt sie allerdings hart und besteht darauf, daß die Unterneh- men sie, zumindest im Prinzip, als Macht anerkennen. Das ist der Sieg, den sie feiern möchte. Da die Gegenseite an diesem Punkt aber auch auf stur schaltet weil sie die Weiterungen eines von ihr anerkannten Gewerkschaftswesens vermeiden will, droht die Ausweitung des Streiks auf strategisch relevante Produktionsbe- reiche der südafrikanischen Republik und damit das massive Ein- greifen der Regierung. Die Bimbos in der Spiegel-Redaktion: "Welche Möglichkeiten sehen Sie denn noch für einen einigermaßen friedlichen Ausgleich zwischen Schwarzen und Weißen in Südafrika? RAMAPHOSA: Es fällt mir schwer, daran zu glauben. Es hängt davon ab, ob man sich auf das Ziel, auf die Befreiung einigen kann." So erledigt sich für beide Seiten doch wieder der Unterschied zwischen ökonomischem und politischem Kampf. *** Nicht allerdings für den bundesdeutschen Sympathisantensumpf der Regierung Botha. Unser "liberales Weltblatt" sieht angesichts der bravourösen Behandlung des Streikgeschehens durch die Obrigkeit überhaupt keinen Anlaß mehr, noch groß auf der Menschenrechts- frage herumzureiten. "Apartheid als wirksames Instrument Wenn Präsident Botha den südafrikanischen Sicherheitskräften bis- her noch nicht die Zügel völlig freigegeben hat, so nicht zuletzt aus Rücksicht auf die schwarzen Arbeiter. Aus diesem Grund zögert die Regierung auch, in den seit mehr als einer Woche andauernden Minenstreit einzugreifen. Sie hofft, daß die Kumpel mit ihren ma- geren Löhnen und ohne Streikkasse nicht so lange durchhalten wie die Gold- und Kohlevorräte des Landes reichen. Sollte der Ar- beitskampf allerdings an die Substanz, sprich die Exporterlöse, gehen, dann dürfte Pretoria Mittel und Wege finden, ihn zu been- den. In einem Industriestaat wie Südafrika verfügen die Machthaber über derart viele Repressions- und Manipulationsmöglichkeiten, daß es kein Zufall ist, wenn die neuere Geschichte Revolutionen - von der Sowjetunion über China bis zu Cuba - nur aus Agrargesell- schaften kennt. Das Arsenal reicht von roher Gewalt bis hin zur Ausnutzung wirtschaftlicher Abhängigkeit und der Schaffung lega- ler Institutionen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten hat Pretoria gelernt, auf diesem Instrumentarium zu spielen und hat die Apart- heid zu einer äußerst wirksamen Form oligarchischer Herrschaft gemacht. Daß die dominante Gruppe dabei ethnisch definiert ist, hat der Effizienz des Systems keinen Abbruch getan. Ganz im Ge- genteil: die Stärke dieser Politik liegt darin begründet, daß sie eine symbolische mit einer handfest materiellen Komponente ver- bindet - sie appelliert einerseits an das Identitätsgefühl und bietet sich andererseits als Organisationsgrundlage für pressure groups an. Apartheid muß, so verstanden, nicht unbedingt ein ir- rationales Relikt vergangener Zeiten sein. Gerade im Verteilungs- kampf um die knappen Ressourcen der Vielvölkerstaaten in der Dritten Welt kann sie zu einem sehr wirksamen Mobilisierungsin- strument werden." (Gerhard Behrens in der Süddeutschen Zeitung vom 17.8.87) So wird im Vertrauen auf die faktische Macht der Burenherrschaft aus der im letzten Sommer noch geläufigen Lüge, Apartheid sei ein Risiko für die Stabilität, ein Loblied auf eine höchst raffi- nierte, orts- und zeitgemäße Regierungsform. Der Aufforderung- scharakter dieser Stellungnahme ist im übrigen unübersehbar. Südkorea - Auch Arbeiter sollen die Nationalhymne singen -------------------------------------------------------- Die südkoreanische Regierung hat dem Land in bißchen Demokrati- sierung verordnet. Wofür ihre Diktatur die ganze Zeit über gut war, hat sie jedenfalls gewußt. "In der Vergangenheit haben wir das Wachstum zu stark zum Nach- teil der Arbeiter gefördert, jetzt haben wir den Punkt erreicht, an dem wir die Forderungen der Arbeiter unterstützen müssen." (Der Vorsitzende der Regierungspartei Roh Tae Woo) Jetzt ist die Regierung der Auffassung, daß sie wegen eventueller zukünftiger Wahlen die Sympathie des ganzen Volkes brauchen kann und bittet die Unternehmer zur Kasse, die - zumindest die großen Konzerne - in letzter Zeit glänzende Gewinne gemacht haben. Mit einer Währung, die an den Dollar gebunden ist, überschwemmen sie den Weltmarkt mit ihren Billigprodukten. Die "Aussöhnung der Nation" kostet den Hyundai-Konzern z.B. eine 10%-ige Lohnerhöhung. Wie das Unternehmen mit den zusätzlichen Kosten verfahren wird, ist bereits bekannt. Die Regierung will "vor allem die großen Unternehmen überwachen, damit Lohnsteige- rungen nicht über höhere Konsumentenpreise weitergegeben werden". - Das beherrschen sie in Korea also auch schon: Alle Probleme zu nennen, um sie damit für erledigt zu erklären. Der Erfolg des Streiks war, was die nationale Einheit angeht, an- geblich durchschlagend. "Der alte Chung (vom Hyundai-Konzern) empfängt eine Abordnung der Gewerkschaften einschließlich Vertretern des Gesamtrates und stößt mit ihnen auf die Aussöhnung an. Dann rufen sie gemeinsam 'Hyundai monsae' - zu Deutsch 'Es lebe Hyundai' - und stimmen das Firmenlied an." (Süddeutsche Zeitung, 20.8.87) Der gleiche Chung versprach vor 20000 streikenden Arbeitern, "Firmengewinne nicht mehr an Aktionäre weiterzugeben, sondern in die Löhne seiner Leute zu stecken Chung erklärte es darüber hin- aus sogar für 'wünschenswert', daß alle Arbeiter und Angestellten einer Gewerkschaft beitreten: 'Danach sollten gewählte Gewerk- schaftsführer und das Management gemeinsam Arbeitsprobleme ein- trächtig und legal lösen.' Dazu die Tageszeitung 'The Korea Herald': 'Als sie Chungs Ver- sprechen gehört hatten, sangen die protestierenden Arbeiter die Nationalhymne und gingen freiwillig auseinander.'" (Spiegel 35/87) Wie auch immer es wirklich war - so jedenfalls hätte die Regie- rung ihr streikendes Arbeitsvolk gerne, und so würde es auch den westlichen Beobachtern gefallen: Materielle Niederlagen mit Na- tionalismus quittieren. So würde der Arbeitskampf glatt ein Bei- trag zur politischen Kultur und sozialen Hygiene des Landes. Aber ganz so weit scheint es noch nicht zu sein, daß südkoreani- sche Arbeiter ihre Streiks wie ein Sommertheater des DBG abwic- keln. "Südkoreas Präsident Chun Doo Hwan hat während einer Pressekonfe- renz Arbeitnehmer und Arbeitgeber zur Mäßigung aufgerufen. Die anhaltenden Streiks wirkten sich auf die wirtschaftliche Entwick- lung und das tägliche Leben jedes einzelnen Bürgers aus, sagte Chun. Chun warnte: 'Wir streben demokratische Entwicklung an, aber sie ist nichts als ein Kartenhaus, wenn der Lebensstandard sinkt.'" (Süddeutsche Zeitung, 22.8.87) Lebensstandard steht hier, wie es sich für eine funktionierende Demokratie gehört, als volksfreundliches Etikett für florierende Wirtschaft und anspruchslose Arbeiter. Das freiwillig oder als Diktatur wie bisher, das ist die schöne Alternative, die der Dik- tator seinem Volk eröffnet. *** Ein größeres deutsches Bekleidungsunternehmen ist Ziel mehrerer Brandanschläge in der BRD geworden, "wegen der Ausbeutung korea- nischer Arbeiter", wie es in einem Bekennerbrief hieß. Die Firma hat zwar vorsichtshalber alle Aufträge für ihre 100%ige Tochter in Südkorea gestoppt, kann sich den Umstand, daß es in einem ih- rer Werke zum Streik gekommen ist, jedoch nur so erklären: "Südkorea befindet sich in einem Zustand heftiger politischer Auseinandersetzungen. Diese Auseinandersetzungen sind begleitet von Streiks in allen Wirtschaftszweigen. Flair Fashion ist das einzige Unternehmen in Korea, das sich zu 100% in deutscher Hand befindet; dies ist wohl der Grund, weshalb die Auseinandersetzungen von Südkorea auf die Bundesrepublik Deutschland übergegriffen haben. So wurde die ADLER-Handelsorga- nisation in Deutschland, die lediglich 1/4 ihres Umsatzes in Süd- korea produzieren läßt, in diese Auseinandersetzungen hineingezo- gen, die sich von Demonstrationen vor ihren Märkten bis zu Brand- anschlägen steigerten." (Firma Adler in einer Anzeige in der Süddeutschen Zeitung am 20.8.87) An den Stundenlöhnen von DM 2,- und schlechten Arbeitsbedingungen kann es jedenfalls nicht liegen. "Der Verwaltungsrat der ADLER-Bekleidungswerk AG hat gleichzeitig die Deutsche B i s c h o f s k o n f e r e n z gebeten, die Ar- beitsbedingungen bei Flair Fashion zu überprüfen, um festzustel- len, ob die bereits vor Monaten erhobenen Vorwürfe wegen soge- nannter "Ausbeutung von Arbeitnehmern" berechtigt sind. Eine katholische Untersuchungskommission des Bistums Iri (Südkorea) hatte in einem Bericht die erhobenen Vorwürfe zurück- gewiesen und die für die Verhältnisse des Landes überdurch- schnittlich guten Löhne bei Flair Fashion hervorgehoben." Ortsübliche Verhältnisse zwar, aber noch über dem Durchschnitt und mit dem Segen des Allerhöchsten versehen! Die Firma Adler hatte auch keine Schwierigkeiten, die Vorwürfe wegen niedrigen Stundenlöhnen und täglicher Arbeitszeiten von 10 bis 12 Stunden als böswillige Unterstellung zurückzuweisen: "Adler wies... sämtliche Vorwürfe zurück, die Arbeitszeit sei nur in Ausnahmefällen so lang, der Lohn nur bei Neueingestellten so niedrig." (Handelsblatt, 18.8.87) *** Zeitungen hierzulande finden dagegen, daß es den Arbeitern in Südkorea wirklich schlecht geht und endlich höhere Löhne und bes- sere Arbeitsbedingungen anstünden. Eine sonst nicht vernommene Sorge um die Lage der arbeitenden Klasse. "Bei der Streikwelle geht es grundsätzlich um zwei Dinge: erstens um eine wesentliche Aufbesserung der Arbeits- und Lebensbedingun- gen, zweitens um angemessene gewerkschaftliche Rechte überhaupt. Gemessen an den strahlenden Wirtschaftserfolgen, deren sich die südkoreanische Regierung so gerne rühmt, sind die Arbeitsbedin- gungen in vielen Betrieben ein Skandal. Das gilt für die Arbeits- zeit ebenso wie für die Entlohnung, aber auch bei der sonstigen sozialen Absicherung liegt vieles noch im argen. Wöchentliche Ar- beitszeiten von 50 bis 60 Stunden sind zumindest in den kleineren Betrieben durchaus üblich. Selbst wenn man die amtlichen Zahlen zugrunde legt, bei denen die größten Sünder, nämlich die klein- sten Betriebe, gerade unter den Tisch fallen, kommt man zum Bei- spiel für 1985 auf eine Jahresarbeitszeit von fast 2700 Stunden. Das sind rund 1000 Stunden mehr als in der Bundesrepublik Deutschland und noch 600 mehr als in Japan. Allgemeingültige Aussagen über das Lohnniveau sind schwierig, weil die Währungsrelationen nicht unbedingt den Kaufverhältnissen entsprechen. Die amtlichen Daten weisen für 1985 einen monatli- chen Durchschnittslohn von fast 400000 Won oder umgerechnet gut 900 Mark aus. Darin sind aber nur die Betriebe mit mindestens zehn Beschäftigten erfaßt, der ganze Unterbau der Minizulieferbe- triebe fehlt also in der Statistik. Hier ist aber ein sehr großer Teil der arbeitenden Bevölkerung zu Löhnen tätig, die sich zwi- schen einem Viertel und der Hälfte des amtlichen Durchschnitts bewegen. Es kommt hinzu, daß viele - und zwar auch größere - Be- triebe mit ihren Lohnzahlungen im Rückstand sind. Der Schutz der Arbeitnehmer in solchen Fällen ist völlig unzureichend. Ein be- sonders trübes Kapitel ist die Unterbezahlung weiblicher Arbeit- nehmer, zum Beispiel in den Klein- und Mittelbetrieben der Tex- tilindustrie." (Süddeutsche Zeitung, 18.8.87) In der Vergangenheit war Südkorea u n s e r B i l l i g- l o h n l a n d und die Adlers und C&A's schrieben immer noch an manchem "trüben Kapitel" unternehmungslustig mit. Aber wenn man sich vorstellt, daß dieser Staat tatsächlich mit seinen Billigameisen selbst etwas hermachen und auf dem Weltmarkt mitmischen will, fällt einem deutschen Wirtschaftsjournalisten - genau wie dem DGB - das ach so Soziale an der hiesigen Ausbeutung ein - als Kosten nämlich, die die dortige Obrigkeit sich und ih- ren Unternehmern doch einfach erspart und so einen Konkurrenzvor- teil einheimst. Da muß man schon einmal kontrollieren, ob alles mit lauterem Wettbewerb zugeht. So kommt eine deutsche Zeitung schließlich auf die Idee, nationales "Wachstum" für Lohn und we- niger Arbeit zu opfern: in Südkorea wie gesagt, für unsere natio- nale Konkurrenzfähigkeit - und auch nur in der Einbildung. "Angesichts des enormen Wachstumstempos der südkoreanischen Wirt- schaft wäre auch eine Verlangsamung zu verkraften. Im übrigen trifft es sich gut, daß diese Umstellung gerade zu einer Zeit er- folgen soll, wo sich das Land erstmals großer Überschüsse in sei- ner Leistungsbilanz erfreut. Kurzum, Südkorea kann sich die not- wendig gewordene Umstellung jetzt auch leisten." zurück