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Streiks in Südafrika und Südkorea
BEITRÄGE ZUR POLITISCHEN EMANZIPATION
DER ARBEITERKLASSE IN ENTWICKLUNGSLÄNDERN
In Südkorea und in Südafrika wird gestreikt, und nicht zu knapp.
Die Presse hierzulande gibt ihrer Verwunderung darüber Ausdruck,
daß die das dürfen. Aber da sie anscheinend dürfen, besteht kein
Grund zur Sorge. In kontrollierten Bahnen abgewickelt, sind Ar-
beiterstreiks ein Beitrag zur Stabilität, weil sie das Selbstbe-
wußtsein des arbeitenden Teils der Gesellschaft heben, und
schrecken Bürger nicht. Freilich muß die nötige Kontrolle gewähr-
leistet sein. Dafür stehen die bekanntermaßen bewährten Gewaltap-
parate derjeweiligen Staaten ein.
Südafrika - Schwarze streiken für die Behandlung als Arbeiter
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In den Kohle- und Goldminen Südafrikas sind zwischen 230- und
340-tausend Arbeiter im Ausstand. Die Gewerkschaft der Minenar-
beiter NUM hat vom Verband der Bergwerksgesellschaften eine
55%ige Lohnerhöhung, Verbesserung der Urlaubsregelungen, bessere
Abfindung der Familien im Falle von Grubenunglücken, bei denen
jährlich durchschnittlich 700 Arbeiter ums Leben kommen, und vor
allem eine "Beendigung des Wanderarbeitersystems" gefordert, "das
Bergarbeiter zwingt, den meisten Teil des Jahres ohne ihre Fami-
lien in eingezäunten, bewachten Heimen zu leben".
Die Bergbaukonzerne ihrerseits haben je nach Anlage Lohnerhöhun-
gen zwischen 16 und 24% angeboten. Verhandlungen über ihr
"Angebot" lehnten sie allerdings ab, auch wenn die Gewerkschaft
ihrerseits Verhandlungsbereitschaft signalisierte und ihre Lohn-
forderung auf 30% reduzierte. So können Berichterstatter behaup-
ten, die beiden Zahlen lägen ja nicht weit auseinander. Der NUM
ging es an diesem Punkt allerdings ums Prinzip. Sie will die
"Bergbaufirmen zwingen, ein Lohnabkommen auszuhandeln, anstatt
bloß zu verkünden, wieviel sie den Arbeitern zugestehen wollen."
(Der NUM-Vorstand Cyril Ramaphosa)
Die Arbeitgeber geben sich konziliant. Der Vorsitzende der Anglo
American Corporation, Gavin Relly, z.B. will den Umstand, "daß
ein legaler Streik in einem so lebenswichtigen Industriezweig
stattfinden kann, als Anzeichen für den Fortschritt der südafri-
kanischen Gesellschaft in Richtung Normalisierung verstanden wis-
sen." Relly gilt auch als Kritiker der Apartheid. Weil einer sei-
ner Arbeiter ein Neger ist, aus diesem Grund würde er sich nie-
mals mit ihm nicht an den Verhandlungstisch setzen. Als Vertreter
des Unternehmerstandpunkts muß er allerdings in der Sache hart
sein.
Um den Schein zu dementieren, sie würden mit einer s c h w a r-
z e n Gewerkschaft nicht verhandeln, hat sich das Minensyndikat
nach den ersten Versuchen, den Streik zu brechen - Entlassung von
7000 Arbeitern, Androhung des Rausschmisses von anschließend
40.000 -, zu Verhandlungen und einem neuen Angebot herabgelassen.
Das einmalige Angebot hieß: Verlängerung des Urlaubs auf einen
Monat pro Jahr und Erhöhung der Lebensversicherung auf 4
Jahresgehälter. Über die Forderung nach Beendigung des Wander-
arbeitersystems hat man nichts mehr erfahren; das würde die Minen
in Südafrika auch der zentralen Geschäftsbedingung berauben, die
Notlage der Hungerleider im Hinterland und in den Nachbarländern
auszunutzen. Die Gewerkschaftsmitglieder haben das Angebot der
Unternehmer abgelehnt.
Die Regierung Botha verkündet, daß sie ein Streik nichts angehe,
sondern dieser eine Angelegenheit der beiden kontrahierenden Par-
teien sei. Regierung und Unternehmer verfolgen die Linie, den Ar-
beitskampf von der Apartheid-Frage zu trennen. Sie wollen die
Auseinandersetzung nicht unter dem Gesichtspunkt führen, der für
ihre Staatskonstruktion immer gleich die Systemfrage aufwirft und
im Ausland dauernd für negatives Echo sorgt. Das hat auch Botha
mitgekriegt, daß sich Blüm - wenn er darf - bei ihm über geteilte
Parkbänke beschweren will und nicht über verelendete Wanderarbei-
ter. In so materialistische Angelegenheiten wie Streiks mischen
sich Solidaritätskomitees und Menschenrechtschristen nicht ein.
Gegen die streikenden Arbeiter wird folgendes Konzept verfolgt:
Die Gewerkschaft der schwarzen Arbeiter soll sich an der Macht
des Minenkapitals abarbeiten; die ö k o n o m i s c h e n Kal-
kulationen sollen das Ergebnis des Streiks diktieren. Die Berg-
werksgesellschaften führen bei der Entlassung von 10.000en von
Arbeitern ihre betriebswirtschaftlichen Kostenrechnungen ins Feld
und teilen mit, durch den Streik wäre so manche Zeche unrentabel
geworden. Sie bemühen sich nach Kräften, die Solidarität der
Schwarzen aufzubrechen. 100.000 stellen sie vor die Situation des
existentiellen Aus, anderen machen sie finanzielle Angebote, wenn
sie als Streikbrecher die Arbeit wieder aufnehmen. Im übrigen be-
ginnen sie bereits mit der Rekrutierung neuer Arbeitskräfte in
den Siedlungsgebieten der Schwarzen. Und wie um zu beweisen, daß
die Arbeiter zwar von ihnen, sie aber nicht von den Arbeitern ab-
hängig sind, weil ihnen schlimmstenfalls Schaden an den Gewinnen
entsteht, lassen sie die interessierte Geschäftswelt in regelmä-
ßigen Abständen wissen: "Neues Goldbergwerk 1990 voll betriebsbe-
reit." "Südafrika: Platinmine für 530 Mill. Rand" etc.
Das Angebot, den Streik "ökonomisch" zu entscheiden, ist der po-
litische Versuch, die schwarzen Arbeiter auf ihre Dienste als
Klasse zu verpflichten, ohne diesen Zwang gleich als rassische
Sortierung in Bürger unterschiedlichen Rechts geltend zu machen.
Das ist die Entpolitisierung des Arbeitskampfes, die die Regie-
rung will. Ihr Ideal ist es, den Lohnauseinandersetzungen den
Charakter einer politischen Manifestation gegen die Rassengesetze
zu nehmen und den Kampf gegen die Apartheid von seiner materiel-
len Grundlage in den speziellen südafrikanischen Ausbeutungsver-
hältnissen zu trennen. Die Gewerkschaft umgekehrt sieht in dem
Zugeständnis, nicht gleich mit den "staatsfeindlichen Umtrieben"
des ANC identifiziert zu werden, ihre Chance, sich als Vertreter
der Arbeiterklasse und damit, so wie die Dinge in Südafrika nun
einmal liegen, als politische Kraft der Schwarzen zu konsolidie-
ren. Die Betriebe müssen sich also darauf einstellen, ihre
Schwarzen als Arbeiter mit Gewerkschaftsrecht zu behandeln, was
ihnen angesichts der Besonderheiten des südafrikanischen Arbeits-
markts nicht allzu schwerfallen dürfte; dafür können sie damit
rechnen, daß die Konjunkturen ihres Geschäfts sich nicht ständig
mit dem Auf und Ab der Apartheidpolitik und der rassistischen
Herrschaftssicherung überkreuzen.
Daß Neger in Südafrika als Schwarze behandelt werden, ist frei-
lich auch bei diesem Streik schlechterdings nicht zu übersehen.
Nicht nur, daß der Ausgangspunkt der Lohnforderung der Vergleich
mit den dreimal höheren Löhnen weißhäutiger Arbeiter ist. Hier
suchte die Regierung ein kleines politisches Zugeständnis zu ma-
chen, indem sie jetzt auch schwarze Arbeiter zur Prüfung als
Sprengmeister zuläßt. Nicht nur, daß das ordnungsstiftende Ein-
greifen der Polizei in den Streik bereits so viele Todesopfer wie
in früheren Streiks auch gefordert hat. Die wirtschaftliche Ren-
tabilität der Minen basiert neben der Produktivität der einge-
setzten Maschinerie auf dem billigen, in Wohnsiedlungen eingep-
ferchten und nach Bedarf zu den Homelands und zurücktransportier-
ten Arbeitsvieh. Südafrikanische Bergwerksunternehmen p a r t i-
z i p i e r e n n i c h t n u r an den südafrikanischen Ras-
sengesetzen, sondern ihre Umsätze beruhen schon auf der sicheren
Kalkulation mit schwarzen und weißen Lohngruppen, auch wenn sie
sich einen Aufstieg schwarzer Arbeiter innerhalb der Firma auch
mal laut vorstellen können. Mag sein, daß ein Anglo American
Corporation-Vorstand sich auch Weiße in seinen Werkssiedlungen
denken kann, wenn sie es aufgrund "mangelnder Qualifikation"
verdienen - auf seine Werksghettos will er, wie der Verlauf der
Auseinandersetzung zeigt, nicht verzichten. Diese Grundlage
seines Geschäfts, bei dem ihm auch noch die Versorgung seiner
Klienten obliegt und selbst die Konten gesperrt werden können,
wenn Arbeiter an ihr Geld wollen, hält er für so normal wie ein
Türkenwohnheim in der BRD.
Die National Union of Mineworkers ist sich des politischen In-
halts ihrer Auseinandersetzung mit der Minenkammer bewußt.
"In Südafrika... werden Lohnverhandlungen mit Arbeitgebern vom
ganzen Apartheidsystem beeinflußt. Unsere Mitglieder leben in
Wohnheimen und Townships, die gemäß der Apartheid geschaffen wur-
den. Wir genießen keine Freizügigkeit, wir bezahlen Steuern, ohne
in der Regierung repräsentiert zu sein. Eine Gewerkschaft mit nur
einem Funken Selbstachtung muß sich natürlich solcher Ungerech-
tigkeiten annehmen." (Ramaphosa im "Spiegel" 35/87)
Im Unterschied zu den Negeraufständen der letzten Jahre haben die
Neger im Moment tatsächlich den Hebel erwischt, den sie als Ar-
beiter überhaupt in der Hand haben. Der Streik ist gut organi-
siert. Die Leute wissen, welche Repressionen auf sie zukommen.
Und die Buren tun wie üblich das Ihre, die Schwarzen in ihren
sehr korrekten Vorurteilen zu bestärken. Im Gegensatz zu manchen
Gerüchten hierzulande ist der Streik allerdings noch konziliant.
Er umfaßt noch nicht die "vitalen" Produktionssektoren der Na-
tion, ohne die der Westen tatsächlich schlecht zurecht käme: Uran
und Stahlveredler wie Chrom und Mangan.
Bis jetzt hat die NUM nur das Angebot der Niederlage. Auf keine
ihrer Forderungen ist e i n g e g a n g e n, 50.000 Streikende
sind entlassen worden. Die Gewerkschaft selbst hat ihre Lohnfor-
derung nochmals um 3 Prozentpunkte herabgesetzt. Was sie von der
Wiedereinstellung der Gefeuerten hält, ist nicht bekannt. Im Ton
bleibt sie allerdings hart und besteht darauf, daß die Unterneh-
men sie, zumindest im Prinzip, als Macht anerkennen. Das ist der
Sieg, den sie feiern möchte. Da die Gegenseite an diesem Punkt
aber auch auf stur schaltet weil sie die Weiterungen eines von
ihr anerkannten Gewerkschaftswesens vermeiden will, droht die
Ausweitung des Streiks auf strategisch relevante Produktionsbe-
reiche der südafrikanischen Republik und damit das massive Ein-
greifen der Regierung.
Die Bimbos in der Spiegel-Redaktion:
"Welche Möglichkeiten sehen Sie denn noch für einen einigermaßen
friedlichen Ausgleich zwischen Schwarzen und Weißen in Südafrika?
RAMAPHOSA: Es fällt mir schwer, daran zu glauben. Es hängt davon
ab, ob man sich auf das Ziel, auf die Befreiung einigen kann."
So erledigt sich für beide Seiten doch wieder der Unterschied
zwischen ökonomischem und politischem Kampf.
***
Nicht allerdings für den bundesdeutschen Sympathisantensumpf der
Regierung Botha. Unser "liberales Weltblatt" sieht angesichts der
bravourösen Behandlung des Streikgeschehens durch die Obrigkeit
überhaupt keinen Anlaß mehr, noch groß auf der Menschenrechts-
frage herumzureiten.
"Apartheid als wirksames Instrument
Wenn Präsident Botha den südafrikanischen Sicherheitskräften bis-
her noch nicht die Zügel völlig freigegeben hat, so nicht zuletzt
aus Rücksicht auf die schwarzen Arbeiter. Aus diesem Grund zögert
die Regierung auch, in den seit mehr als einer Woche andauernden
Minenstreit einzugreifen. Sie hofft, daß die Kumpel mit ihren ma-
geren Löhnen und ohne Streikkasse nicht so lange durchhalten wie
die Gold- und Kohlevorräte des Landes reichen. Sollte der Ar-
beitskampf allerdings an die Substanz, sprich die Exporterlöse,
gehen, dann dürfte Pretoria Mittel und Wege finden, ihn zu been-
den.
In einem Industriestaat wie Südafrika verfügen die Machthaber
über derart viele Repressions- und Manipulationsmöglichkeiten,
daß es kein Zufall ist, wenn die neuere Geschichte Revolutionen -
von der Sowjetunion über China bis zu Cuba - nur aus Agrargesell-
schaften kennt. Das Arsenal reicht von roher Gewalt bis hin zur
Ausnutzung wirtschaftlicher Abhängigkeit und der Schaffung lega-
ler Institutionen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten hat Pretoria
gelernt, auf diesem Instrumentarium zu spielen und hat die Apart-
heid zu einer äußerst wirksamen Form oligarchischer Herrschaft
gemacht. Daß die dominante Gruppe dabei ethnisch definiert ist,
hat der Effizienz des Systems keinen Abbruch getan. Ganz im Ge-
genteil: die Stärke dieser Politik liegt darin begründet, daß sie
eine symbolische mit einer handfest materiellen Komponente ver-
bindet - sie appelliert einerseits an das Identitätsgefühl und
bietet sich andererseits als Organisationsgrundlage für pressure
groups an. Apartheid muß, so verstanden, nicht unbedingt ein ir-
rationales Relikt vergangener Zeiten sein. Gerade im Verteilungs-
kampf um die knappen Ressourcen der Vielvölkerstaaten in der
Dritten Welt kann sie zu einem sehr wirksamen Mobilisierungsin-
strument werden." (Gerhard Behrens in der Süddeutschen Zeitung
vom 17.8.87)
So wird im Vertrauen auf die faktische Macht der Burenherrschaft
aus der im letzten Sommer noch geläufigen Lüge, Apartheid sei ein
Risiko für die Stabilität, ein Loblied auf eine höchst raffi-
nierte, orts- und zeitgemäße Regierungsform. Der Aufforderung-
scharakter dieser Stellungnahme ist im übrigen unübersehbar.
Südkorea - Auch Arbeiter sollen die Nationalhymne singen
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Die südkoreanische Regierung hat dem Land in bißchen Demokrati-
sierung verordnet. Wofür ihre Diktatur die ganze Zeit über gut
war, hat sie jedenfalls gewußt.
"In der Vergangenheit haben wir das Wachstum zu stark zum Nach-
teil der Arbeiter gefördert, jetzt haben wir den Punkt erreicht,
an dem wir die Forderungen der Arbeiter unterstützen müssen."
(Der Vorsitzende der Regierungspartei Roh Tae Woo)
Jetzt ist die Regierung der Auffassung, daß sie wegen eventueller
zukünftiger Wahlen die Sympathie des ganzen Volkes brauchen kann
und bittet die Unternehmer zur Kasse, die - zumindest die großen
Konzerne - in letzter Zeit glänzende Gewinne gemacht haben. Mit
einer Währung, die an den Dollar gebunden ist, überschwemmen sie
den Weltmarkt mit ihren Billigprodukten.
Die "Aussöhnung der Nation" kostet den Hyundai-Konzern z.B. eine
10%-ige Lohnerhöhung. Wie das Unternehmen mit den zusätzlichen
Kosten verfahren wird, ist bereits bekannt. Die Regierung will
"vor allem die großen Unternehmen überwachen, damit Lohnsteige-
rungen nicht über höhere Konsumentenpreise weitergegeben werden".
- Das beherrschen sie in Korea also auch schon: Alle Probleme zu
nennen, um sie damit für erledigt zu erklären.
Der Erfolg des Streiks war, was die nationale Einheit angeht, an-
geblich durchschlagend.
"Der alte Chung (vom Hyundai-Konzern) empfängt eine Abordnung der
Gewerkschaften einschließlich Vertretern des Gesamtrates und
stößt mit ihnen auf die Aussöhnung an. Dann rufen sie gemeinsam
'Hyundai monsae' - zu Deutsch 'Es lebe Hyundai' - und stimmen das
Firmenlied an." (Süddeutsche Zeitung, 20.8.87)
Der gleiche Chung versprach vor 20000 streikenden Arbeitern,
"Firmengewinne nicht mehr an Aktionäre weiterzugeben, sondern in
die Löhne seiner Leute zu stecken Chung erklärte es darüber hin-
aus sogar für 'wünschenswert', daß alle Arbeiter und Angestellten
einer Gewerkschaft beitreten: 'Danach sollten gewählte Gewerk-
schaftsführer und das Management gemeinsam Arbeitsprobleme ein-
trächtig und legal lösen.'
Dazu die Tageszeitung 'The Korea Herald': 'Als sie Chungs Ver-
sprechen gehört hatten, sangen die protestierenden Arbeiter die
Nationalhymne und gingen freiwillig auseinander.'" (Spiegel
35/87)
Wie auch immer es wirklich war - so jedenfalls hätte die Regie-
rung ihr streikendes Arbeitsvolk gerne, und so würde es auch den
westlichen Beobachtern gefallen: Materielle Niederlagen mit Na-
tionalismus quittieren. So würde der Arbeitskampf glatt ein Bei-
trag zur politischen Kultur und sozialen Hygiene des Landes.
Aber ganz so weit scheint es noch nicht zu sein, daß südkoreani-
sche Arbeiter ihre Streiks wie ein Sommertheater des DBG abwic-
keln.
"Südkoreas Präsident Chun Doo Hwan hat während einer Pressekonfe-
renz Arbeitnehmer und Arbeitgeber zur Mäßigung aufgerufen. Die
anhaltenden Streiks wirkten sich auf die wirtschaftliche Entwick-
lung und das tägliche Leben jedes einzelnen Bürgers aus, sagte
Chun. Chun warnte: 'Wir streben demokratische Entwicklung an,
aber sie ist nichts als ein Kartenhaus, wenn der Lebensstandard
sinkt.'" (Süddeutsche Zeitung, 22.8.87)
Lebensstandard steht hier, wie es sich für eine funktionierende
Demokratie gehört, als volksfreundliches Etikett für florierende
Wirtschaft und anspruchslose Arbeiter. Das freiwillig oder als
Diktatur wie bisher, das ist die schöne Alternative, die der Dik-
tator seinem Volk eröffnet.
***
Ein größeres deutsches Bekleidungsunternehmen ist Ziel mehrerer
Brandanschläge in der BRD geworden, "wegen der Ausbeutung korea-
nischer Arbeiter", wie es in einem Bekennerbrief hieß. Die Firma
hat zwar vorsichtshalber alle Aufträge für ihre 100%ige Tochter
in Südkorea gestoppt, kann sich den Umstand, daß es in einem ih-
rer Werke zum Streik gekommen ist, jedoch nur so erklären:
"Südkorea befindet sich in einem Zustand heftiger politischer
Auseinandersetzungen. Diese Auseinandersetzungen sind begleitet
von Streiks in allen Wirtschaftszweigen.
Flair Fashion ist das einzige Unternehmen in Korea, das sich zu
100% in deutscher Hand befindet; dies ist wohl der Grund, weshalb
die Auseinandersetzungen von Südkorea auf die Bundesrepublik
Deutschland übergegriffen haben. So wurde die ADLER-Handelsorga-
nisation in Deutschland, die lediglich 1/4 ihres Umsatzes in Süd-
korea produzieren läßt, in diese Auseinandersetzungen hineingezo-
gen, die sich von Demonstrationen vor ihren Märkten bis zu Brand-
anschlägen steigerten."
(Firma Adler in einer Anzeige in der Süddeutschen Zeitung am
20.8.87)
An den Stundenlöhnen von DM 2,- und schlechten Arbeitsbedingungen
kann es jedenfalls nicht liegen.
"Der Verwaltungsrat der ADLER-Bekleidungswerk AG hat gleichzeitig
die Deutsche B i s c h o f s k o n f e r e n z gebeten, die Ar-
beitsbedingungen bei Flair Fashion zu überprüfen, um festzustel-
len, ob die bereits vor Monaten erhobenen Vorwürfe wegen soge-
nannter "Ausbeutung von Arbeitnehmern" berechtigt sind.
Eine katholische Untersuchungskommission des Bistums Iri
(Südkorea) hatte in einem Bericht die erhobenen Vorwürfe zurück-
gewiesen und die für die Verhältnisse des Landes überdurch-
schnittlich guten Löhne bei Flair Fashion hervorgehoben."
Ortsübliche Verhältnisse zwar, aber noch über dem Durchschnitt
und mit dem Segen des Allerhöchsten versehen! Die Firma Adler
hatte auch keine Schwierigkeiten, die Vorwürfe wegen niedrigen
Stundenlöhnen und täglicher Arbeitszeiten von 10 bis 12 Stunden
als böswillige Unterstellung zurückzuweisen:
"Adler wies... sämtliche Vorwürfe zurück, die Arbeitszeit sei nur
in Ausnahmefällen so lang, der Lohn nur bei Neueingestellten so
niedrig." (Handelsblatt, 18.8.87)
***
Zeitungen hierzulande finden dagegen, daß es den Arbeitern in
Südkorea wirklich schlecht geht und endlich höhere Löhne und bes-
sere Arbeitsbedingungen anstünden. Eine sonst nicht vernommene
Sorge um die Lage der arbeitenden Klasse.
"Bei der Streikwelle geht es grundsätzlich um zwei Dinge: erstens
um eine wesentliche Aufbesserung der Arbeits- und Lebensbedingun-
gen, zweitens um angemessene gewerkschaftliche Rechte überhaupt.
Gemessen an den strahlenden Wirtschaftserfolgen, deren sich die
südkoreanische Regierung so gerne rühmt, sind die Arbeitsbedin-
gungen in vielen Betrieben ein Skandal. Das gilt für die Arbeits-
zeit ebenso wie für die Entlohnung, aber auch bei der sonstigen
sozialen Absicherung liegt vieles noch im argen. Wöchentliche Ar-
beitszeiten von 50 bis 60 Stunden sind zumindest in den kleineren
Betrieben durchaus üblich. Selbst wenn man die amtlichen Zahlen
zugrunde legt, bei denen die größten Sünder, nämlich die klein-
sten Betriebe, gerade unter den Tisch fallen, kommt man zum Bei-
spiel für 1985 auf eine Jahresarbeitszeit von fast 2700 Stunden.
Das sind rund 1000 Stunden mehr als in der Bundesrepublik
Deutschland und noch 600 mehr als in Japan.
Allgemeingültige Aussagen über das Lohnniveau sind schwierig,
weil die Währungsrelationen nicht unbedingt den Kaufverhältnissen
entsprechen. Die amtlichen Daten weisen für 1985 einen monatli-
chen Durchschnittslohn von fast 400000 Won oder umgerechnet gut
900 Mark aus. Darin sind aber nur die Betriebe mit mindestens
zehn Beschäftigten erfaßt, der ganze Unterbau der Minizulieferbe-
triebe fehlt also in der Statistik. Hier ist aber ein sehr großer
Teil der arbeitenden Bevölkerung zu Löhnen tätig, die sich zwi-
schen einem Viertel und der Hälfte des amtlichen Durchschnitts
bewegen. Es kommt hinzu, daß viele - und zwar auch größere - Be-
triebe mit ihren Lohnzahlungen im Rückstand sind. Der Schutz der
Arbeitnehmer in solchen Fällen ist völlig unzureichend. Ein be-
sonders trübes Kapitel ist die Unterbezahlung weiblicher Arbeit-
nehmer, zum Beispiel in den Klein- und Mittelbetrieben der Tex-
tilindustrie." (Süddeutsche Zeitung, 18.8.87)
In der Vergangenheit war Südkorea u n s e r B i l l i g-
l o h n l a n d und die Adlers und C&A's schrieben immer noch an
manchem "trüben Kapitel" unternehmungslustig mit. Aber wenn man
sich vorstellt, daß dieser Staat tatsächlich mit seinen
Billigameisen selbst etwas hermachen und auf dem Weltmarkt
mitmischen will, fällt einem deutschen Wirtschaftsjournalisten -
genau wie dem DGB - das ach so Soziale an der hiesigen Ausbeutung
ein - als Kosten nämlich, die die dortige Obrigkeit sich und ih-
ren Unternehmern doch einfach erspart und so einen Konkurrenzvor-
teil einheimst. Da muß man schon einmal kontrollieren, ob alles
mit lauterem Wettbewerb zugeht. So kommt eine deutsche Zeitung
schließlich auf die Idee, nationales "Wachstum" für Lohn und we-
niger Arbeit zu opfern: in Südkorea wie gesagt, für unsere natio-
nale Konkurrenzfähigkeit - und auch nur in der Einbildung.
"Angesichts des enormen Wachstumstempos der südkoreanischen Wirt-
schaft wäre auch eine Verlangsamung zu verkraften. Im übrigen
trifft es sich gut, daß diese Umstellung gerade zu einer Zeit er-
folgen soll, wo sich das Land erstmals großer Überschüsse in sei-
ner Leistungsbilanz erfreut. Kurzum, Südkorea kann sich die not-
wendig gewordene Umstellung jetzt auch leisten."
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