Quelle: Archiv MG - ASIEN SUEDKOREA - Noch eine geteilte Nation
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Südkorea
EIN "TODESURTEIL GEGEN DIE DEMOKRATIE?"
Die Presse berichtet wirklich sehr differenziert über die
"dramatischen Ereignisse" in Südkorea. Erst Greuelbilder und ge-
bührendes Entsetzen über das in Kwangiu geflossene Blut; dann das
Attest für den "starken Mann", "daß er noch härter durchgreifen
kann als sein Vorgänger Park"; dann einhellige Empörung, daß er
den "demokratischen Oppositionsführer" Kim Dae Jung vor ein Mili-
tärgericht und zum Tode verurteilen ließ. Schlagartig saß das
südkoreanische "Regime" selbst "auf der Anklagebank". Sein Ver-
brechen: ein "Todesurteil über die Demokratie", die man im Hals
des Herrn Kim entdeckt hat.
Die Fernostkorrespondenten
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kabeln eilig von ihrem ganz privaten Lunch mit dem prominenten
Opfer, das sich als offen, ehrlich, zutiefst gläubig - kurz west-
lich orientiert erweist:
"Freiheitsdrang und Elend der Massen machten aus ihm noch keinen
Chomeini. Er selber verglich sich lieber mit Ghandi, und in sei-
nem Programm fand sich nicht nur das Bekenntnis zur 'freien
Marktwirtschaft', sondern auch 'Gottes Gebot', seinen Feinden zu
verzeihen."
Am Modell-Ghandi fällt hiesigen Politikverehrern nicht nur die
Führungsqualitat auf:
"In einer normalen Demokratie würde er sich von anderen Politi-
kern kaum abheben - ein ehrgeiziger Bewerber um die Macht."
Irgendwie muß sein "Charisma" sogar auf die CIA gewirkt haben,
die amerikanische wenigstens, weiß man zu berichten:
"1973, im japanischen Exil, wurde Kim am hellichten Tage von fünf
Agenten der koreanischen CIA aus einem Hotel in Tokio entführt;
als die Kidnapper des mit Betonklötzen an Armen und Beinen be-
schwerten Körper ins haifischverseuchte Meer werfen wollten,
tauchte unvermittelt ein Hubschrauber auf (vermutlich nach ameri-
kanischer oder japanischer Intervention). - Kim wurde an Land ge-
bracht und lag schließlich mit verbundenen Augen neben seiner
Wohnung in Seoul."
Daß Chun nun, Entschlossenheit demonstriert, seinen Gegner hoch-
offiziell und vor den Augen der Weltöffentlichkeit wegzuräumen,
macht das Maß voll, denn das ist ein Affront gegen "uns". Und
wirklich: "Nur sechs Minuten dauerte die Verlesung des Urteils"!
Die weltweite mangelnde Beachtung der deutschen Strafprozeßord-
nung ist bekanntlich ein Hauptproblem, das hiesige Fans ordentli-
cher Prozesse nicht schlafen läßt. So fallen wieder einmal die
mit Staats- und Engelszungen gepredigten Ideale der Demokratie
einem fernöstlichen Kommunikationsmodell zum Opfer, an dem der
Westen mit zehntausenden Ami-Soldaten und mehr beteiligt ist:
"An Chuns gewaltätiger Sprache... prallen selbst deutsche Kanzler
und Bischofsworte ab."
So geht's zu in der Pressewelt: Die Weltmächte Nr. 1 und 3 - 6
kapitulieren ohnmächtig vor der falsch benutzten Souveränität
ihres Verbündeten.
Der neue Staatschef Südkoreas
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sieht das natürlich anders:
"Some foreigners tend to tell others to do this, do that. But the
Republic of Korea today need not accept unjust intervention in
internal affairs."
Er ist schließlich der anerkannte Souverän. Er hat die Massen
nicht nur blutig daran erinnert, daß sie sich soldatenmäßig in
der Bastion gegen den kommunistischen Erzfeind aufzuführen, Reis
zu liefern, japanische Profite zu erwirtschaften und ansonsten
nicht zu mucksen haben. Er hat auch bei der Stabilisierung der
Verhältnisse mit "Umerziehungslagern" für zehntausende, mit Li-
quidationen und Blutbädern stets dazugesagt, daß das für die
Freiheit nötig sei, für den "Aufbau eines demokratischen Wohl-
fahrtsstaates" etc. Und kaum am Ruder, hat er sich demonstrativ
für sein Volk und den Westen sogar zum Staatschef wählen lassen,
dafür eigens die Uniform ausgezogen und eine Verfassung erlassen,
die nach hiesiger Auffassung alles "auf eine legale Grundlage"
stellt, noch dazu unter "Stärkung der Gewaltenteilung nach ameri-
kanischem Vorbild". Die Ausschaltung der lästigen Opposition
durch die offizielle Beseitigung ihres Führers wäre also die Krö-
nung seines Staatsaufbaus und die Erledigung eines lästigen Kon-
kurrenten, der zehn Jahre lang vergeblich versuchte, durch Wahlen
an die Macht der Diktatoren zu gelangen und dadurch nicht nur für
viele Südkoreaner, sondern auch für den Westen als ernsthafte Al-
ternative gilt. Ruhe und Ordnung kehren solange nicht ein, wie
anerkannte Politiker Liberalisierung von einem Regime fordern
können, das der Anerkennung des Westens nur solange gewiß ist,
wie es die totale Befriedung seiner Gesellschaft garantieren kann
und diese Aufgabe so erledigt, daß es jede Einmischung mit Bajo-
netten beantwortet.
Das "Opferlamm" Kim Dae Jung
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weiß, daß ihn sein Ehrgeiz für eine bessere Herrschaft in Korea
das Leben kosten kann. Und er ist von seiner politischen Mission
überzeugt genug, den Prozeß für die öffentliche Vorführung seines
Idealismus für seine Landsleute und den Westen zu benutzen:
"Was ich mir als letzten Willen wünsche, ist die baldige Herstel-
lung der von der ganzen Bevölkerung ersehnten Demokratie in die-
sem Lande im Wege des Kompromisses und der Zusammenarbeit mitein-
ander."
Wieweit dieser "Martyrer", dem die "Zusammenarbeit" mit dem
Strick droht, mit diesem Plädoyer auf die Nachwirkungen in seinem
Land oder auf die Unterstützung des Westens spekuliert, sei da-
hingestellt. Jedenfalls präsentierte er sich damit dem Ausland
als bleibende und brauchbare Alternative, die einigen Einsatz
wert ist, um neuerliche Unruhen zu verhindern.
Die demokratischen Politiker
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beschränken sich daher nicht auf das üblicherweise die Militär-
hilfe begleitende Menschenrechtsgesäusel, sondern zeigen ernste
Besorgnis. Japans Außenminister Ito greift in das schwebende Ver-
fahren ein und kündigt eine "Verschlechterung der Beziehungen"
für den Ernstfall an. Genscher äußert brieflich seine "Besorgnis
um die Sicherheit demokratischer Politiker". Beide werden nach
dem Urteilsspruch erneut vorstellig und Friedenswilly telegra-
phiert "große Bestürzung".
Mindestens die BRD, Australien, Neuseeland, Norwegen, Frankreich
"schließen schwerwiegende Konsequenzen für die bilateralen Bezie-
hungen nicht aus", Tokio droht mit Einschränkung der Wirtschafts-
hilfe und "in Washington wird Revision des Urteils erwartet".
Natürlich werden die 4.000 GIs nicht zur "Einmischung in die in-
neren Angelegenheiten" benutzt, aber mit aller Achtung vor der
Souveränität der Militärs teilt man ihnen diplomatisch drohend
mit, daß man andere Vorstellungen von der Ordnung in Korea hat
und daher seine Interessen verletzt sieht.
Wenn der Westen sich geschlossen als moralische Weltmacht auf dem
internationalen Parkett aufführt, hat das zwar nichts mit Einsatz
für demokratische Prinzipien zu tun, wohl ab er mit dem Prinzip,
daß man die demonstrative Beseitigung einer demokratischen Alter-
native für eine ungebührliche Verletzung westlicher Stabilitäts-
interessen hält. Also bedeutet man den Militärs, daß man von ih-
nen Rücksichtnahme verlangt. Das Regime soll Kim gefälligst auf
weniger definitive Weise aus dem Verkehr ziehen. Einen dezidiert
prowestlichen Politiker legt man nicht ausgerechnet in einem Land
um, an dessen Tür Kommunisten stehen. Schließlich überzeugte Kim
schon mal 45% seiner Landsleute davon, daß man gegen die Herr-
schaft des Militärs und doch für die Amis sein kann, die sie
stützen.
So bedeutet man den Machthabern, daß sie abzuwägen haben zwischen
ihrem Wunsch nach gewaltsamer innerer Befriedung und dem westli-
chen Wunsch nach einer Sorte Arrangement, das ihnen Unruhe er-
spart und für alle Fälle Alternativen - offenhält. Der Streit
geht also darum, wieweit sich ein Verbündeter Freiheiten bei sei-
ner Herrschaftssicherung auch gegen die westlichen Erwartungen an
sie erlauben kann.
Der Ausgang dieses imperialistischen Spektakels
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ist also im Prinzip klar. Die optimale Lösung: Kim wird dazu be-
gnadigt, lebend kaltgestellt zu werden. Chun ist ihn erst mal los
und hat seinem Volk dennoch demonstriert, daß es zu parieren hat
und Opposition nicht zugelassen wird. Seinen Verbündeten hat er
seinen Willen demonstriert, sich nicht reinreden zu lassen und
zugleich Rücksicht genommen auf ihre Einwände gegen seinen Ge-
brauch der Macht. Es deutet einiges darauf hin, daß die Beteilig-
ten dieses Optimum ansteuern, wenn nicht von vornherein schon im
Sinn gehabt haben. Chun hat nicht nur drei Militärgerichtsinstan-
zen eingerichtet und sich das Gnadenrecht vorbehalten, sondern
schickt auch einen Sonderemissär mit der Botschaft nach Europa:
"Man sollte im Zusammenhang mit dem Todesurteil gegen Kim vom
Ausland her keinen Druck auf die Gerichte und die Regierung Süd-
koreas ausüben. Das würde das Prinzip der Souveränität berüh-
ren... Ein Gnadenerweis des Präsidenten könnte ebenfalls nicht
durch Druck von außen erzwungen werden, im Gegenteil: Der Präsi-
dent würde unter Druck vielleicht nicht so entscheiden können,
wie er im Grunde möchte."
Sollte aber Chun auf die Juni-Richtlinie Präsident Carters speku-
lieren, daß es "keinen Widerspruch zwischen Hilfe für das Mili-
tärregime und Menschenrechtsforderungen" gibt, und sollte er sich
wegen seiner Rolle als Bastion nicht in seine Souveränität rein-
reden lassen wollen, dann stirbt eben Kim als Märtyrer für die
Freiheit, die Welt hat einen "Katholiken und Liberalen, der hier-
zulande auf dem linken Flügel der CDU zu finden wäre", weniger,
in Korea wird wieder einiges Blut fließen und der Westen kann
sich überlegen, ob und wie er dem Militärregime mehr Respekt bei-
bringt und zugleich seinen Vorposten sichert.
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