Quelle: Archiv MG - ASIEN JAPAN - Besonderheiten einer Handelsnation
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Marxistische Studentenzeitung 3/80
Japan
SOZIALER FRIEDE AUS TRADITION
In einem Fernsehjournal, das sich ansonsten mit den Erschwernis-
sen des Regierens in nicht nur räumlich von uns weit entfernten
Ländern befaßt - wo auch mal über die Lebenskünste von Ägyptern
auf und von einem Riesenmisthaufen berichtet wird - wurden vor
kurzem Bilder über das Betriebsklima in Japan vorgestellt: Vom
Dienen und Dienern in Japans Betrieben. Wie der Titel schon sagt,
war vom Arbeiten, davon, wie es wirklich zugeht in den Fabriken,
wenn die Japaner Autos und Fernseher zusammenbauen, weniger die
Rede als von den Eigenheiten dieses Volks bei der Herstellung des
nationalen Reichtums, von seinen als kurios ausgegebenen Tradi-
tionen, die auf ihre Art klarmachen, daß die Angelegenheit so
witzig für die Beteiligten nicht sein kann.
Los ging's mit dem "höflichsten Verkaufspersonal der Welt", das
nicht nur werktags, sondern auch an europäischen Sonn- und Feier-
tagen seine Kunden König sein läßt, indem es sie mit Dienern emp-
fängt, begleitet und entläßt, auch wenn sich der Umworbene nur
einen Ausflug in die Welt seiner (unerschwinglichen) Wünsche
geleistet hat. Erwägungen, ob diese Aufführung von angeblichen
Dienern, die nicht für ihn krumm stehen, den japanischen Kunden
stört, sind überflüssig, wenn man sieht, wie sich der Japaner zu
seiner Anstellung auf Lebenszeit stellt. Er dienert, singt Hymnen
auf seine Firma, schläft in der Ausbildung zur Hebung des Zusam-
mengehörigkeitsgefühls zu zwanzigst in kleinen netten Zimmerchen,
macht als Intelligenztraining gemeinsame Schnitzeljagden und
überhaupt alles gemeinsam. Und das alles dafür, daß er den Dienst
antreten darf, weil er das Privileg zu schätzen weiß, seine
Lebenszeit und -kraft dem Kapitalisten zu verkaufen, wofür er die
Sicherung seiner Ausbeutung bis zu 55 Jahre garantiert erhält,
wenn er es bis dahin bringt, und auf einen Sozialstaat verzichten
kann, weil der Betrieb eine einzige gemütliche Sozialeinrichtung
ist, außer daß auch noch gearbeitet wird.
Das klang zwar alles sehr exotisch und idyllisch, aber auch nur
deshalb, weil mit den Idealen des hiesigen Sozialstaats die nicht
gerade originelle Leistung des japanischen Kapitals besprochen
wird, die Ausbeutung internationalem Standard entsprechend zu or-
ganisieren.
Lebenslänglich trotz Rationalisierung
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Hier wie dort ist das Arbeitsmaterial der Faktor in der betrieb-
lichen Kostenrechnung, dessen Lohn es zu senken gilt, und das ist
nur insoweit eine Frage der Tradition, als man getrost darauf
bauen kann, daß die Mitarbeiter ihr Wohl von dem des Betriebes
abhängig machen. Das japanische Beschäftigungssystem ist dabei
nicht moderner und nicht vorsintflutlicher als das hierzulande
praktizierte: Ob man nun die Arbeiter freiwillig kündigen läßt
oder freisetzt oder sich von vornherein nur eine Kernmannschaft
einstellt, die bei Bedarf durch weibliches Personal und/oder Sai-
sonarbeiter aufgefüllt wird, ist für den Zweck der Kalkulation
weniger wichtig als der Punkt, ob dadurch das Verhältnis von Lohn
und Leistung stimmt für den Kapitalisten.
Wenn die "Frankfurter-Allgemeine" also unter dem schönen Titel
"Wie Japan den sozialen Frieden erhält - lebenslänglich trotz (!)
Rationalisierung"
bei der 'Modernisierung' des Systems der Betriebszugehörigkeit
einen "Handel auf Gegenseitigkeit" zwischen Betrieb und Gewerk-
schaft entdecken will, so kann das nur ein gewolltes Mißverständ-
nis sein. Wenn die Gewerkschaft der Abschaffung des Senioritäts-
prinzips in der Entlohnung und der Einführung der Entlohnung nach
Leistungsprinzip dann, wenn der Arbeiter nicht mehr genügend lei-
sten kann, zugestimmt hat, ist das schlicht die Abschaffung eines
kleinen Vorteils für den Proleten, den er sich bis dato durch die
lebenslange Verdingung an einen Betrieb erwerben konnte. Für
"lebenslänglich trotz Rationalisierung" haben die japanischen Ge-
werkschaften um ihretwillen gestimmt. Schließlich sind sie als
Betriebsgewerkschaften eine Säule des Systems der Beschäftigung
auf Lebenszeit und wissen, was sie mit den Arbeitsplätzen ihrer
Mitglieder verlieren: In Japan wird der Arbeiter auch von der Ge-
werkschaft entlassen, wenn er seinen Arbeitsplatz verliert. Der
Witz an solcher Begutachtung japanischer Zustände ist, daß die
Feststellung, daß dort der soziale Friede extrem gut läuft, als
Problem von Modernität contra Tradition besprochen wird: Ist das
noch eine gescheite Tradition, wenn das japanische Management
sich schon eine Maschine erfunden hat, die der auszubildenden Ju-
gend, wenn sie schon das Katzbuckeln nicht mehr intus hat, es per
Maschine beibringt, oder vielleicht unheimlich modern wie die
sympathischen Arbeitslager, in denen der Nachwuchs für sein Be-
triebsfamiliendasein abgerichtet wird. Bleibt nur zu fragen, wie
man daraufkommt, bei Tradition an etwas Altmodisches, Verstaubtes
oder ähnlich Sinnleeres zu denken, wo der Verzicht der Leute, die
den nationalen Reichtum besorgen, auf Reichtum und einiges mehr
Tradition ist und immer Konjunktur hat.
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