Quelle: Archiv MG - ASIEN INDIEN - Die volkreichste Demokratie
zurück Marxistische Studentenzeitung 12/84HINTERGRÜNDIGES AUS HINDUSTAN
Unsere öffentlichen Meinungsmacher haben den Tod Indira Gandhis zum Anlaß genommen, unvoreingenommen über die wirklichen politi- schen Verhältnisse in Indien aufzuklären. Hier ihre Befunde: - Indira war eine unvergleichlich s t a r k e F ü h r e r i n. "Indira Gandhi war Indiens einziger Politiker, der mit Recht sa- gen konnte, er sei ein nationaler Führer." (Thomas Ross, FAZ) - Indira war eine m a c h t b e s e s s e n e H e r r- s c h e r i n. "Die Bewältigung der brisanten sozialen und wirtschaftlichen Pro- bleme Indiens ist schon durch zu viele machiavellistische Manöver seiner (Radschiw Gandhis) Vorregentin unverantwortlich verzögert worden." (Olaf Ihlau, Süddeutsche Zeitung) - Sie hat also ein M a c h t v a k u u m hinterlassen. "Indira Gandhi hat viel Mühe darauf verwendet, Indien zur Hegemo- nialmacht in Südostasien und dank ihrer Persönlichkeit zu einer respektierten Nation in der Welt zu machen. Diese Position wird nicht leicht zu halten sein." (Gabriele Venzky, FR) "Die Machtpolitikerin hat ein Machtvakuum hinterlassen, das von ihrem Sohn nun gleichsam verkörpert wird." (Carlos Widmann, SZ) - Sie hat kein Machtvakuum, sondern eine D y n a s t i e hin- terlassen. "...nicht, daß die indischen Massen etwas gegen eine Dynastie hätten - an ihr üben nur Intellektuelle Kritik. Schließlich ist das Volk seit Jahrhunderten an Familienherrschaft gewöhnt, und der Zauber, der die Namen Nehru/Gandhi umgibt, hat eine besondere Wirkung," (Gabriele Venzky, FR) - S o h n R a d s c h i w ist eine Pflaume. "Als Radschiw Gandhi vor kurzem, ganz westlich elegant gekleidet, mit schon etwas gelichteten, an den Schläfen leicht ergrauten Haaren, in Genf vor die Presse trat, fielen seine Antworten auf journalistische Fragen vor allem durch Phantasielosigkeit auf. So wird denn auch bezweifelt daß er die Führungsqualitäten - zu denen in Indien vor allem auch Härte und ein Maß an Ruchlosigkeit gehören - hat, um in die Fußstapfen seiner Mutter zu treten." (Günther Nonnenmacher, FAZ) "Niemand spricht dem neuen Regierungschef des zweitgrößten Staa- tes der Erde Integrität, Bescheidenheit und persönlicne Glaubwür- digkeit ab, und im Gegensatz zu seinem Bruder hat er sich keiner- lei Vorwürfe wegen Korruption oder Gewaltanwendung zugezogen. Er gilt als beinahe scheu, sanft und verschlossen." "Ob Radschiw Gandhi... ausreichende politische Qualitäten für die Leitung der Regierung in einem 730 Millionen Menschen großen Volk hat, steht ganz und gar in den Sternen. Auf eigenständige Berater und Mini- ster, die Zivilcourage mit Fachwissen verbinden, wird er kaum zu- rückgreifen können, wenigstens vorerst nicht. Indira hat Politi- ker solchen Kalibers gar nicht erst aufkommen lassen." (Karl Grobe, FR) - Sohn Radschiw ist ein e r f o l g v e r s p r e c h e n d e r N a c h f o l g e r. "...zählte Rajiv im Beraterkreis der Premierministerin zu den Falken, die für ein hartes Durchgreifen im Punjab plädierten." "Die Ministerriege nach einem Wahlsieg aber dürfte ganz anders aussehen, mehr Profil aufweisen. Dafür werden schon Rajivs compu- terboys sorgen, sein qualifizierter Beraterstab aus Technokraten, Marktwirtschaftlern und erfolgreichen Geschäftsleuten, die gleich dem neuen Regierungschef in Cambridge (oder Harvard) studiert ha- ben und davon träumen, Indien nach dem Vorbild Südkoreas oder Singapurs in das 20. Jahrhundert zu katapultieren. Sozialisti- schen Ideologen jedenfalls, wie sie lange Zeit zu den Einflü- sterern seiner Mutter gehörten, wird er wohl weniger Gehör schen- ken." (Olaf Ihlau, SZ) "Radschiw ist auch ein Symbol für einen Neubeginn; denn mit In- dira Gandhi ist unwiderruflich eine Epoche zu Ende gegangen." "Mit Radschiw kommt eine neue Generation, die nicht mehr am Unab- hängigkeitskampf beteiligt war, die dem Computer-Zeitalter näher steht als den Palast-Intrigen der Mogul-Kaiser." (Gabriele Venzky, FR) Alles klar über Indien? zurück