Quelle: Archiv MG - ASIEN CHINA - Wie tot ist Mao?


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       18.06.1989
       

FREIHEIT UND DEMOKRATIE! IST ES DAS, WAS DIE CHINESISCHEN STUDENTEN WIRKLICH WOLLEN?

Daß die Anliegen der Studenten nur zu berechtigt sind, will jeder ganz genau wissen. Bloß, was wollten die Studenten mit ihren Massendemonstrationen und Hungerstreiks denn eigentlich? D a f ü r interessiert sich niemand. Ihre Forderungen wurden nämlich mit dem TÜV-Stempel des Freien Westens: "Demokratisie- rung" versehen. Und der erledigt jede nähere Prüfung. Nur, soll man jetzt tatsächlich glauben, die Studenten wollen so etwas wie den Deutschen Bundestag als Volkskongreß mit einem Kanzler Kohl als ersten Vorsitzenden? Wollen sie tatsächlich "Bild" jeden Tag als Wandzeitung? Zur Klarstellung die "7 Forderungen der Studenten an die Führung vom 18.4.89". "1. Hu Yaobangs politische Leistungen gerecht bewerten und die Auffassung von der Lockerung der demokratischen Freiheiten gut- heißen." Die Bewertungen "politischer Leistungen" geschieht bei uns im Wahlkampf. Demokratischer Wahlkampf geht freilich anders als so, daß sich Studenten oder andere Massen mit ihrer Staatsführung in zäher Auseinandersetzung über ihre politische Linie einig werden. Und wenn Studenten und Bürger eine solche Einigkeit wollen und dazu "Lockerung demokratischer Freiheiten" sagen, dann wollen sie todsicher etwas anderes als eine demokratische Konkurrenz von Parteigrößen, bei der die nationalen Richtlinien der Politik so- wieso außer Frage stehen. "2. Die (Kampagne zur) Beseitigung der geistigen Verschmutzung und Gegnerschaft gegen die Liberalisierung radikal ablehnen." Der bürgerliche Rechtsstaat kennt z u m e i n e n P a r a- g r a p h e n, z.B. gegen die "Verbreitung staatsgefährdenden Schrifttums", z u m a n d e r e n M o r a l k a m p a g n e n gegen allen möglichen "geistigen Sumpf"; drittens kennt er die V e r k n ü p f u n g v o n m o r a l i s c h e n K a m p a g- n e n u n d P r o z e s s e n. Die chinesische Führung kennt diese hochzivilisierte Unterscheidung beim Säubern nicht. Die chinesischen Studenten kennen sie auch nicht, sondern verlangen von ihrer F ü h r u n g eine n e u e M o r a l als Grundlage der staatlichen P o l i t i k. D a m i t sähen sie im demokra- tischen Rechtsstaat alt aus. "3. Die Führenden in Partei und Staat sowie ihre Söhne und Töch- ter sollen gegenüber dem gesamten Volk ihre Vermögensverhältnisse klarlegen." Die chinesischen Studenten scheinen geradezu ein familiäres Ver- hältnis zu ihrer Partei zu haben. Sie fordern Offenheit, Ehrlich- keit und gleiche Armut für alle, nicht bloß als Ideal, sondern als Regierungspraxis. Das ist sehr undemokratisch. Die Demokratie hat nämlich erstens nichts gegen Bereicherung; sie bekämpft die Korruption der Machthaber durch ansehnliche Gehälter und erlaubt Beraterverträge. Zweitens kennt sie den Korruptions v o r- w u r f als Waffe im demokratischen Parteienstreit. Deswegen weiß drittens auch jeder mündige demokratische Bürger, wie er diesen Vorwurf zu verstehen hat: Daß "Politik ein schmutziges Geschäft" ist, kennt jeder Demokrat als Argument, mit dem Politi- ker in ihre Posten hineingewählt werden. "4. Von der Bevölkerung betriebene Zeitungen zulassen, Einschrän- kung der Berichterstattung aufheben." Diese Forderung hat mit Pressefreiheit, wie wir sie haben, nichts zu tun. Die Studenten wollen Zeitungen, die von der Bevölkerung g e m a c h t - also nicht bloß gekauft und gelesen - werden, weil sie darin ein Mittel sehen, die Obrigkeit mit Anliegen des Volkes bekannt zu machen und darauf festzulegen. Sie fordern e h r l i c h e - und nicht freie - Berichterstattung, weil sie darin ein Mittel sehen, die Obrigkeit zu dauernder Rechenschaft vor dem Volk zu verpflichten. Das ist ungefähr das Gegenteil der "vierten Gewalt", die unsere freie Presse ausüben will, indem sie unterschiedlich gestimmten Leserkreisen die Sorgen und Freuden der Regierung nahebringt. "5. Den Bildungsfonds erhöhen, die Stellung der Intellektuellen anheben." Deutsche Studenten und Akademiker, die höchstens einmal 1/4 Seme- ster lang eine soziale Frage entdecken und im übrigen felsenfest davon ausgehen können, daß "die Stellung der Intellektuellen" hierzulande schon in Ordnung geht, sollten erst gar nicht anfan- gen, sich mit den Nöten und dem Diensteifer chinesischer Studen- ten zu solidarisieren. Daß da Leute die Parole "dem Volke dienen" bitter ernst nehmen, wird ihnen sowieso ein Rätsel bleiben. "6. Aufhebung der vom ständigen Ausschuß des Nationalen Volkskon- gresses in Peking erlassenen verfassungswidrigen '10 Punkte' zur Einschränkung von Demonstrationen." Ob das die Forderung nach einem demokratischen Demonstrations- recht ist? Nach einem "Vermummungsverbot", nach einem Recht, das das Delikt der "passiven Bewaffnung" (alles vom Helm bis zum Schal) entdeckt hat, das das "Verbleiben in verbotenen Versamm- lungen" als kriminellen Straftatbestand definiert und, und, und? "7. Klare Berichterstattung über die gegenwärtigen Aktivitäten" (nämlich der Studentenbewegung) "in den Partei- und Regierungsor- ganen." In China sind Studenten der festen Überzeugung, die staatlichen Medien hätten das Mittel des Volkes zu sein. Nur deshalb kommen sie auf die Forderung, die Partei hätte den eigenen Standpunkt zu verleugnen und dem ihrer Kritiker Gehör zu verschaffen; denn in ihrer chinesischen Öffentlichkeit ist ausführliche Berichterstat- tung gleichbedeutend mit Recht bekommen. Das hat allerdings wirk- lich nichts mit demokratischem Pluralismus zu tun. zurück