Quelle: Archiv MG - ASIEN CHINA - Wie tot ist Mao?
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Marxistische Studentenzeitung 4/80
China
AUF DIE ARBEITS- UND DEVISENKRAFT DER MASSEN BAUEN
In schöpferischer Weiterentwicklung der Massenlinie Maos:
"Den Volksmassen wohnt eine unbegrenzte Schöpferkraft inne. Sie
können sich organisieren und können an jedem Ort und in jeder
Sparte, wo es ihnen möglich ist, ihre Kräfte zu entfalten, einen
Vormarsch erzielen: sie können die Produktion in die Tiefe und in
die Breite vorantreiben und immer mehr Wohlfahrtswerke für sich
selber schaffen." ("Ein Ausweg für die überschüssige Arbeitskraft
gefunden", 1955),
hat die Bereitschaft der Volksrepublik China, mit Hilfe westli-
cher Devisen und Kredite auf die "eigene Kraft zu bauen", zu
neuen Ideen in Sachen Schöpferkraft der Volksmassen geführt. Zu
den in "beiderseitigem Nutzen" getätigten Geschäften soll ab
jetzt in größerem Stile auch die Vermietung der bekannten Spezies
'Blaue chinesische Ameise' ins Ausland gehören, die in "Einheiten
von mehreren Hundert bis mehreren Zehntausend Mann" auf Abruf be-
reit steht - pro dreihundert Mann zwei Köche, ein Frisör und ein
Dolmetscher. Die staatliche "Arbeitskräfte-Dienstleistungs-Ge-
sellschaft" bietet gegen Massenunterkünfte ("mit Ventilator")
"dem chinesischen Gaumen angepaßte" Verpflegung und "medizinische
Versorgung", die " einzige 'Exportware', die China im Überfluß
besitzt", zu Billigstlöhnen zwischen 620 und 770 Mark bei sechs
Achtstundentagen ohne Urlaub zum Kauf an - vor allem für japani-
sche Straßen-, Eisenbahn- und Wohnungsbauprojekte im Nahen Osten.
An den guten alten Sklavenhandel muß man sich schon deshalb nicht
erinnert fühlen, weil die staatliche vermittelten Lohnarbeiter in
der fremde 10% ihres Lohns als Taschengeld und am Ende ihres Aus-
landsbesuchs weitere 10% für "Mitbringsel" ausgezahlt erhalten.
Den Rest bekommen sie - nach einigen Abzügen versteht sich - spä-
ter daheim in Renminbi. Außerdem stehen die armen Bauern schon
Schlange; denn der Auslandslohn ist 15mal höher als zuhause, und
wenn man genügend "Erfahrungen auf modernen Großbaustellen" beim
Sandschaufeln in der Wüste sammelt, kann man als "Arbeiter mit
Qualifikation" auf die "eiserne Reisschüssel", einen ziemlich si-
cheren Arbeitsplatz in einer chinesischen Fabrik rechnen.
Daß man diese Trupps aber auch nicht mit üblichen Gastarbeitern
verwechselt, dafür hat der chinesische Verleiher durch die Ver-
mietung als Staatseigentum und durch die genannte Organisation
der Arbeit gesorgt. Der kapitalistische Mieter muß die
"Gesamtsumme der Gehälter schon vor Beginn des Gruppeneinsatzes"
in harten Devisen auszahlen, und zwar an den chinesischen Staat,
so daß diesem der immer etwas zweifelhafte, mühsame und allmähli-
che Transfer der Gastarbeiterdevisen erspart bleibt. Der chinesi-
sche Staat hat in der Massenkraft die 'Manpower' entdeckt, die
ihm zu Arbeitslosen Erklärte vom Hals schafft, Devisen bringt,
sich also auszahlt, obwohl sie im eigenen Land zur Reichtumsver-
mehrung nicht zu gebrauchen sind. Im Unterschied zu den früheren
unterentwickelten Formen des chinesischen Massenarbeitseinsatzes
für Eisenbahn- und Straßenbau in Entwicklungsländern ist dies
also eine echte Völkerfreundschaft zum wechselseitigen Nutzen,
weil sie mit westlichem Kapital geschlossen wird, so daß diese
"Gastarbeiteraktion" wirklich "für China neue Freunde gewinnt".
Denn der Westen weiß den guten Willen zu würdigen, der in den
chinesischen Massen ein Material sieht, das sich seine Existenz
in einem rentablen Staatsdienst zu verdienen hat. Auch, wenn ihn
nur einige Länder in dieser Form benutzen wollen, nimmt man den
Geist der "vier Modernisierungen" zufrieden zur Kenntnis, der aus
dieser Spekulation auf das Interesse entwickelter Länder an der
profitlich zu verwertenden chinesischen Rückständigkeit spricht.
So zufrieden ist man, daß man schon wieder davor warnt, in Sachen
'Bevölkerungsplanung' durch Zwangssterilisationen, Belohnungen
für Einkinderfamilien, drastische Strafen für uneheliche Kinder
usw. den Bogen nicht zu überspannen. Die Unbekümmertheit, mit der
die "vier-Modernisierungen"-Bande neuerdings ihren Ameisen
zwangsweise ihre Überflüssigkeit für den neuen Staatszweck er-
klärt, kommt einem nicht ganz geheuer vor:
"Bereits treffen Berichte ein, daß zwangs- und massenweise durch-
geführte Abtreibungen und Sterilisationen E m p ö r u n g u n d
P r o t e s t e hervorgerufen haben. Der Hinweis der Führung auf
die 'enge Verbindung von Geburtenbeschränkung, Verwirklichung der
vier Modernisierungen und einem glücklichen Leben von vielen kom-
menden Generationen' ist sicher zum Teil richtig. Ob aber mit dem
neuen System aus Anreizen und Straßen die traditionelle Einstel-
lung geändert werden kann und ob eine Milliarde Chinesen die
Parole 'Es ist ehrenhaft, nur ein Kind zu haben' verstehen und
befolgen wird, bleibt eine offene Frage."
Nicht offen bleibt allerdings, daß die hiesigen hochmoralischen
Debatten, über die "Vernichtung ungeborenen Lebens", die mit Eu-
thanasieverdacht und Rechts- und Gottesansprüchen von Föten etc.
um die rechte Hochschätzung der Nachwuchserzeugung streitet, für
China auch nicht das Passende ist. Denn die Sorge um das richtige
Q u a n t u m an Bevölkerung hier wie in China hat denselben
Maßstab - die Menschen sind dazu da, ordentlich brauchbar zu sein
-: Und für den kann es sowohl zuviel, wie zuwenig von diesem Gut
geben, weswegen man den Sorgen der chinesischen Führung auch wie-
der Verständnis entgegenbringt.
Es ist schon eine merkwürdige Besorgnis in den hiesigen Kommenta-
ren eingerissen, seit sich die chinesischen Volksführer zu einem
staatsmäßigeren Umgang mit ihren Massen entschlossen haben. Es
kommt einem fast so vor, als hätten die Westler sich wegen ihres
Interesses am chinesischen Fortschritt auch den alten Mao-Spruch
zu Herzen genommen und schöpferisch weiterentwickelt:
"Die Produktionstätigkeit der Massen, die Interessen der Massen,
die Erfahrungen der Massen, die Stimmungen der Massen - all dem
müssen die führenden Kader stets ihre Aufmerksamkeit schenken."
(Inschrift für eine Produktionsausstellung, 1943)
Die Beobachter merken eben, daß der hiesige Vorteil nicht ohne
eine Verschärfung der Gegensätze in China selber zu haben ist.
Und das kann einem schon eine Sorgenfalte bezüglich des Volksge-
horsams wert sein.
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