Quelle: Archiv MG - ASIEN AFGHANISTAN - Vom heiligen Krieg des Westens
zurück Wiener Hochschulzeitung, 15.03.1988 Sowjetabzug aus AfghanistanWELTPOLITIK MIT "KRISENHERDEN"
Wenn die Sowjetunion heute im 9. Jahr des Krieges die Absicht kundtut, ab 15. Mai die eigenen Truppen aus Afghanistan zurückzu- ziehen, dann nicht deswegen, weil am Khaiber-Paß nach der einen oder anderen Seite hin eine Kriegsentscheidung gefallen wäre. Eine militärische Not der Sowjets ist genausowenig auszumachen wie umgekehrt eine Verwirklichung der Anliegen, die die Sowjets 1979 zu ihrer Intervention bewogen haben. Der erklärte Zweck, der afghanischen "Bruderpartei" bei einer internen Auseinandersetzung zu Hilfe zu eilen, um dann möglichst schnell wieder zu alten "freundschaftlichen" Beziehungen zurückzukehren, ist nicht aufge- gangen. Am Hindukusch festgehalten wurden die sowjetischen Trup- pen durch den Beschluß der USA, aus dem sowjetischen Beglückungs- programm für die Völker Afghanistans, deren Lebensverhältnisse vorher im Westen niemand für bemerkenswert gefunden hat, das Ver- brechen der UDSSR zu machen. Deswegen wurde Afghanistan zum uner- träglichen Krisenherd erklärt, Pakistan als westlicher Stützpunkt neu entdeckt, und sämtlichen internen Gegnern der Kabuler Regie- rung moderne westliche Waffen in die Hand gedrückt. Seitdem gelten die Jünger Allahs, die "wir" ein Land weiter als den "unmenschlichen Terrorismus" eines Khomeini kennen, als "unsere Freiheitskämpfer". Der zweckmäßige Terrorismus den die Paschtunen-Krieger in ihrem "Heiligen Krieg" gegen die "gottlosen Teufel" sowie gegen die Bevölkerung, soweit sie nicht am eigenen Kampf teilnimmt, ausüben, war und ist eine Heldentat, wobei die selbstlose Aufopferung der Mudschahedins für die gute Sache spricht. Wenn wieder einmal eine Zivilmaschine samt Frauen und Kindern vom Himmel geholt wird, dann ist das nie und nimmer ein "terroristischer Gewaltakt", sondern beweist nur den gerechten Willen und die Kampfstärke der richtigen Seite und daß die guten amerikanischen Stinger-Raketen selbst in der Hand von Analphabe- ten vertrauenswürdige Dienste tun. Daß so die herkömmliche Subsi- stenzwirtschaft und -lebensweise der Bevölkerung vernichtet wurde, darf im freien Westen betränt werden. Schließlich "be- weist" es, daß Freundschaft mit der Sowjetunion nur Elend und Tod mit sich bringt. Wenn sich Gorbatschow heute des Problems entledigen will, das der NATO-Westen zum internationalen Verbrechen Nr. 1 erklärt hat, will er von einer "Umgestaltung" der inneren Verhältnisse in Afghanistan nichts mehr abhängig machen. Vielmehr betrachtet er die Unterschrift Reagans unter den INF-Ab- rüstungsvertrag als Auftakt zu einer neuen Weltlage-Wegen dieser Sicht der Rüstungsdiplomatie als ersten Schritt zur friedlichen Koexistenz, dem weitere folgen sollen, kann sich Gorbatschow auch Afghanistan als Gegenstand des "Entspannungsprozesses" vorstel- len. Die USA sollen sich endlich politisch als die Partei b e k e n n e n, die sie im Krieg um Afghanistan s i n d; auf dieser Basis sollen dann die militärischen Mittel und Möglichkei- ten beider Seiten vor Ort zum Gegenstand weltpolitischer Verhand- lungen gemacht werden. Das hat Konsequenzen für das afghanische "Brudervolk". Sein "Schicksal" entscheidet sich an den weltpolitischen Berechnungen der USA und der UdSSR. Damit ist eines jetzt schon garantiert: "friedliche Verhältnisse" werden am Hindukusch nicht einkehren. Dafür sorgt die USA, der die SU das Ansinnen stellt, ihrerseits das Aufmischen der Region einzustellen. So bescheiden ist der Westen freilich nicht. Weder gedenkt er, vor dem russischen Truppenabzug die militärische Unterstützung der Rebellen einzustellen; noch kann er sich dem Anspruch von exil-afghanischer und pakistanischer Seite verschließen, eine Übergangsregierung einzig unter Ausschluß der bisherigen Machtha- ber in Kabul einzusetzen. Daß diese weniger denn je das maßgebli- che politische Subjekt im Lande sind, ist nicht der Grund dafür. Vielmehr der Wille der USA, das Scheitern der sowjetischen Ab- sichten in Afghanistan a u s n a h m s l o s zu machen. Daß beim Einzug der Rebellen in Kabul mit den "Vasallen Moskaus" ab- gerechnet wird, plaudert die Weltöffentlichkeit bereits locker aus. Daß mit der Rückkehr der Mudschahedin der afghanischen Be- völkerung ein Blutbad bevorsteht, das alle bisherigen Schreckens- gemälde von der Grausamkeit der sowjetischen "Besatzes" in den Schatten stellt, wird lässig in Kauf genommen. Warum auch nicht? Um das Wohlergehen der Leute am Khaiberpaß ist es dem Westen doch nie gegangen. zurück