Quelle: Archiv MG - ASIEN AFGHANISTAN - Vom heiligen Krieg des Westens


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       Bremer Hochschulzeitung Nr. 12, 04.02.1980
       

BRIEFE AN DIE BHZ

Zum AFGHANISTAN - Teach-In der MG schreibt uns der Kommilitone Peter G. aus Bremen. Der BHZ-Redaktion ist es ein Vergnügen, an dieser Stelle zu antworten. Lieber Peter, Du schreibst: "Bei einer so genauen Analyse, wie sie auf dem Teach-In der MG gegeben wurde, muß die Alternativlosigkeit der MG verwundern. Auf anderen Veranstaltungen, die an der Bremer Universität zum Thema Afghanistan abgehalten wurden, konnte ich zwar die Analyse der Referenten nicht ohne weiteres teilen, aber im Gegensatz zur MG wurde dort offen die Frage diskutiert, welche Alternative sich für das afghanische Volk bietet. Wenn bei Euch ein Afghane aufge- standen wäre und das Streben seines Volkes nach eigener Souver- änität zum Ausdruck gebracht hätte, dann hätte ihm der MG-Redner sicher geantwortet, daß dies ob der wirtschaftlichen Schwäche dieses Landes sinnlos sei. Warum sagt ihr immer nur, alles ist Scheiße: die Russen sind Scheiße, der US-Imperialismus ist Scheiße, die afghanische Souveränität auch. Was bleibt denn dann zu tun?" Dazu soviel, lieber Peter: 1. verwundert es uns, daß Dir das Argument der "Alternativ- losigkeit" genügt, um gleich den I n h a l t der so genauen Analyse" zu vergessen. Und mindestens soviel solltest Du doch behalten haben, daß dort eine Weltmacht Nr. 2 dafür kämpft, das auch bleiben zu dürfen, und die andere Weltmacht Nr. 1 das gar nicht schätzt. Da beide Bemühungen über Leichen gehen, sehen wir die einzige Alternative darin, von hier ausgehend das Unsrige dafür zu tun, den größeren und kleineren Mächten dieser Welt die M i t t e l ihrer kriegerischen Rangeleien abspenstig zu machen - nämlich die als Arbeitsvieh und Soldaten anzeits geschätzten Proleten, denen wir lieber etwas Ruhe und sieben fette Jahre gön- nen wurden. Die "Alternative", selber nach Kabul zu marschieren, rückt uns da weder faktisch noch standpunktmäßig ins Blickfeld: Weder sind wir eine Weltmacht, noch liegt uns irgendwas daran, eine zu werden und von uns agitierte Leute zu verhetzen. 2. haben wir gezeigt, daß in dem Bergland dahinten überhaupt kein "Volk" nach "eigener Souveränität" (worüber bitteschön?) "strebt", selbst wenn ein Original-Afghane solches behauptet. Die Nationa- lität unserer Diskussion ist uns schon eh wurscht (wir halten ja auch nicht jeden ausweisfähigen Deutschen für einen Fachmann in Sachen BRD - und nicht einmal Du würdest den Strauß schon deshalb für kompetent halten, bloß weil er ein Hiesiger ist); ein "Volk" haben wir bei über die Grenzen (die ihnen gar nicht eingefallen sind) hin und herziehenden Nomadenstämmen, die sich von Viehzucht und Rauschgifthandel ernähren, nicht entdecken können - und falls irgendein Haufen Belutschen nach eigener Kontrolle seiner Berg- pässe "strebt", halten wir dieses "Streben" auch nicht für über- mäßig umwerfend. Das 3. der Einfall einiger dortiger Politiker oder Intellektueller oder Mullahs, einen richtig "souveränen" Staat aufzumachen, "ob der wirtschaftlichen Schwäche dieses Lan- des" höchstens der dortigen Bevölkerung zu einer noch geringeren Lebenserwartung verhilft, als sie sie ohnehin schon hat, wolltest Du ja selbst nicht bestreiten. Schließlich: Sei bitte 4. ein wenig ehrlicher zu Dir und zu uns. Mach uns doch nicht weis, Du hättest Dich schon v o r der gegenwärtigen Auseinan- dersetzung vor Sorgen um das künftige Schicksal der Afghanis ver- zehrt und wie ein Wilder nach "Alternativen" gesucht. Kennst Du überhaupt die Städte und Stämme in diesem Erdwinkel (klar, daß es da Kabul und den Khyber-Paß gibt, hast Du inzwischen vielleicht aus der Zeitung erfahren), weißt Du, wovon sich die Bevölkerung über die Runden bringt, welche politischen Gruppierungen dort um die Macht rangeln? Na siehst Du. Dann sei doch auch nicht so zy- nisch, je nachdem, was die Tagesschau gerade wieder zum Dreh- und Angelpunkt des Weltgeschehens erklärt, plötzlich Dein Riesenin- teresse für irgendwelche Bergvölker zu entdecken - uns kommt das nämlich eher als eine ziemlich g l e i c h g ü l t i g e Be- trachtung des imperialistischen Aufs und Abs vor. Unserem Teach- In konntest Du immerhin entnehmen, daß die ganze Sache in Afgha- nistan mit A f g h a n i s t a n recht wenig mit imperialischen Mächten dagegen sehr viel zu tun hat. Aus Deinen folgenden Fragen schließen wir, daß Du das durchaus gemerkt hast. Da geht es ja auch nicht um die Paschthunen und Turkmenen, sondern um Ost und West; unsere Antworten können das Teach-In also gut ergänzen. "Dann meinte der Afghanistan-Experte, daß die USA sich einen Krieg durchaus leisten könnten, und der Westen darauf hin arbei- ten würde. Dazu hab ich gleich 3 Fragen: 1. Bringen die Ost-West-Handelsbeziehungen nicht auch dem Westen Vorteile, so daß eine Aufgabe dieser Beziehungen nachteilig ist? 2. Sehen die USA und die SU nicht in den demokratischen Soziali- sten im weitesten Sinne (Jungdemokraten bis Eurokommunisten meine ich) einen gemeinsamen Feind, der einigend auf die Supermächte einwirkt? 3. Können sich die USA aufgrund der sowjetischen Atomstreitkräfte einen Krieg wirklich leisten? Ist nicht eher anzunehmen, daß ein Atomkrieg letzten Endes auch für die USA nachteilig wäre?" Zuerst prinzipiell: Merkst Du nicht, daß eine Argumentation, die Krieg & Frieden mit den Kategorien von Vor- und Nachteilen be- spricht, selbst schon Deine Friedenshoffnungen relativiert? Du blätterst da immerhin K a l k u l a t i o n s g r u n d- l a g e n auf, bei denen es immer noch von dem, der kalkuliert, abhängt, ob er sich vom Frieden oder vom Krieg mehr verspricht - oder anders: Du sprichst aus, daß Kriege heutzutage vom Kriterium des Lohnens aus geführt und nicht mehr einfach zu Eroberungszwecken vom Zaun gebrochen werden. Über den Inhalt dieses Lohnens machst Du Dir allerdings falsche Vorstellungen: Ad 1. Natürlich bringen die Ost-West-Handelsbeziehungen nicht nur a u c h, sondern sogar vor allem dem Westen Vorteile. Für die hiesigen Imperialisten ist der Osthandel eben ein G e- s c h ä f t, das ihnen offenbar soviel abwirft, daß man den Russen immer neue Verschuldungen zugehen kann und dabei immer reicher wird, umgekehrt sind diese Verschuldungen und einige Zugende mehr für den Osten der Preis, der ihm nur das Notwendige an Technologie, Getreide, usw. verschafft, das seine eigene Ökonomie offenbar nicht zusammenbringt. Aber wofür soll das jetzt ein Argument sein? Wie z.B. die immer wieder hervorgekramten Menschenrechtskampagnen (die ja auch nicht gegen jede politische Herrschaft auf dem Globus so eminent in den Vordergrund gerückt werden) zeigen, könnte der Westen sich die Ost-West-Beziehungen noch viel vorteilhafter vorstellen, als sie sind: Schließlich sind einige N a c h t e i l e der östlichen Wirtschaftspraxis für das Geschäft hier nicht zu übersehen - der dortige Markt steht nicht nach Gusto offen, Kapitalinvestitionen sind kaum möglich, weil die dortige politische Herrschaft nicht einfach ihre ökonomische Basis ruinieren lassen, mit ihren bekannten preisgünstigen Qualitätsprodukten einmal der f r e i e n K o n k u r r e n z unterwerfen könnte! Klar, da der Ostblock leider eine ziemliche Militärmacht darstellt, muß man sich einst- weilen mit diversen Erpressungsmanövern begnügen: ein Embargo be- stimmter Waren (Computer, Weizen) ist nicht ohne (wobei denen, die z.Z. damit Geschäfte machen, von US-Jimmy und anderen ganz politisch bedeutet wird, sie seien keine K r ä m e r s e e- l e n), über die Bewältigung ungeliebter "Kompensationsgeschäf- te" oder neuer Kredite entscheidet man zögernd (auch Zeit ist Geld in diesem Fall zusätzliche Kosten für die Ostler), die Meistbegünstigungsklausel wird nicht gewährt, usw. - Auf diese Weise kostet der Osthandel den Osten ständig mehr, gerade weil er ihn braucht; und ob die Russen sich wirklich jedes Jahr ein Stückchen mehr zum Entwicklungsland befördern lassen, wollen wir ja sehen: Irgendwann entdecken sie, daß sich ab jetzt die ö k o n o m i s c h e n Ost-West-Beziehungen nicht mehr lohnen, die Frage einer k r i e g e r i s c h e n Fortsetzung dieser Beziehungen also auf die Tagesordnung rückt. Wann und wie das dann losgeht, sei dahingestellt. Aber Du konntest daran sehen, daß das G e s c h ä f t nicht in jeder Situation ein Wi- derspruch gegen den Krieg ist: Daß der Krieg selber heutzutage - es ziehen ja nicht mehr die Wikinger auf Beutefang - ein ökonomi- scher Nachteil ist, versteht sich, da geht ja einiges zu Bruch dabei; moderne Kriege werden aber nicht geführt, damit sie sich lohnen, sondern weil das Geschäft sich n i c h t m e h r l o h n t, also die Beendigung des Geschäfts zur Neufestsetzung seiner Bedingungen durchaus etwas bringen kann, nämlich für den, der gewinnt und deshalb diese Bedingungen neu festsetzen kann. Da Du selber dem Handel (der auch die Kriegsgründe liefert, wenn er nicht mehr geht) nicht ganz als Kriegsverhinderungsgrund zu trauen scheinst, kommst Du in Deiner 3. Frage auf die Atombomben; deshalb gleich. Ad 3. Hier führst Du also die moderne Kriegs f ü h r u n g als mögliches Hindernis eines Kriegs an und denkst dabei wahrschein- lich daran, daß, kaum fallen die ersten Atombabies, der ganze Erdball hops wäre. Freilich, das wäre wirklich ein saudummer Krieg, weil ohne Gewinner und Verlierer die Sache enorm an Reiz verlieren würde. Bloß: Wie kommst Du eigentlich darauf, daß ein Atomkrieg so geführt wird? Wer soll denn den führen? Was wir so der Tagespresse entnehmen, werden da von den Verantwortlichen ganz andere Überlegungen angestellt: Amis und Russen sind Meister im Erfinden immer neuer Dosierungen von Nuklearwaffen, damit im Ernstfall jeder Angriff auch passend geführt werden kann, und in den SALT-Verhandlungen haben sie sich minuziöse Rahmenrichtlinien dafür ausgedacht - eben damit der Atomkrieg nicht gleich mit der u l t i m a ratio begonnen werden muß. Für jedes Ziel und für jede Reichweite gibt es inzwischen besondere Nuklearsprengköpfe; die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Europa (NATO- "Nachrüstung") spricht doch in dieser Hinsicht Bände. Falls ir- gendwann notwendig, soll es erst einmal Westeuropa mit den Russen aufnehmen, dann wird sich schon heran stehen, wer es w i e w e i t bringen kann, ohne gleich sein ganzes eigenes Territo- rium zu zerstören. Die politischen Bemühungen gehen also dahin, den nächsten Krieg gerade mit Atomwaffen wieder f ü h r b a r zu machen, d.h. Deinen vorgestellten totalen Atomknall von vorn- herein auszuschließen, damit er - wenn nötig - bestenfalls nur von einer Seite in Szene gesetzt werden kann. Mit der b e g r e n z t e n Verwüstung ist man weniger zimperlich, da stellt sogar der US-Senat interessante Berechnungen über die ei- genen möglichen Verluste an: "Selbst bei einem nur begrenzten Atomangriff der SU auf nuklear- strategische Ziele in den USA, die überwiegend nicht in der Nähe von Städten liegen, könnte es noch 20 Mio. Tote geben. Doch könnte sich diese Zahl in den folgenden Monaten und Jahren durch Verhungern, Mangel an Unterkuft und medizinischer Versorgung ver- doppeln." Du würdest dies sicherlich wieder als "nachteilige Auswirkung" eines Atomkriegs auf die USA werten und hättest so unrecht nicht. 40 Millionen Tote sind auch kein Pappenstiel. Nur wird Deine An- sicht, die USA könnten sich sowas nicht leisten, zumindest von den Senatoren dieses Staats nicht geteilt, haben sie doch in ih- rer Mehrheit der von ihnen angeforderten Studie entnommen, daß sie "zeigt, daß ein Volk einen Atomkrieg überstehen kann." (beides nach SZ v. 19.5.79) Der S t a a t könnte also weiterbestehen, und was verantwor- tungsbewußte Politiker mit einer dezimierten, ausgebombten und ausgehungerten Bevölkerung anfangen können, hat ja schon das Nachkriegsdeutschland bewiesen - wobei ein kleiner Unterschied natürlich darin besteht, daß ein Ami in die begrenzte Verwüstung des eigenen Territoriums natürlich den unbegrenzten Ruin des Hauptfeinds schon eingerechnet hat.... (Zur weiteren Vertiefung dieses Themenkomplexes empfehlen wir Dir unsere RESULTATE 4/5 über den IMPERIALISMUS). Ad. 2 schließlich. Die Antwort lautet Nein. Weder sehen die Su- permächte in den Jungdemokraten bzw. Eurokommunisten überhaupt einen Feind (ebensowenig, wie die "demokratischen Sozialisten" ihrerseits in den Supermächten Feinde sehen - oder sind Dir da anderslautende Dokumente in die Finger geraten?), noch gar einen gemeinsamen, zu dessen Niederhaltung Amis und Russen sich einigen müßten. Ist die Idee nicht vielleicht doch ein bißchen weitherge- holt? Ansonsten lieber Peter, und laß Dir von dieser langen Antwort nicht wieder "Denkmöglichkeiten" eröffnen, sondern denk wirklich - "Alternative" haben wir ja schon angeboten. Die BHZ Redaktion zurück