Quelle: Archiv MG - ASIEN AFGHANISTAN - Vom heiligen Krieg des Westens
zurück MSZ 10/88 Nebenfronten von gewaltigem InteresseREGIONALE KONFLIKTE
So heißen blutige Auseinandersetzungen, die dauernd in den ver- schiedensten Weltgegenden stattfinden. Durch einen Vergleich mit dem für ziemlich wüst erachteten g l o b a l e n K o n- f l i k t zwischen den "Supermächten" haben sie ihren Namen erhalten. Und manche Zeitgenossen neigen dazu, die r e g i o- n a l e n K o n f l i k t e für nicht so gravierend zu halten, weil während ihrer Abwicklung der "Weltfrieden" herrscht. Obwohl in den r e l a t i v b e g r e n z t e n Feindseligkeiten die Parole vom miteinander Reden weil besser als Schießen kaum beherzigt wird. Dabei hat der Vergleich zwischen den stattfindenden Kriegen und dem gedachten großen Showdown zwischen Ost und West seinen guten Grund: Es ist einfach nicht zu übersehen, daß dieselben Parteien am Werk sind - an den grünen Tischen der Rüstungsdiplomatie, wo ständig ein theoretischer Vergleich der Waffen läuft, und auf den Kriegsschauplätzen, wo es kracht. Insofern ist das "bloß", das sich erleichtert bei den "regionalen" Gemetzeln zurechtgelegt wird, sehr töricht. Es sind erstens echte Kriege, geführt mit Hilfe der Kriegstechnik, die den Verteidigungsbemühungen der Freiheit und des Sozialismus entsprungen ist; zweitens sind es Kriege, in denen merkwürdig überregionale Gesichtspunkte und In- teressen den Kriegsverlauf, taktisch und strategisch, bestimmen. Die politische Ideologie, welche die Optik besorgter Demokraten festlegt, ist angesichts der Gewaltorgien bemüht, zwischen R e c h t u n d U n r e c h t zu unterscheiden. Die lassen sich schön auf die streitenden Parteien vor Ort verteilen, deren Kämpfe man sich manchmal als Geschehen vorstellen darf, das nach Washington und Bonn gemeldet wird, dort Besorgnis hervorruft und die Frage aufwirft, was zu tun sei. Diese Art zu erklären, daß "wir" allemal z u s t ä n d i g sind für einen korrekten Aus- gang der regionalen Konflikte, die "e s g i b t", ist einer- seits verlogen. Die Pflicht zur "Einmischung" - stets im Namen einer "Lösung", einer "friedlichen", mindestens aber wegen "Stabilität", kommt da schon ein bißchen schiedsrichterhaft zu- stande. Wenn dann gar noch die Gefahren einer Ausweitung des Kon- flikts beschworen werden, die ein "Zusehen" verbieten und von di- plomatischen Manövern über Waffenlieferungen bis zum Erscheinen vor Ort alles gebieten, ist die Mär von der B e t r o f f e n- h e i t der demokratischen Staatenwelt perfekt. Andererseits liefern die erschrockenen Führer des Abendlandes mit dieser Darstellung der Dinge auch immerzu das Bekenntnis ab, daß sie recht unerschrocken d i e W e l t o r d n e n, daß sie sich berufen wissen, die Machtverhältnisse in jedem Erdenwinkel zu regeln. Ihr I n t e r e s s e daran, daß überall eine ihren Nationen "entsprechende" Sorte Herrschaft ausgeübt wird, ver- schweigen sie nicht, wenn sie es in den Auftrag verfabeln, den Weltfrieden und die Demokratie und die Menschenrechte zu schützen. Bisweilen sehen sie sich auch in der Rolle des Rich- ters, der die Exekutive mit schwerem Geschütz losschickt, um eine Strafexpedition durchzuführen. Zu solchen "Herausforderungen" und "Reaktionen" ist keineswegs ein beleidigtes demokratisches Rechtsbewußtsein vonnöten, sondern eine Staatsmacht, deren Pro- gramm und Mittel auf die A u f s i c h t u n d K o n t r o l- l e d e r g e s a m t e n S t a a t e n w e l t ausgerichtet sind. Und dieses Programm ist auch der einzige Grund dafür, daß die Russen stören, immer und überall. Das R e c h t, sämtliche Nationen auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen, hat sich der freie Westen denkbar einfach erworben. Eine Einrichtung namens Weltmarkt hat wirtschaftliche Beziehungen gestiftet, durch die sämtliche Mutterländer des Kapitals in eine vitale "A b h ä n g i g k e i t" von den Ländern geraten sind, die sie ausnützen. Wo "unsere" Rohstoffe herkommen und "unsere" Investitionen sich rentieren, wo "wir" kaufen und verkaufen, dort ist nach der gültigen Logik der Weltpolitik auch ein Regime von- nöten, auf das Verlaß ist. Das durch seine politische Gewalt ga- rantiert, was "unsere" Interessen so alles notwendig machen. Die Gültigkeit dieses für selbstverständlich erachteten Grund- satzes der Weltpolitik ist freilich keine Frage der Logik, sondern ein W e r k d e r G e w a l t. Die Kolonialgeschichte und die Entkolonialisierung, die zur Gründung von lauter feinen unabhängigen Staaten geführt hat, waren kein Siegeszug von Ideen. Der Export eines Produktionsverhältnisses, in dem mit allem Geld gemacht wird, ging nur mit Waffen - und die sind auch zur Betreu- ung seines Funktionierens unentbehrlich. Seitdem die unabhängigen Souveräne ihre politische Macht ausüben und ihre Nationen am Weltmarkt beteiligen, pflegen sie und ihre innenpolitischen Gegner ihre Erfolge zu beurteilen. Und da auf dem Gebiet der nationalen Bereicherung nicht alles nach Wunsch gelaufen ist, haben sich in den verschiedensten Regionen Macht- und Kurswechsel der nationalen Politik abgespielt. Die Entschei- dung über die fälligen Alternativen haben die amtierenden Demo- kraten aus den Hauptstädten der Weltwirtschaft den unabhängigen Völkern nie so recht überlassen wollen; das wäre aufgrund "unserer" Abhängigkeit sehr unverantwortlich gewesen. Denn in der Weltpolitik schafft ein Interesse tatsächlich Recht; ein Wunder, das auf den verfügbaren ökonomischen und Gewaltmitteln beruht. Die Führungsmacht des Freien Westens - aber auch ihre Verbündeten - haben immer wieder die nötige "Stabilität" in aller Welt herge- stellt, manchmal nicht genehme Staaten "destabilisiert"; durch Waffenexport und direktes Erscheinen vor Ort werden die Kräfte- verhältnisse nach Kräften korrigiert oder gesichert so daß eini- gen unverbesserlicnen Idealisten der Demokratie öfter auffällt, wie viel Gewalt und wie wenig Demokratie exportiert wird. Solche sehr punktuelle, aber auch periodische Bedenken kommen zwar als Kritik daher, leiden aber wesentlich unter einem Zynismus, der in weltpolitischen Dimensionen denkenden Bürgern nie auffällt: Sie weisen den mächtigen Demokraten ihrer Heimat genau die univer- selle Zuständigkeit zu, die diese sich herausnehmen. Daß die de- mokratischen Kapitalismen zu einem Weltordnungs- und Auf- sichtsprogramm b e f u g t sind, weil ihnen der dazu nötige Reichtum als ökonomisches und die Waffen als militärisches E r p r e s s u n g s m i t t e l z u r V e r f ü g u n g ste- hen, ist nämlich der Grund für den weltweiten regionalen Mord und Totschlag und die Haltbarkeit so mancher Diktatur. Als eine wirkliche, unversöhnlich der Demokratie gegenüberste- hende Alternative, die nicht zugelassen gehört, gilt die Diktatur nur in einem Fall, wo sie gar nicht existiert. Ausgerechnet die Sowjetunion, in deren einer staatstragenden Partei schon immer nicht erst seit Gorbatschow - mehr Kritik und Konkurrenz statt- fand als in sämtlichen westdeutschen Parteien und den US-Wahllob- bies zusammen, ist zum Inbegriff ungerechter Herrschaft geworden. Und das liegt garantiert nicht daran, daß die Russen eben ihre Systemgegner verfolgen und aufmüpfige nationale Minderheiten deckeln, nachdem sie jeden bornierten Nationalismus jahrzehnte- lang hofiert haben. Auch nicht daran, daß sie ihre Demokratie so- zialistisch abwickeln und eine Gewerkschaft haben, die die Arbei- ter betreut, statt frei zu sein. Das offene Geheimnis der Feind- schaft hat mit einem senkrechten Vergleich der internen Herr- schaftstechniken in Ost und West nichts zu tun; es besteht schlicht im Gegensatz, den die Sowjetunion d e m W e l t o r d- n u n g s p r o g r a m m gegenüber darstellt, das allen Demo- kraten so angemessen vorkommt. Und dieser Gegensatz beschränkt sich nicht darauf, daß die Teile des Globus, auf dem die Russen das Sagen haben dem Weltmarkt und seiner militärisch geschützten "Weltwirtschaftsordnung" entzogen sind. Die Sowjetunion hat auch ein außenpolitisches Programm, das zwar nicht so anspruchsvoll ist wie das des Westens, dem aber enorm in die Quere kommt. Nein, die Rede ist nicht von der Weltrevolution - sowas ist mit Außenpolitik schwerlich zu machen, weil dafür die Schaffung, Unterstützung von revolutionären Bewegungen notwendig ist -, sondern von der unzulässigen Einmischung in Dinge, die sie, de- mokratisch betrachtet, nichts angehen. Insofern "schürt" sie re- gionale Konflikte. Die Sowjetunion hat die Regungen des zu kurz gekommenen Nationa- lismus, den die freiheitliche Weltordnung unablässig hervor- bringt, zum Objekt ihrer Fürsorge erklärt. Die Dienste und Drangsale, welche den Nationalismen minderer ka- pitalistischer Güte zu schaffen machen, sind ihr der Anlaß, sich als alternativen Partner ins Spiel zu bringen. Dabei konnte sich der Kreml des öfteren davon überzeugen, daß in der unteren Tabel- lenhälfte der Staatenwelt fast jede Reform- und Befreiungsbewe- gung auf das Etikett "sozialistisch" Wert legt, darunter aber einen erfolgreicheren nationalen Weg mit sozialen Korrekturen versteht. Das hat die Russen aber nicht davon abgehalten, sich, die zweite Weltmacht, als A n g e b o t zu präsentieren. Als Rechtsanwalt und Beistand für nationale Souveräne und solche, die es werden wollten, haben die Russen u m E i n f l u ß k o n k u r r i e r t - welche Redeweise allerdings eine wichtige Tatsache unerwähnt läßt: Von einer gleichartigen, dem Vorgehen des Westens entsprechenden Technik der "Einmischung" zeugen die sowjetischen Bemühungen nicht. Erstens lief das Angebot nie auf eine Absage an den imperialistischen Weltmarkt hinaus, die mit dem "Überlaufen" und der "Integration" der kontaktierten Länder vollzogen werden sollte. Zweitens hatten die Russen einen alternativen Weltmarkt nicht anzubieten, auf dem sich nach kapitalistischer Sitte für die betreffenden Nationen etwas "Wachstum" holen ließe. Drittens waren die Projekte ökonomischer Hilfeleistung für die Sowjetunion nie ein Geschäft und schon gar kein Erpressungsmittel durch den sich eine Partnernation hätte "auf Kurs" bringen lassen. Die meisten dieser Unternehmungen entpuppten sich als geschenkter Beitrag zum Versuch der "Entwicklungsländer", sich weiterhin bzw. erneut auf dem Weltmarkt zu bewähren. Viertens "reduzierte" sich das praktizierte Sorgerecht der sozialistischen Weltmacht darauf, dem unterdrückten Nationalismus mit Kriegsmitteln beizustehen gewissermaßen als Bedingung für das Einschlagen des gewünschten neuen Wegs war ja die Machtfrage gegen Konkurrenten, Nachbarn und ihre westlichen Förderer zu entscheiden. Das "militärische Engagement" der Sowjetunion - das sich ganz nebenbei im Vergleich zu dem des Westens sehr bescheiden ausnimmt, aber zu enorm leichenträchtigen Konflikten geführt hat - hat ihr nicht nur den abwegigen Vorwurf eingebracht, die Revolution mit ihrem Gerät exportieren zu wollen. Gemäß der freiheitlichen Doktrin, nach der etablierte Interessen und "Abhängigkeiten" zu allem, russische Vorstellungen von Anti-Imperialismus dagegen zu nichts berechtigen, war der Malus in der Weltmoral eine ausgemachte Sache. Schlimmer als das öffentliche und diplomatische Theater dürfte für die Sowjetunion freilich das praktische Resultat ihrer Vorstöße wiegen. Es besteht in einer Bilanz von Niederlagen der von ihr geförderten Sache, die sich gewaschen hat. Und zwar in militärischer ebenso wie in politischer Hinsicht. Denn wo die Entscheidung nicht zugunsten der "fortschrittlichen Partei" ausfällt, weil die freiheitlichen Weltordner mit der ihnen eigentümlichen Konsequenz zuschlagen, pflegt die Sowjetunion nicht zu eskalieren und mit der Rolle einer Schutzmacht ernstzumachen, die um des Sieges in einem r e g i o n a l e n K o n f l i k t willen den g l o b a l e n Konflikt riskiert. Und wo die Schützlinge der Russen die Oberhand behalten, benützen sie ihre Macht auch nur wieder zu dem, was ihnen die Weltlage und ihr Markt aufzwingen: Sie akkommodieren sich den Konditionen, die Geld und Politik des Freien Westens zu Überlebensbedingungen ihrer Nation erklären. Für die Sowjetunion ist aus den Anstrengungen dieses Typs, das feindliche Lager zu schwächen und sich befreundete Nationen zu schaffen, nichts herausgesprungen. Nur Unkosten. Nicht einmal ein Erwerb der Sorte, an der dem Kreml enorm viel liegt, ist zu verzeichnen. Das Ansinnen, durch sein Eingreifen zur mitbestimmenden Ordnungsmacht aufzusteigen, ist von den USA glatt zurückgewiesen worden. Die Berechnung, durch militärische Aktionen in regionalen Konflikten zum gleichberechtigten Verhand- lungspartner befördert zu werden, mit dem die Weltmacht Nr. 1 dann ausmacht, was aus der "Region" wird, ist nicht aufgegangen. Die bescheuerte Kombination von Drohung und Zurückhaltung, das Führen begrenzter Kriege mit dem Ziel, als Partner bei der Suche nach "Friedenslösungen" anerkannt und zugelassen zu werden, hat der "Weltfriedensmacht" keinen diplomatischen Zugewinn einge- bracht. Ihre "R e c h t s p o s i t i o n" in Sachen Aufteilung der Welt ist dieselbe geblieben - sie ist der F e i n d, der an allen regionalen Konflikten schuld ist, auch dann, wenn er gar nichts mit ihnen zu tun hat. Und zur Erhaltung und Pflege der Weltordnung braucht ihn der Freie Westen schon gar nicht. Die Sowjetunion mit ihren Waffen ist schließlich das einzig Stö- rende am Zustand namens Weltfrieden. Der wird in den regionalen Konflikten ausgetragen. zurück