Quelle: Archiv MG - ASIEN AFGHANISTAN - Vom heiligen Krieg des Westens
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MSZ 3/87
Afghanistan
DIE SOWJETUNION WILL DEN KRIEG BEENDEN -
DER WESTEN GESTATTET ES NICHT
Die neue Führungsmannschaft in Moskau ist fest entschlossen,
Feindseligkeiten, die sie für vermeidbar hält, abzubauen. Sie
will alles von ihrer Seite Mögliche tun, um Fronten zu erübrigen.
In Verhandlungen mit China hat sie von dem Standpunkt der histo-
rischen Grenzgefechte an Amur und Ussuri Abstand genommen und
geht den revolutionären chinesischen Volksgenossen ihren uralten
Traum von einem gerechten Grenzverlauf in dieser öden Gegend zu;
in der Flußmitte, was bekanntlich in der Elbe aus freiheitlichen
Gründen nie geschehen darf. Aus den an China grenzenden Gebieten
und aus der Mongolei sind sowjetische Truppen abgezogen worden,
woraufhin die USA prompt ihre diplomatischen Beziehungen zur Mon-
golei erwärmt haben. Sich einmal gründlich vor Ort umtun, schadet
nie. Die Kambodscha-Frage gestaltet sich schwieriger; zwar ist
"Hanoi neuerdings bereit, über alles zu verhandeln, selbst über
die Ernennung Sihanouks zum Staatschef." (FAZ, 18.12.86) Aber die
Nachbarstaaten samt ihrer Patrone USA und China bestehen auf un-
umschränkten Rechten ihrer zwischenzeitlich gebildeten Vereini-
gungen inkl. Pol Pot und seinen Roten Khmer. Falls es jemand ver-
gessen haben sollte: vor einiger Zeit der Inbegriff verabscheu-
ungswürdiger Steinzeitkommunisten.
Schließlich Afghanistan: Den Krieg will die Sowjetunion mit aller
Macht beenden. Die militärischen und politischen Kosten sind ihr
zu hoch, bisher mehr als 10000 Tote, 20000 Verwundete und Ausga-
ben von ungefähr 35 Milliarden Dollar, dazu das Argument
"Afghanistan", der vom Westen aufgebrachte Generalvorwurf, der
angeblich keine "normalen" Beziehungen mit der Sowjetunion ge-
stattet. Die ach so expansionistische Sowjetunion gesteht sich
ein, daß ihr Ziel, ihre südliche Grenze durch ein mit inneren Re-
formen stabilisiertes Afghanistan zu sichern, gescheitert ist.
Die ach so weltrevolutionäre Sowjetunion beschließt, daß ihr die
inneren Verhältnisse in Afghanistan auch scheißegal sein können
unter der einen Bedingung, daß es nicht als westlich besetzter
Frontabschnitt fungiert.
In diesem Sinne wird die sowjetische Öffentlichkeit instruiert:
Die früher als erfolgreich vollzogen gemeldeten revolutionären
Veränderungen - die "afghanische April-Revolution" - werden jetzt
nur noch als nicht erreichtes Ziel dargestellt, auf dem man aber
auch nicht weiter bestehen braucht. Die Landesbewohner gelten
auch so als feine Jungs mit einem heldenhaften Kampfesmut, einem
ehrwürdigen Glauben, sehr respektablen Traditionen in Sachen na-
tionale Würde, Ehre, Souveränität und dem ganzen Clan-, Stammes-
und Familien-Unwesen. Dem sowjetischen Publikum, das sehr geübt
ist in seinem feinfühligen Respekt vor fremden, nationalen Sit-
ten, werden ohne weiteres Stammesführer als die neuen, guten
Partner des alten, revolutionären Nadschibullah vorgesetzt. Es
gibt auch keine "Banden" mehr, nur noch "irregeleitete", "zum
Krieg verführte", tapfere Afghanen.
"Russen" wollen "raus aus Afghanistan"
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Der Westen hat die Versuche der Sowjetunion, durch eine Befrie-
dung des Landes den Krieg zu beenden, mit Hilfe seiner
"Freiheitskämpfer" erfolgreich unterbunden; die Sowjetführung hat
sich daher zu einer Korrektur ihrer Ziele entschlossen. An die
Einrichtung eines sozialistischen Afghanistan mit Landreformen,
Schulen, Ärzten usw. ist nicht zu denken, nicht einmal an die
Fortsetzung der überlieferten Arten, sich um seinen Lebensunter-
halt zu kümmern. Hunderttausende von Flüchtlingen sind in die
Städte abgewandert, weil ihre Dörfer, Kanalisation und Landwirt-
schaft zerstört sind und auf dem Land Regierungs- bzw. russische
Truppen oder Mudschahedin immer abwechselnd mal vorbeischauen.
Auch eine Methode zu beweisen, daß der Sozialismus nicht zu einem
Volkscharakter paßt.
Den Zustand will die Sowjetunion nun beenden, sie will ihren
Rückzug organisieren und stellt die afghanische Regierung vor die
Aufgabe, ihre Herrschaft ohne militärischen Beistand und statt
dessen durch ein Arrangement mit ihren Gegnern zu sichern. Dabei
täuscht sie sich weniger in den Afghanen und deren Eignung für
friedliche Lösungen als im Rest der Welt.
Zu Jahresbeginn hat der Regierungschef ein allseitiges Angebot
zum Mitmachen unterbreitet, das den Islam an die erste Stelle
setzt, überhaupt nur noch Afghanen kennen will und so etwas wie
Reformen oder Fortschritt lieber erst gar nicht erwähnt. Das An-
gebot zur Beilegung der Streitigkeiten wird unterstützt durch
einen einseitig erklärten Waffenstillstand und eine sehr weitge-
hende Amnestie:
"Welches sind die erhabenen Ziele, die vor uns liegen? Die hei-
lige Religion des Islam ist die Religion Afghanistans, und diese
Tatsache wird in den zweiten Artikel der Verfassung aufgenommen
werden. Die Volksmacht wird sich unter Anwerbung weitgefaßter po-
litischer Kräfte darum bemühen, eine Regierung der nationalen
Einheit zu bilden. ...
Mit wem versöhnen wir uns? Mit allen echten Patrioten Afghani-
stans, ungeachtet früherer Meinungsverschiedenheiten, Feindselig-
keiten und Ressentiments. ... Wir wollen uns mit allen bewaffne-
ten Oppositionsgruppen innerhalb des Landes versöhnen. ... Wir
wollen islamische Organisationen, verschiedene gemäßigte und mon-
archistische politische Kräfte und Führer antistaatlicher bewaff-
neter Gruppen, die im Ausland aktiv sind, nicht von dem Prozeß
der nationalen Versöhnung ausschließen. ..." (FAZ, 9.1.87)
Zusätzlich liest der Regierungschef bei jeder sich bietenden Ge-
legenheit Koran-Verse vor, spendet für die Restaurierung der Mo-
scheen und antwortet auf intimste Fragen westlicher Journalisten
nach Sachen, die unter gut erzogenen Leuten eigentlich keinen et-
was angehen. "ZEIT"-Journalisten ungefähr: Das glauben wir Ihnen
doch nie, daß Sie jetzt auf einmal an Allah glauben, Sie alter
Heuchler!
"Najibullah: Über meinen eigenen Glauben möchte ich Ihnen ganz
deutlich sagen, daß ich Sohn meines moslemischen Volkes bin."
(ZEIT, 13.2.87)
Frieden machen - ein heimtückisches Angebot
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Diese ekelhafte kommunistische Leisetreterei hat, wie die westli-
chen Beobachter verärgert registriert haben, eine kleinere Ver-
wirrung ausgelöst. Es soll in Afghanistan wahrhaftig Leute geben,
die dem Programm etwas abgewinnen können, z.B. einen "Obersten
Rat der Ulemas", der religiösen Oberpriester im Land, die das
Projekt heftig unterstützen. Oder auch Teile der Normalbevölke-
rung, die auf ihr Land zurück möchten und die von den Mudschahe-
din veranstalteten Geldeintreibungen für gute Zwecke nicht so
sehr schätzen. Auch größere Teile der Flüchtlinge haben die rich-
tige Linie anfangs nicht mitbekommen und angefangen, ihre Koffer
zu packen und ihre pakistanischen Rupien umzutauschen. Sogar "417
Oppositionsgruppen, die 37000 Personen umfassen" (FAZ, 9.1.87),
sollen sich zu Gesprächen mit der Regierung haben verleiten las-
sen. Das macht pro Oppositionsgruppe 99,02 Mitglieder, ein biß-
chen viel des Pluralismus. Kein Wunder bei dieser unübersichtli-
chen Organisationsstruktur, daß die einhellige Entlarvung und Zu-
rückweisung des perfiden, kommunistischen Tricks ihre Zeit ge-
braucht hat.
Laut westlicher Auffassung "spekuliert die Regierung auf die
Kriegsmüdigkeit im Volk". Das geht ja wirklich an die niederen
Instinkte. Die Chefs von sieben größeren Vereinen in Pakistan
mußten die Afghanen erst einmal wieder an ihren Volkscharakter
erinnern:
"Kämpfen bis zum Abzug aller sowjetischen Truppen und bis zum
Sturz der Regierung." (FAZ, 19.1.)
Angesichts des Ernstes der Lage haben sie sich zu einer Interims-
regierung vereinigt, was ihre Sponsoren schon länger verlangt
hatten; und die Konkurrenz um die sauberste islamische Linie bzw.
den besten Nachschub von außen geht ja auch mit einer Regierung.
Diese soll sich demnächst auch eine echt islamische Verfassung
ausdenken, und in der praktischen Abteilung geht der Krieg wei-
ter, insbesondere werden jetzt Mitglieder der neu eingesetzten
"Versöhnungskommissionen" in Afghanistan umgelegt.
Die Unsicherheit, ob sich mit dem sowjetisch-afghanischen Angebot
nicht etwas anstellen läßt, soll sogar bis in pakistanische Re-
gierungskreise gegangen sein. Allerdings auch nur wegen so kurz-
sichtiger Interessen, daß man z.B. die afghanischen Flüchtlinge
und deren Organisationen auch mal wieder gerne los wäre. Im Namen
ihrer höchst eigenständigen nationalen Sache führen sie sich auch
in Pakistan ziemlich eigenständig auf und stören mit ihrem He-
roinhandel und anderen Erwerbstätigkeiten etablierte Geschäfts-
kreise. Deswegen ist es neulich in Karatschi zu kleineren Unruhen
zwischen verschiedenen Stämmen gekommen, die sich sowieso noch
nie sehr ordentlich unter entweder die afghanische oder pakista-
nische Oberhoheit sortiert haben.
Die weitsichtigen Zusammenhänge, die richtige Unterscheidung zwi-
schen Innen- und Außenpolitik hat dagegen der US-Staatssekretär
Armacost mit einem Blitzbesuch in Islamabad (Hauptstadt von Paki-
stan) klargestellt, wie die "Neue Zürcher Zeitung" mutmaßt:
"Der Besuch Armacosts hat vermutlich den Zweck verfolgt, Pakistan
zur Vorsicht zu mahnen und nicht Vorspiegelungen einer veränder-
ten Sowjetpolitik für bare Münze zu nehmen. ..." (NZZ, 22.1.87)
Das muß man diesen naiven Naturburschen ja auch erst mal stecken.
Im weiteren ist es um 4,2 Milliarden Dollar Militärhilfe für Pa-
kistan gegangen. Da wird auch ein Zia an seiner weltpolitischen
Bedeutung kaum vorbeikommen. Die pakistanische Regierung begrüßt
seitdem die sowjetischen Pläne für einen Truppenabzug, muß aber
darauf bestehen, daß sie ohne Bedingung und schleunigst, in vier
Monaten, abgewickelt werden.
Den Mudschahedin bleibt es, wie sich Armacost bei seinem Abschied
geäußert hat, selbstverständlich
"überlassen, die Zukunft des Regimes zu bestimmen." (NZZ)
Auch die Leute von der FAZ haben tiefsten Respekt vor der autono-
men Entscheidung unserer Freiheitskämpfer bekundet:
"Es ist allein Sache der Afghanen zu entscheiden, was sie tun
wollen - weiterkämpfen oder die Waffen zunächst einmal abwartend
schweigen lassen. Sollten sie jedoch bei ihren vielen Freunden in
der Welt um Rat fragen, so müßten diese sie davor warnen, in die
Falle einer Scheinversöhnung in Kabul zu gehen." (17.1.87)
Gottseidank hat die Telefonverbindung in die FAZ-Redaktion ein-
wandfrei geklappt. Schon 2 Tage später haben sich die in Pakistan
sammelten Oberhäupter des Widerstands dazu durchgerungen, ihre
Waffen doch lieber nicht schweigen zu lassen.
Die Plakate, die die Cornelia Gerstenmaiersche "Gesellschaft für
Menschenrechte" zur Zeit überall verklebt - "Afghanistan stirbt"
-, sind insofern nicht ganz vollständig bzw. in ihrer Botschaft
ein bißchen zu allgemein. Ab sofort wird dort gestorben, um der
Sowjetunion einen billigen Rückzug zu verunmöglichen. Eine Ent-
spannung an deren Südgrenze kann der Freie Westen nicht zulassen.
Deshalb kann weiterhin mit afghanischen Leichen herumgeheuchelt
werden.
Unsere Mudschahedin haben ihre Sache gut gemacht, die sowjeti-
schen Truppen haben sich zu militärischen Reaktionen gezwungen
gesehen, so daß die "Freunde in aller Welt" befriedigt feststel-
len konnten, wie unehrlich das Waffenstillstandsangebot gemeint
war und daß sie das als allererste gemerkt haben. Außerdem expe-
rimentieren unsere Freiheitskämpfer mittlerweile mit erstklassi-
gem Gerät wie der amerikanischen Luftabwehrrakete Stinger. Damit
haben sie neulich ein ganzes Passagierflugzeug zur Strecke ge-
bracht. Die darin wie immer vorhandenen "Frauen und Kinder" waren
natürlich kein Grund zum Aufjaulen, sondern in dem Fall selber
schuld. Warum waren sie auch so blöd, sich in Afghanistan in ein
russisches Flugzeug zu setzen.
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