Quelle: Archiv MG - ASIEN AFGHANISTAN - Vom heiligen Krieg des Westens


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       MSZ 2/80
       
       Afghanistan
       

EIN LAND WIRD ENTDECKT

So schnell geht das: vor gar nicht langer Zeit war der Afghane ein Windhund oder eine gute Haschischsorte, je nachdem, und dem durchschnittlich informierten Deutschen fiel zu Pathanen nichts, zu Belutschen - na ja ein. Auf einmal aber weiß das ganze Volk über Afghanistan Bescheid: da unten kämpft ein anderes ganzes Volk, gegliedert (nicht in Bundesländer, sondern) in tapfere, leider nicht ganz einige Stämme, gegen die Russen. Weil dies den Staaten des freien Westens als gewichtiger Anlaß zu allerlei dient, ist aus Afghanistan samt den dort stattfindenden Schießereien ein gewichtiger Gegenstand des öffentlichen Interes- ses geworden. Was heißt, Archive, Lexika, Atlanten werden bemüht, die Institutionen der Öffentlichkeit lassen ihre Reporter-Mafia ausschwärmen, lebendige Afghanen werden in der deutschen politi- schen Szene von Löwenthal/Höfer bis zu SB/KB etc. dem staunenden Publikum vorgeführt und offiziell nicht mehr als R e b e l- l e n, sondern als B e f r e i u n g s b e w e g t e bezeich- net. Was so dem interessierten Bürger sich über das Land und die Geschehnisse an Informationen servieren läßt, verrät freilich mehr über das ö f f e n t l i c h e I n t e r e s s e selbst als über seinen Gegenstand - darin dann aber doch wieder auch alles über das Land und seine Stellung in der Welt, dem dieses Interesse zuteil wird. So erfährt man über Afghanistan nicht einfach dies: - in der Mitte ein Gebirge, darin ein paar wasserführende Täler, drumherum eine kreisförmige Straße, ansonsten Wüste, - dazwischen ein gutes Dutzend Stämme, die ihre Flinte und Allah über alles lieben: erstere, weil sie ein wichtiges, wenn auch an- tiquiertes Mittel zum Überleben ist, letzteren, weil er ihnen zu- verlässig mitteilt, daß das so seine Ordnung hat, - ferner eine Hauptstadt und drei Nebenstädtchen, wo der Staat wohnt und dafür sorgt, daß er auch was zu essen hat, - kurzum ein Fleck auf der Landkarte als Niemandsland zwischen den Blöcken. (Soweit die Analyse der politischen Ökonomie Afghanistans), sondern Informationen in Hülle und Fülle. Edle, fromme Wilde in freiheitsliebender Landschaft --------------------------------------------------- Das Wesentliche lieferte gleich das State Department der USA in seinem Bulletin, einem dringenden Bedürfnis der Weltöffentlich- keit nachkommend: Afghanistan, das sich seit seiner "Staats- gründung" durch den Ober-Khan des Durrani-Stammes im Jahre 1747 unter der kontinuierlichen Herrschaft eben dieses Stammes bis 1979 im wesentlichen stabiler, durch gelegentliche Ermordung eines amtierenden Herrschers keineswegs beeinträchtigter Regie- rungsverhältnisse erfreute, ist jetzt ein m o s l e m i- s c h e s Land unter m a r x i s t i s c h e r, atheistischer Regierung, was die tiefreligiöse, traditionsverwurzelte Bevölke- rung wie ein Mann gegen die Regierung zu den Waffen greifen läßt. Und damit ist auch schon klar: "Die afghanischen Rebellen verdienen unsere volle Unterstützung, denn es ist ein religiöses Volk." (Präsident Carter an seine Sportler) - Ein Gedanke, den wirklich jeder leicht nachvollziehen kann; denn Afghanistan etwa mit dem religiösen Volk des Iran durchein- anderzuwerfen kann ja wirklich nur den Belutschen und Pathanen etc. passieren. Die Tatsache, daß in einem gottverlassenen Eck dieser Welt ein Haufen Stammeskrieger im Namen Allahs ihre Flinten rausholen, um ihren Staat samt seiner ausländischen Schutzmacht zu veranlassen, gefälligst in Kabul zu bleiben und sie so wie von 1747 bis 1978 auch weiterhin in Ruhe Nomaden, Bauern und Gelegenheitsschmuggler sein zu lassen, verdient also, weil dieser Staat ein m a r x i- s t i s c h e r ist, ganz klar u n s e r e U n t e r s t ü t- z u n g. Und sogleich weiß die zuständige Abteilung der deut- schen Intelligenz, welcher unterstützenden Informationen diese Unterstützung bedarf: die Pathanen, lesen wir, "gehören zu den männlichsten Völkern der Erde" (ZEIT). "Gleich der Natur, in der sie leben, sind ihre Gesichter ohne un- nötige Polster, die Konturen hart, man spürt die Knochen und die Muskeln darunter." (Frankfurter Allgemeine Zeitung) Die ZEIT tut einen gewissen Earl of Ronaldhay auf, einen alten Haudegen mit Afghanistanerfahrung aus dem letzten britischen Feldzug dort unten (anno 1927), der erzählt, daß schon die briti- schen Militäradministratoren seinerzeit die afghanischen Stammes- krieger "gern mit Raubtieren" verglichen, und gültige Erfahrungs- sätze wie den folgenden zum besten gibt: "Der Afridi (= noch so ein Stamm) mordet und wird gemordet mit einer wilden Lust, und seine Einstellung zum Ursprünglichen steckt an." Der SPIEGEL läßt einen leibhaftigen Rebellenscheich im Exklusi- vinterview bestätigen, daß sich daran gottlob noch nichts geän- dert hat: "Die Russen wollen wir nur noch töten, mit unserem ganzen Herzen töten." (Saijed Ahmed Gailani, Chef der 'Nationalen Befreiungs- front der Islamischen Revolution') Das Fernsehen liefert dazu die Informationen für's Auge: Verwe- gene Gesellen mit einer Rangordnung vom Vorderlader bis zur Ka- laschnikow vor brennendem Panzer mit noch frischer Russen-Leiche im Vordergrund, Waffenbasteln in provisorischer Werkstatt im ent- legenen Dorf, hin und wieder ein paar Bauernfamilien mit Esel, die über einen verschneiten Paß von einem Elend ins andere ziehen - samt Kontonummer. Ein Freiheitskampf als strategischer Belastbarkeitstest ------------------------------------------------------- Keine Zeitung, kein Fernsehbericht läßt dabei Unklarheiten dar- über aufkommen, daß die afghanischen Rebellen mit ihrer "veralteten, unzulänglichen Bewaffnung" gegen die "perfekte rus- sische Militärmaschinerie" letztlich keine Chance haben. Damit sie die bis zum letzten Mann nutzen können, werden sie mit klei- nem Kriegsgerät versorgt, auf daß sie immer mal wieder einen T 54 in Brand schießen, eine Lastwagenbesatzung abmurksen, einen klei- nen Stützpunkt überfallen können. Mit der von Anfang an feststehenden Entscheidung der USA, den so- wjetischen Einsatz in Afghanistan nicht als unmittelbaren Kriegs- grund zu betrachten, sondern als Anlaß einer Intensivierung des O s t - W e s t - V e r h ä l t n i s s e s, war auch schon gleich klar, wie die Unterstützung der westlichen Öffentlichkeit für den afghanischen "Freiheitskampf" auszusehen hatte: die rück- haltlose Zustimmung dazu, der Sowjetunion aus ihrem Eingreifen in Afghanistan so viele Schwierigkeiten entstehen zu lassen, wie nur irgend zuträglich. Daß diese moralische Unterstützung also die absolute Gleichgültigkeit gegenüber den Rebellen da unten ist, machten schon die ekelhaften Lobeshymnen auf den "angeborenen To- desmut" der Afghanen klar. Explizit wird's im Interesse, das man hierzulande an den dortigen Kämpfen selbst nimmt: Wieviele Schwierigkeiten schaffen die Rebellen den Russen, wie- viele Russen sind schon draufgegangen (eine entsprechende Zahl für die Verluste der Rebellen gibt's in aller Regel nicht, ein- fach weil es darauf ja wirklich nicht ankommt), und wie reagiert die russische Bevölkerung auf die heimkehrenden Leichen? Wie wirkt sich die Bindung so starker Kräfte in Afghanistan auf das übrige Potential der SU aus? Wie wird die Sowjetunion mit den sonstigen Schwierigkeiten fertig (Wirtschaftssanktionen, Olym- piaboykott, weltpolitische Isolierung), die ihr aus der Aktion "entstanden" sind? Frei spekuliert darf da auch werden, ob die sowjetische Operation eher o f f e n s i v e oder wohl doch d e f e n s i v e M o t i v e hat, ob ihr betreffendes Kalkül (noch) aufgehen kann, oder ob man ihnen durch die westlichen Ge- genmaßnahmen nicht die Möglichkeit genommen hat, sich o h n e G e s i c h t s v e r l u s t zurückzuziehen. Dieser außenpolitische Realismus entfaltet sich aufs Schönste auf der Grundlage der uneingeschränkten moralischen Identifikation mit den vom eigenen Staat im Verein mit seinen Bündnispartnern praktizierten Maßnahmen der außenpolitischen Erpressung vom er- sten Herrenklub bis zum letzten Biertisch "in krisenhafter Lage". Damit trägt er auch der anderen Seite Rechnung, wenn er konsta- tiert, daß die Rebellen erstmal keine Chance haben. Auch hier wissen unsere Frontberichterstatter instinktsicher, wie das öf- fentliche Interesse an dem Vorgehen der sowjetischen Armee be- schaffen ist: Die andere Seite geheuchelter Empörung über Metze- leien an der wehrlosen Bevölkerung ist das Lob über die einwand- freie Planung der militärischen und logistischen Operationen. Die Kampfführung ist dank ohne falsches Zögern eingesetzer massiv überlegener Truppenstärke recht effektiv. Der Kampfhubschrauber MI-24 zumal, bislang im Westen sträflich unterschätzt, erweist sich als hochwirksame Waffe, der die NATO-Streitkräfte derzeit nichts Entsprechendes entgegenzusetzen haben - eine Revision der Bundeswehreinsatzplanung steht an. Insgesamt: Afghanistan ist mit Vietnam n i c h t o h n e w e i t e r e s vergleichbar, weshalb der Vergleich immer dann gemacht wird, wenn es dem eigenen Interesse dient: "Kein Fernsehnetz überträgt die blutigen Neuigkeiten des Krieges für den russischen Durchschnittsbürger, es gibt keine Antikriegs- bewegung an den sowjetischen Universitäten, keine Anti-Rekrutie- rungs-Demonstrationen, keine nationale Öffentlichkeit, die den Plänen der Führung Grenzen auferlegte." (TIME) Afghanistan und die moralische Glaubwürdigkeit ---------------------------------------------- Unbekümmert darum, daß es das afghanische Volk nicht gibt, wird in der Weltöffentlichkeit der Streit zwischen Ost und West in seinem Namen ausgefochten. Die Sowjetunion macht da keine Aus- nahme. Freiheit und Unabhängigkeit für Afghanistan reklamiert sie lässig für sich und gibt damit in der gehörigen diplomatischen Form bekannt, daß sie ihren Einsatz in Afghanistan nicht als Krieg gegen einen anderen Staat betrachten, sich im übrigen aber nicht reinreden lassen will. Auch Babrak Karmal, der sich laufend neue, plausiblere Geschich- ten über die Legitimität seiner Regierungsübernahme ausdenkt, über die erfolgreichen Aktionen der afghanischen Armee im Kampf gegen die - eingeschleusten - Rebellen, mit den sowjetischen Truppen als bloßer "Reserve" im Hintergrund, tut dies nicht um seiner moralischen Glaubwürdigkeit willen. Sein Job besteht im Augenblick darin, als oberster Repräsentant des souveränen afgha- nischen Staates und Volkes a u f z u t r e t e n und nichts anderes. Meisterleistungen der öffentlichen Selbstverleugnung wie die in einem kürzlichen SPIEGEL-Interview: "Karmal: Erlauben Sie mir zu fragen, wann ich mich nach dem 21. Dezember als Marxist bezeichnet habe? Spiegel: Sie haben recht, wir kennen kein Zitat." (Spiegel 14/1980) erheben nicht den Anspruch auf Glaubwürdigkeit, sondern auf di- plomatische Kenntnisnahme und Anerkennung durch die Staatenwelt. Mit dem Moralismus des öffentlichen Interesses an Afghanistan scheinbar so richtig ernst zu machen, bleibt jenen linken Par- teien und Organisationen vorbehalten, die mangels einer realen Macht in Händen oder wenigstens im Rücken, die den souveränen Ge- brauch moralischer Prinzipien ermöglicht, die Pflege ihrer eige- nen Glaubwürdigkeit zum Inhalt ihrer Politik machen. So kann man dann von der Höhe dieser moralischen Macht gleich zur linkspolitischen Beurteilung des Weltgeschehens schreiten: Hat die Aktion der Sowjets in Afghanistan nun eher den fortschrittli- chen oder doch mehr den reaktionären Kräften in der Welt ge- nutzt?... Einerseits ist ja schon der Sozialismus erstmal irgend- wie doch gegen die Reaktion verteidigt, folgen wir dem KB, wobei freilich andererseits das Regierungsprogramm von Karmal bedenkli- che Konzessionen an die islamisch restaurativen Kräfte enthält, dritterseits jedoch auch der Islam neben reaktionären Elementen durchaus fortschrittliche Tendenzen aufweist... usw. Das SB kommt mit seiner autonomen Dialektik zu einem eindeutigeren Urteil: "Die (afghanischen) Großgrundbesitzer haben ein Naturrecht dar- auf, von ihren eigenen Knechten an die Wand gestellt und nicht von einem ausländischen Hubschrauber aus umgebracht zu werden." (links, Februar 1980) zurück