Quelle: Archiv MG - ASIEN AFGHANISTAN - Vom heiligen Krieg des Westens


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       MSZ 1/82
       

2 JAHRE AFGHANISTAN: EIN JUBILÄUM

"Im Dezember vor 2 Jahren ging die Freiheit in Afghanistan verlo- ren. Dieses Weihnachten steht sie in Polen auf dem Spiel. Die Fackel der Freiheit ist heiß. Sie wärmt die, die sie hochhalten und verbrennt jene, die sie auszulöschen versuchen." (Aus Reagans Polen-Erklärung vom 17.12.81) 18.6.1979 Carter und Breshnew unterzeichnen in Wien den SALT-II-Vertrag. In den USA werden immer mehr Stimmen gegen dieses Vertragswerk laut: Die Ratifizierung durch das amerikanische Parlament läßt auf sich warten. 12.12.1979 Die NATO beschließt die Aufstellung von Mittelstreckenraketen in Westeuropa. Vor allem auf Betreiben der Bundesrepublik, die sich für Europa ein zweites Gleichgewicht gegen den Osten schaffen will. Begründet wird dieser Beschluß mit der Unverschämtheit der Russen, sich Mittelstreckenraketen, SS 20 angeschafft zu haben. Dem Frieden soll die Vereinbarung der NATO-Staaten gleich zweimal dienen: 1. durch das Ausgleichen eines angeblichen militärischen Ungleichgewichts, 2. durch Verhandlungen über Rüstungsbegrenzun- gen, die parallel zu der Vorbereitung der Aufstellung der Pers- hings und Cruise Missiles bis 1983 laufen sollen. Es entsteht der NATO-Doppelbeschluß: westliche Aufrüstung und mit dieser Drohung Verhandlungen mit den Russen. 28.12.1979 Sowjetische Truppen besetzen Afghanistan, sorgen mit 100000 Sol- daten für den Sturz Hafizullah Amins und die Einsetzung Babrak Karmals als Staatschef. Die Sowjetunion will sich gegen die zu- nehmende militärische Präsenz der USA und der NATO im Nahen und Mittleren Osten diese strategische Position sichern. Dieser Akt des sicherheitspolitischen Interesses der Russen wird ihnen als die Todsünde der Nachkriegszeit vorgerechnet: Der rus- sische Zarenbär zeigt seinen expansiven Charakter. Das arme afghanische Volk wird im wahrsten Sinne des Worts entdeckt. Die Stämme dort, die der Westen vorher hat ruhig und schon länger un- ter russischer Einflußnahme dahinvegetieren und sich die Köpfe einschlagen lassen, leidet ab sofort unter fehlender Selbstbe- stimmung und russischer Fremdherrschaft. Der Westen hat seinen Anlaß für den Willen, nach der Phase der "Eindämmung" des Ostens, nach der Phase der Entspannung und des vorteilhaften Wettrüstens zur Offensive gegen den "expansiven" Kommunismus überzugehen. "Die sowjetische Invasion in Afghanistan ist die größte Bedrohung des Weltfriedens seit dem 2. Weltkrieg." (Carter) "Ein zweites Afghanistan hält die Entspannung nicht aus." (Schmidt) Das Land mit dem Anfangsbuchstaben A wird zum Stichwort der Frei- heit, es begründet und rechtfertigt ohne weitere Argumente jeden Fortschritt der Mission der Freiheit der NATO gegen den unfreien und daher bösen Osten, selbstverständlich auch den vorher gefaßten NATO-Doppelbeschluß. Zur Jahreswende 79/80 ist sehr viel von Frieden und Kriegsgefahr die Rede. Selbst berühmte Filmschau- spieler stimmen darin ein. Die diversen Volksstämme Afghanistans bereiten sich auf die Umstellung vom Vorderlader auf moderne westliche Knarren und Granatwerfer vor und beginnen für die (westliche) Freiheit zu sterben, für die sie noch immer nach ei- nem geeigneten Wort suchen. 1980, "nach Afghanistan" und mit dem Beginn dieser neuen Zeitrechnung, braucht man über die Ratifizierung des SALT-II-Vertrages nicht mehr zu reden. Das ist passe. Der Oberliebhaber der Menschen- rechte versieht diese Waffe mit Inhalt: Carter verhängt das Wei- zenembargo. Unter dem Motto "Olympia ist wichtig, aber Friede und Freiheit sind wichtiger" passen sich olympische und Weizenwaffe des Westens nahtlos in das Aufrüstungsprogramm der NATO ein: mi- litärische, wirtschaftliche und diplomatisch/moralische Erpres- sung des Ostens gehen Hand in Hand. Der Westen droht mit dem Ab- bruch aller Beziehungen auf allen Ebenen und stellt, indem er so alles zu seiner Disposition stellt, was in Zeiten der Entspannung zwischen Ost und West hin- und hergegangen ist, klar, was es heißt: "Ich sage nur Afghanistan". Wo dieses unwirtliche Bergland als "ständig wachsende Demonstration sowjetischer Militärmacht außer- halb der Grenzen der UdSSR" (Carter) ausgemacht ist, ist die Emanzipation vom "atomaren Patt" - an das man bisher hätte glauben sollen, wo immer es um westliche Waffen- gattungen ging - gelaufen. Der "unkalkulierbare" Carter erklärt: "Die USA bleiben die stärkste Macht der Erde!" und verkündet im Juli 1980 in der "Präsidentendirektive 59" neue strategische Richtlinien für den Kernwaffenkrieg. Im wohlbedachten Fall des Falls soll die perfektionierte Raketenstreitmacht der USA (für die die BRD als Startrampe natürlich eingeplant ist) in der So- wjetunion "selektiv und wohldurchdacht eine Vielzahl von militärischen Zie- len, aus dem Bereich der Industrie und der politischen Führung angreifen und dabei gleichzeitig ein für die sichergestellte Ver- nichtung bestimmtes Potential in Reserve halten." (Verteidi- gungsminister Brown) Einen Monat später tritt für die Führer der imperialistischen Na- tionen der historische Glücksfall ein, daß ein positives Ergebnis von Entspannungspolitik, Ostpolitik und Osthandel zutage tritt: Zwischen polnischen Arbeitern und der kommunistischen polnischen Herrschaft kracht es. Alle Welt des Westens entdeckt postwendend ihre Liebe für die polnischen Arbeiter und deren Kampf mit Streik (natürlich ist der nur drüben am Platze). Nach Afghanistan, also der "Tendenz der Russen, sich überall einzumischen", die Gelegen- heit, sich drüben gehörig einzumischen. Ab sofort - daß es der Reale Sozialismus nicht bringt, ist da schon Nebensache - ist Po- len das Vehikel der Offensive der NATO gegen die Russen und ihren Ostblock. Polen und sein Freiheitsstreben (das hier, so wie es antritt, sofort niedergeknüppelt würde) ist Sache des Westens und die Russen haben sich gefälligst nicht einzumischen. Ab sofort wird "Afghanistan" um die Drohung vermehrt, daß eine sowjetische Intervention in Polen ungeahnte Reaktionen des Westens nach sich ziehen werde. In der Bundesrepublik, die bezüglich Polen Seite an Seite steht, geht es voran. Das Militär und die Vaterlandsverteidigung werden knapp 35 Jahre nach dem letzten, unseligen, Krieg up to date ge- macht. Tapfere Krieger werden bei Rekrutenvereidigungen für den Frieden aus der Position der Stärke unters Volk gemischt. Leute, die gegen diese neue Militarisierung protestieren, sind Terrori- sten und des Landes- und Hochverrats zu überführen. Der Soldat als nationaler Wert ist wieder 'in'. In der SPD haben Mitglieder ehrlich oder geheuchelt Bedenken gegen den NATO-Doppelbeschluß und dagegen, ob die USA wirklich verhandeln wollen. Der Schlager der baldigen Wahl, K a n z l e r S c h m i d t, schwört seine Gemeinde mit dem Stichwort "Afghanistan" und seiner Wenigkeit für die Partei auf den friedenssichernden Schein des Beschlusses ein. Die Wahl geht um Frieden (wie das so üblich in Vorkriegszeiten); Diskussionen kommen auf, ob Freiheit vor Frieden oder Frieden vor Freiheit zu setzen sei - sie sind aber letztlich keiner Frage wert, weil die Reihenfolge eh feststeht; Strauß verhilft kriti- schen Geistern in der Bundesrepublik zu ihrer vorletzten Einig- keit. Gleichzeitig und damit zusammenhängend kommt eine Friedens- bewegung auf (wie das so üblich in Vorkriegszeiten) und entrüstet sich über die amerikanische Bevormundung, protestiert gegen die Massen an Atomwaffen, die angeblich den Krieg herbeiführen sol- len, denkt sich eine Verteidigung aus, bei der das Volk ganz be- teiligt ist und keine Atomwaffen einzusetzen braucht; hat rundum schwere Bedenken, ob die Friedenspolitik der Bundesregierung wirklich und wahrhaftig n u r den Frieden will, Das bringt ihr den Vorwurf der Einseitigkeit ein, der kommunistischen Unterwan- derung - im Gefolge setzt sie sich mit dieser offiziellen und geltenden Anforderung auseinander. Während Schmidt mit seiner Friedensmasche wiedergewählt wird (und wegen Strauß), findet in den USA ein Wechsel statt. Das amerika- nische Volk befindet Carter als zu lasch im Umgang mit dem Haupt- feind Nr. 1, läßt sich die Entspannungsphase. als Schwachzeit der amerikanischen Nation unterjubeln und wählt die versprochene Wie- dergewinnung weltsouveräner nationaler Größe, von der die Ameri- kaner so ungemein viel haben: "Überlegenheit bedeutet: Über alle nötigen Mittel verfügen, um stark genug zu sein, daß keine andere Nation es wagen wird, den Frieden zu verletzen." (Reagan) Der deutsche Kanzler stellt das als "Berechenbarkeit" des neuen Präsidenten fest. Er sagt ihm zum siebten Male, er solle doch wieder mit der anderen Supermacht reden. 1 Jahr nach Afghanistan hat die amerikanische Nation den dazu passenden Präsidenten. - Polen bleibt ein nützlicher Krisenherd für die westliche Offen- sive gegen die Sowjetunion: wehe, wenn die Russen intervenieren. In Westdeutschland sind öffentliche Rekrutenvereidigungen jetzt an der Tagesordnung. Ein Wehrkundeunterricht kommt auch bald. 1981 geht es mit der Eskalation der Kriegsvorbereitung so rasch vor- wärts, daß man kaum mehr nach kommt. Afghanistan braucht kaum noch erwähnt zu werden für die nächsten Schritte. Das "Ende der Entspannung" ist so sicher wie die Tatsache, daß man sie in der Bundesrepublik immer "noch retten" will, Zum 19. Male appelliert der Bundeskanzler an die beiden Großmächte, doch wieder miteinan- der zu reden. Die "Mittelmacht", als die die BRD inzwischen aner- kannt ist, spielt sich als der große Vermittler auf, macht aber zu Hause etwas ganz Normales in Vorkriegszeiten: Für die selbst- verständliche Aufrüstung wird die Wirtschaft in die Pflicht ge- nommen und das arbeitende Volk zur Kasse gebeten. Ideologisch steht die Erinnerung an die Nachkriegszeit an, im Vergleich zu der alle jetzigen Einschränkungen der Vorkriegszeit lässig zu verkraften sein sollen. Arbeitslosigkeit fürs Vaterland und gegen den unmenschlichen Osten ist doch eine Zier, oder nicht? Ein Haushalt des Staats nach dem anderen (80/81) stellt klar, daß der fleißige, friedliche deutsche Arbeiter trotz allem immer noch "verwöhnt" ist und zu hohe Ansprüche stellt. Die "Sachzwänge" des Staatshaushalts rücken diese überzogenen Geschichten zurecht. Was nicht geht, geht (angeblich) nicht. Da ist es doch viel besser, wenn die deutsche Mittelmacht für ihre Interessen, die nicht nur bis Afghanistan reichen, ganz viele Leos an die Saudis verkauft, weil das erstens den Westen mächtig macht und zweitens ein Ge- schäft ist und drittens vielleicht noch Arbeitsplätze schafft wenn's jemand glaubt. Aber der Westen, der Hort der Freiheit, hält sich doch mit so was nicht auf. Es geht mit Riesenschritten weiter. Im berühmten "Sommerloch", wo normalerweise nichts pas- siert, geht es hoch her. Die Neutronenwaffe wird gebaut, das macht die russische Panzerwaffe gänzlich unbrauchbar, ist aber für die "Verhandlungen" mit der Sowjetunion ein weiteres Unter- pfand der Erpressung der freiwilligen Kapitulation des östlichen Hauptfeindes. In Polen geht weiterhin nichts - Lech Walesa ent- deckt einen Größenwahnsinn nach dem anderen und hat immer noch nicht bemerkt, daß er und sein Polen allein ein Spielball - mit vom Westen festgelegten Regeln - im Ost-West-Gegensatz sind. Der "Hort des internationalen Terrorismus" nämlich, die Sowjetunion, bekommt eins ums andere eins reingewürgt: Afghanistan, ist schließlich inzwischen überall, Libyen verliert dabei zwei Flug- zeuge und den Glauben an seine eingebildeten Frechheiten. In An- gola werden bei der Aggression Südafrikas Russen entdeckt - das reicht ja wohl, oder? Die große Sowjetunion, die mächtige Freun- din aller friedliebenden Völker, hat auf dem internationalen Par- kett nichts zu suchen, ist die aktuelle Botschaft des Westens, die sich keineswegs verbal gibt. Danach wird's noch schneller mit der Entwicklung "nach Afghani- stan": Die größte Friedensdemonstration seit Bestehen der Bundes- republik (300.000 in Bonn) protestiert zu 90% genauso, wie es die Bundesregierung wünscht, und weiß nachher auch nichts anderes mehr als in Bonn vorgeschrieben wird. Schmidt trifft sich - großer Hof - mit Breshnew (2 Wochen später mit Honecker): Man sagt sich die Meinung, und der Osten weiß jetzt hoffentlich Be- scheid. Am 18.11.1981 - vorher verkündet der deutsche Bundespräsident seine anerkann- termaßen überparteiliche Haltung zum Manöver "Scharfe Klinge": "Die Soldaten leisten einen größeren Beitrag zur Erhaltung des Friedens als die gesamte Friedensbewegung." - erklärt der Präsident der Vereinigten Staaten seine "Null-Lö- sung": Wenn die Russen ihre SS 20 abschaffen, dann ist das ihre Chance, weil dann braucht's die westliche Nachrüstung wirklich nicht mehr. Der Bundeskanzler ist begeistert ob dieser vertrau- ensbildenden Maßnahme zwischen den Supermächten. Zwei Jahre "nach Afghanistan" fällt dem Westen schon wieder ein vorwärtsweisendes Moment in den Schoß: In Polen übernimmt das Mi- litär die Macht. Das überzeugt Friedensbewegung und Linke davon, daß nur die Freiheit allein einen Kampf (zusammen mit der Bundes- regierung) wert ist und führt zu ihrer letzten nationalen Ein- heit. Das überzeugt die USA davon, daß es jetzt Zeit ist, die Russen mit handfesten Sanktionen zur freiwilligen Kapitulation zu zwingen. Die anderen NATO-Staaten entschließen sich auch, das vorletzte Mittel der Vorkriegszeit in Anschlag zu bringen und be- schließen ihr erstes Ultimatum. Das einmal zum Anlaß genommene Afghanistan, den Osten endgültig in die Knie zu zwingen, hat der Imperialismus weit hinter sich gelassen. Den damaligen Einmarsch der Russen braucht es längst nicht mehr als Begründung für die eskalierenden Maßnahmen des Westens. Von den SS 20 redet auch niemand mehr. Die westliche Sa- che läuft mit Riesenschritten der ultima ratio entgegen. Vorher soll noch ein Feiertag stattfinden. Schmidt und Reagan wollen den 31. März zum "Afghanistan-Tag" erklären. Bild ansehen Landkarte Afghanistan zurück