Quelle: Archiv MG - AFRIKA LIBYEN - Weltterrorist Nr. 1?
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Bochumer Hochschulzeitung, 29.04.1986
...1, 2, 3, 4 Libyen schaffen! (R. Reagan)
DIE MILITANZ DES WESTENS KOMMT VORAN
Und die Konkurrenz der NATO-Partner belebt die Gewalt
1
Krieg ist das Mittel der freiheitlichen Politik!
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Für die Regierung der USA befindet sich der Freie Westen bereits
im Kriegszustand. Und ihr Ärger gilt der "Feigheit" der Verbünde-
ten, die diese Tatsache noch immer nicht wahrhaben wollen:
"Staatlich gestützter Terrorismus ist eine Form der Kriegführung,
und da kann man nicht einfach dasitzen und sich von jemandem den
Krieg erklären lassen und dann so tun, als habe man noch Frie-
den."
Er, Ronald Reagan, hat die Macht und nimmt sich die Freiheit, die
Fortexistenz eines ihm mißliebigen Staates a l s Kriegserklä-
rung an die USA zu d e f i n i e r e n. Von da an wird "zu-
rückgeschossen". Die Vernichtung des Gegners ist der erklärte
Zweck. Im Falle Libyens die Liquidation der Regierung Gadafi.
Diesen Zweck eine Woche nach dem Bombardement auf Tripolis groß-
artig zu e n t l a r v e n - wie in der hiesigen Presse gesche-
hen - zeugt nur von dem Willen staatstreuer Kriegsberichterstat-
ter, sich erst einmal gezielt dumm zu stellen. An Ronald Reagan
jedenfalls liegt es nicht, wenn hierzulande das Mißverständnis
gepflegt wird, die "Bekämpfung des internationalen Terrorismus"
sei etwas anderes als ein moralischer Freibrief für ein komplet-
tes Kriegsprogramm gegen eine gewisse Sorte von Staaten. Und zwar
zunächst gegen jene Handvoll verbliebener Staaten der sog. 3.
Welt, die der ersten nicht bedingungslos zu Diensten sind - und
deshalb "verbrecherische Regimes" heißen. Das ist nur ein anderes
Wort für 'Freunde der Russen'. Kein Tag in der letzten Woche, an
dem Mr. President nicht persönlich für Nachhilfeunterricht an die
Adresse seiner auswärtigen Kritiker sorgte - von wegen
"Unverhältnismäßigkeit der Mittel". Sein Argument ist sein poli-
tischer Beschluß: Der entschlossene Einsatz des Militärs ist
"genau der Weg, Konflikte zu vermeiden, nicht sie zu erzeugen".
Wer wollte das bestreiten, wenn 'Konfliktvermeidung' heißt, die
Feinde Amerikas zu eliminieren!
2
Libyen ist ein Exempel, weitere folgen!
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Damit steht die weltpolitische Tagesordnung. Ihre Umsetzung be-
kräftigt den Kriegswillen der westlichen Führungsmacht. Die Bom-
ben auf Tripolis und Bengasi wollen nur als Auftakt verstanden
werden.
Wenn, wie berichtet, die ehrenwerten Herren des Weißen Hauses
nach "der ersten Schlacht" zu früh gejubelt haben (Gadafi sei
"erwischt" worden - "Great!"), so kommt dies einem Todesurteil
für weitere Libyer gleich. Der nächste Schlag ist beschlossene
Sache. Und wird angesagt: "Wir werden erneut handeln", wenn einem
Amerikaner irgendwo ein Leid geschieht. Das 'Wenn' ist keine ein-
schränkende Bedingung. Aus ihm spricht die Gewißheit, daß es an
Anlässen nicht fehlen wird. Es herrscht freie Auswahl.
Die Auswahl der Staaten, denen das libysche Schicksal droht, ist
längst getroffen. Haben nicht gewisse bundesdeutsche Experten wie
Wischnewski und Bahr die Bombermission gegen Libyen mit dem Hin-
weis als fragwürdig moniert, daß der "internationale Terrorismus"
nicht nur in Libyen beheimatet ist. Genau! Es gibt mehrere Li-
byens, also behandeln wir sie entsprechend - lautet die logische
Schlußfolgerung Ronald Reagans, Die vorläufige Todesliste hat er
prompt herausgegeben. An erster Stelle firmieren momentan die
Sandinisten Nicaraguas. Die Feststellung, diese wollten "ein Li-
byen vor der amerikanischen Haustüre schaffen", kündigte die wei-
tere Eskalation des Krieges in Mittelamerika an. Daß diese auch
das Vergießen einiges edlen, nämlich US-amerikanischen Blutes ko-
sten kann, ist dabei eingeplant. Ehrensache, wo der Krieg doch
bekanntlich das höchste aller nationalen Dinge ist. "Niemand", so
erging die pathetische Kriegserklärung Reagans an die Sandinisten
einen Tag später - und nicht nur an sie -, solle
"den Willen des amerikanischen Volkes, seine Freiheitsliebe und
seinen nationalen Heldenmut unterschätzen. Die Geschichte ist an-
gefüllt mit den Trümmern von Regimen, die diesen Fehler gemacht
haben."
Ronald Reagan ist kein gemeiner Terrorist. Er ist der gewählte
Präsident eines demokratischen Staates, der die Geschichte einer
erfolgreichen Leichenproduktion in aller Welt als Gütesiegel und
Glaubwürdigkeitsbeweis für deren angedrohte Fortsetzung ins Feld
führt.
Als nächste Adressen wurden Syrien und der Iran benannt. Die
"Haustüre" der Weltmacht Nr. 1 steht bekanntlich nicht an deren
Grenze. Freier Zutritt für Kapital, Waffen und Dienstanweisungen
made in USA, diese Hausordnung gilt für jeden Erdenwinkel. Entwe-
der freiwillig, oder als Zertrümmerung von Regimen und ihrer men-
schlichen Umgebung!
3
Die europäischen Waffenbrüder sind gefordert.
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Schließlich sind wir ein Bündnis, oder? Während die Führungsmacht
der NATO sich im Kriegszustand befindet, zieren sich die Bünd-
nispartner. Feiglinge sind nicht gefragt. Sagen Ja zur gerechten
Sache und schicken unsere Air Force auf einen Umweg und waschen
ihre Hände in Unschuld. Ist der Krieg gegen den "libyschen Terro-
risten" etwa nicht i h r Krieg, keine Sache der NATO? Wem gilt
er denn, wenn nicht den Ablegern der "Zentrale des Weltterroris-
mus" und damit auch dieser selbst? Wollen diese Brüder, deren In-
teressen amerikanische Soldaten und Atombomben seit jeher schüt-
zen, etwa solange in Frieden und Geschäft machen, bis die feind-
lichen Bomben auf ihren Acker fallen? - Das ist die Stimme Ameri-
kas in diesen Tagen. Und sie ist schon auf fruchtbaren Boden ge-
fallen, wie Präsident Reagan verkündete. Einige der europäischen
Staaten hätten "ihre Haltung geändert" und wären "zu einer ge-
meinsamen militärischen Operation" gegen Libyen bereit. Ob sie
nun tatsächlich bereit sind oder nicht: mit dieser diplomatischen
Feststellung liegt die F o r d e r u n g der NATO-Führungsmacht
auf dem Tisch - die europäische Beteiligung am Kampfprogramm ge-
gen jene Staaten, die als Unterstützer unfreiheitlichen Terrors
auf der Abschußliste stehen.
Daß die USA von ihren Alliierten ab sofort und mit Nachdruck
praktische Solidarität verlangen, zeigt die Tagesordnung des
'Weltwirtschaftsgipfels' Anfang Mai in Tokio. Diesbezüglich ist
aus Washington offiziell die Mitteilung an Bonn, Paris und alle
Welt ergangen, daß der Chef des imperialistischen Staatenbündnis-
ses auf eine "ernsthafte konzentrierte Aktion im Kampf gegen den
Terrorismus dringen" wird und daß diesem "Thema höchste Priorität
noch vor den anstehenden Wirtschaftsfragen" zukommen wird. Das
beabsichtigte Ergebnis wurde gleich mitverkündet: Der Terrorismus
müsse "gewaltsam und kollektiv" bekämpft werden.
4
Europa mäßigt die USA - durch eigene Scharfmacherei im antikommu-
nistischen Zweck ist man sich sowieso einig. Er ist der fraglose
Inhalt des atlantischen Bündnisses. Daß die Offensive der USA ge-
gen den "Terrorismus" nicht dem Mord und Totschlag in der Welt
gilt, sondern der strategischen Frontbegradigung gegen den ge-
meinsamen Hauptfeind, war auch einem Helmut Kohl nie ein Geheim-
nis. Insofern bedeutet die amerikanische Aufforderung zum Schul-
terschluß für die Führer Europas keine Vergewaltigung eigentlich
friedliebender Vaterländer, sondern die Erinnerung an deren eige-
nen Oberzweck - die Systemfeindschaft gegen den Osten.
Unter dem autonomen Motto 'Der Terrorismus muß mit p o l i-
t i s c h e n Mitteln bekämpft werden', sind die Staaten der
Europäischen Gemeinschaft prompt dazu übergegangen, die "militä-
rische Lösung" des Libyen-"Problems" durch eigene Maßnahmen zu
e r g ä n z e n.
Erstens d i p l o m a t i s c h: Die europaweite Hinausbeförde-
rung libyschen Botschaftspersonals und die Arrestierung des ge-
duldeten Restpostens (vornehm: "Einschränkung der Bewegungsfrei-
heit auf die Bundeshauptstadt Bonn") entziehen dem Staat Libyen
die formelle Anerkennung als "gleichberechtigtes Mitglied der
Staatengemeinschaft" und drücken ihm den Stempel einer kriminel-
len Vereinigung auf, vor der sich die "zivilisierte Welt" zu
schützen hat.
Zweitens ö k o n o m i s c h: Man bleibt sich zwar nach wie vor
treu im Votum gegen wirtschaftliche Sanktionen, weil die an-
geblich "ineffektiv" sind, um Gadafi in die Knie zu zwingen. An-
dererseits "empfiehlt" Bundeskanzler Kohl den westdeutschen Ge-
schäftemachern öffentlich den Abbau ihres "Libyen-Engagements".
So soll dem von den USA Libyen aufgezwungenen Kriegszustand Rech-
nung getragen werden, was in der Wirkung einem Boykottbeschluß
gleichkommt.
Drittens p o l i t i s c h: Man beschließt und ergreift
"spezielle europäische Initiativen", um die arabischen Staaten
für das Programm der Säuberung des Nahen Ostens von
"Unruheherden" verstärkt in die Pflicht zu nehmen. Genscher war
an diesem Wochenende in Algerien, um in diesem Sinne "Druck aus-
zuüben".
Außerdem leistet man sich die typisch bundesdeutsche Perfidie,
die Staaten des Warschauer Pakts aufzufordern, sich endlich am
Kampf der westlichen Welt gegen den "internationalen Terrorismus"
zu beteiligen - also gegen ihre eigenen Freunde wie Gadafi und
Assad! Gehen jene nicht auf die heuchlerische Offerte ein, so ma-
chen sie sich unglaubwürdig und beweisen einmal mehr, in welchem
Lager sie stehen...
Und m i l i t ä r i s c h? Aus Frankreich verlautet, Mitterand
habe eine "wirklich große Aktion gegen Libyen befürwortet", die
die Vernichtung der Regierung Gadafi garantiere. Er habe sich le-
diglich gegen "nutzlose Nadelstiche" (wie das US-Bombardement)
gewandt! Inzwischen haben er und sein spanischer Amtskollege
Gonzalez Boden-Luft-Raketen und anderes Kriegsgerät entlang der
Mittelmeerküste in Stellung gebracht.
Mitterand war jetzt bei Kohl in Trier, Abschlußkommunique: Man
sei sich einig in puncto "Terrorbekämpfung". In Tokio werde man
die gemeinsamen Vorschläge bekanntmachen. Und Großbritannien
würde "auch ein zweites Mal" die US-NATO-Bomber starten lassen
und drängt Europa zu "schärferen Maßnahmen".
Wie Franz-Josef Strauß. Der bezichtigte die europäischen Außenmi-
nister der "Drückebergerei" und diagnostizierte, man habe durch
"Verzicht auf wirksame Maßnahmen gegen den Staatsterroristen aus
Tripolis die USA zu ihrem militärischen Angriff gegen Libyen
genötigt". Also: Schluß mit der "scheinheiligen Entrüstung" und
stattdessen euro-nationalistische "Solidarität durch die Tat" -
dann braucht man sich künftig nicht mehr über mangelnde Rück-
sichtnahme des großen Bruders beschweren. Dabeisein ist alles,
dann ist der Sieg auch 'unserer'!
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Demonstrationen kritischer Sorge um 'unser' Europa?
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sind also gänzlich unangebracht. Die USA "ziehen" keineswegs
rücksichtslos unschuldige Staaten und Völker gegen ihren Willen
"in einen Krieg hinein". Weder in den mit Libyen noch in den
großen Frontstaaten wie die BRD machen dabei mit, aus eigenem In-
teresse und auf eigene Rechnung. Dabei auftretende Differenzen
mäßigen nicht etwa Zweck und Mittel des Kriegsbündnisses bei sei-
nen gewaltsamen Tests auf die Kriegsbereitschaft des Feindes, der
Sowjetunion, sondern befördern jedesmal die Wucht des imperiali-
stischen Weltherrschaftsanspruchs. Und beschleunigen so die Ab-
wicklung der Tagesordnung bis zum Eintreten des - dann garantiert
unstrittigen - Bündnis-"Falls".
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