Quelle: Archiv MG - AFRIKA LIBYEN - Weltterrorist Nr. 1?
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Münchner Hochschulzeitung, 11.06.1986
Zur Diskussionsveranstaltung "Libyen und die Öffentlichkeit":
US-KRIEG GEGEN LIBYEN - EIN FALL FÜR IDEOLOGIEKRITIK?
Wo im geordneten Gang der Germanistik die wirkliche Welt
höchstens vorkommt als Beleg für ge- und mißlungene Sinnstiftun-
gen, die in der Literatur weit kompetenter behandelt werden, wes-
halb man sich getrost und mit Recht von den Niederungen ab- und
dem Eigentlichen zuwenden kann, wurde sie in Gestalt von Reagans
Angriff auf Libyen ganz explizit und außerplanmäßig zum Thema ei-
ner Diskussion am Germanistischen Institut gemacht. Ein ebenso
seltenes wie löbliches Vorhaben, sich über "Libyen und die Öf-
fentlichkeit" verständigen zu wollen. Ideologiekritik stand also
zur Debatte.
Ideologie, Indoktrination, Feindbilder -
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verlogene Rechtfertigungen staatlicher Vorhaben.
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Eine Erinnerung.
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Wenn die freie Presse von Bild bis FR, das staatliche Fernsehen
nicht zu vergessen, in ihrer Berichterstattung von vorneherein
gleich gar keinen anderen Standpunkt als den "unserer" nationalen
Interessen in Anschlag bringt; wenn sie das, was die Befugten da-
heim und auswärts anrichten, nicht nur als aktuellen Stand der
"Weltlage" gehörig verbreiten, sondern den Bürger mit Vorder- und
Hintergrundinformationen verantwortungs- und problembewußt zum
besseren Verständnis der Politik anleiten, die ihn als Manövrier-
masse behandelt; wenn also die Tabelle "unserer" Freunde und
Feinde auf der Welt stets aktuell bekanntgegeben wird inclusive
der guten Gründe, warum bei den Russen "Überrüstung" und bei Ga-
dafi "verbrecherischer Wahnsinn" vorliegt - dann ist der Bürger
i n f o r m i e r t und das meinungsbildende Handwerk hat seine
Pflicht erfüllt. Nationale Projekte teils gleich mit den von oben
ausgegebenen Lügen, teils mit sachkundig dazuerfundenen in ihr
(zumeist natürlich problematisches) Recht zu setzen: das ist ihr
Beruf.
Die Ideologien, die dabei anfallen; zehren allesamt von den
w i r k l i c h e n Interessen, die die Führer der Nation bi-
und multinational geltend machen: es mag manchem ja - banal vor-
kommen, aber: Es braucht schon die unversöhnliche Feindschaft un-
serer Frontrepublik gegen die SU, damit das theoretische
Feind b i l d von Iwan massiv in Umlauf gesetzt wird. Libyen
etc. analog.
Die USA bombardiere Libyen - ein Lehrstück über Gewalt,
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Recht und Moral
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Die Weltmacht Nr. 1 definiert Gadafi als V e r b r e c h e r;
der Verstoß gegen den schrankenlosen Anspruch auf proamerikani-
sches Wohlverhalten wird als Beleidigung eines amerikanischen
Rechts behandelt, so daß die Bestrafung des Delinquenten ansteht.
Mit überlegener Gewalt wird der Urteilsspruch vollstreckt. Die
Gleichung heißt also: Politische Gewalt setzt Recht, soweit sie
reicht; also geht sie auch in Ordnung, jede einzelne ihrer
Gewalttaten vollstreckt das höchste Recht; Ungehorsam ist Terror
und das Opfer zeigt an sich selbst, daß es z u r e c h t
geschieht. Gegen diese praktisch erläuterte, also w i r k l i-
c h e Reihenfolge von Gewalt, Recht und Moral setzen die Ver-
anstalter die umgekehrte. Sie bestreiten der US-Macht und ihren
Apologeten die L e g i t i m i t ä t der Rechtstitel und
insistieren so auf dem staatsbürgerlichen Idealismus eines
Rechts, das sich moralisch auszuweisen habe - so als ließe sich
die Gewalt an den von ihr selbst ins Leben gerufenen Kriterien
von gerecht, ungerecht, erlaubt und verboten kritisieren. Darin
liegt der Haken der aufklärerisch gemeinten Veranstaltung: der
Nachweis der Parteilichkeit des Rechts und der Fadenscheinigkeit
der in Anspruch genommenen Rechtstitel begnügt sich mit der Be-
streitung ihrer moralischen Qualität.
Entlarvungen
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Da Recht und Gewalt gleichgesetzt werden, haben die Veranstalter
bemerkt:
"Je mehr Menschen zu Tode kommen, umso rechtmäßiger ist es auch.
Erst an der Menge der Toten nämlich, die aufgewendet würden, er-
kennt man die Größe von Gaddafis Schuld."
Und wo diese Schuld feststeht, sortiert sich Gut und Böse sehr
einfach. Böse sind die Libyer, was man a. Charakterfehlern ihres
Chefs erkennt, an dessen "gockelhaftem Auftreten" und seiner Vor-
liebe für "Phantasieuniformen - welche Uniformen sind das
nicht?"; außerdem daran, daß sie die falschen Opfer produzieren,
nämlich "amerikanische... die wertvollsten der Welt; schließlich
wurde der Einsatz nicht für die Türkin aus 'La Belle' geflogen."
Gut sind die Amerikaner, weil sie für genug richtige Opfer sor-
gen, die dann konsequenterweise eigentlich gar keine mehr sind:
"Die Legitimation des kriegerischen Angriffs durch die Presse hat
begonnen, wo Kriegsführung ohne Opfer beschrieben und wo unter
Opfern eine Zweiklassengesellschaft etabliert wird zwischen trau-
erfähigen Helden und gesichtslosen Hordentoten."
Weshalb der "Rollstuhlfahrer der 'Achille Lauro' zwei Wochen
lang" Mitleid verdient, das Vorzeigen der libyschen "Hordentoten"
aber ein schmutziger Angriff auf unsere freie Presse ist, mit dem
billiges Mitleid erpreßt werden soll.
Stimmt, so "menschenverachtend" berichten unsere Journalisten und
machen aus "Nachrichten Ideologie". Die Güte des Opfers hängt ab
von seiner Nationalität, und Begeisterung für die technische
Seite des Einsatzes zeigt, da man "am Erfolg, der Effizienz die-
ses Kriegs" interessiert ist. Empören kann man, sich darüber
schon. Doch bleibt diese Empörung bloß Gestus, wenn gegen die
praktische Gleichsetzung von Gewalt und Recht, gegen die Wahr-
heit, daß diese zynische Frontberichterstattung nur geht, weil
die praktischen Zwecke der Politik vom Publikum geteilt und gou-
tiert werden, die eigene bessere Vorstellung eines moralischen
Maßstabes gesetzt wird, um an diesen die praktischen Taten der
Politik zu blamieren: Gegen die durchgesetzte Gleichung beharrt
man auf ihrer alternativen Lesart und entdeckt die Moral als Kri-
tik der Gewalt. Weil man sich so ganz i n n e r h a l b der
Sphären der für die Praxis produzierten Ideologieen bewegt, bloß
für deren Revision eintritt; und für dieses Ansinnen; die prakti-
zierte Gewalt als Kriterium längst schon verloren hat, wird die
Kritik der Politik recht bequem: Obwohl man durchaus auch be-
hauptet, den Unterschied zwischen Politik und Presse sehr wohl zu
kennen, entschließt man sich anhand der Presse zu der Anschauung,
in ihr habe man die Aufbereitung und die i d e o l o g i s c h e
Besprechung e i n e s m o r a l i s c h e n S u m p f e s
u n d d i e s e r bilde die eigentliche Quelle der Taten eines
Reagan und Kohl. Weil man also implizit Krieg mit moralisch
verfehlter Kriegsgesinnung zusammenfallen läßt, ergibt sich der
kritisch gemeinte, aber leider falsche Schluß:
"Mit solchen Artikeln plant und führt man Kriege."
Nein, Kriege werden geführt, weil sie politische Zwecke gewaltsam
durchsetzen sollen und nicht, weil die Öffentlichkeit "Prinzipien
der Legitimation setzt und die Wirklichkeit kriegerisch macht."
So verstrickt man sich in der eigenen Argumentation: Krieg ist
einerseits - selbst Ideologieproduktion - "Der Krieg ist ein
Entertainment, das Gesinnungen abwirft" -, aber die mit ihm pro-
duzierte Ideologie schafft andererseits die Möglichkeit seines
Zustandekommens. Wer Gesinnung Ideologieproduktion bemerkt, weiß
also irgendwie noch um den praktischen Gegensatz, den die Politik
hier zu den von ihr Betroffenen hat, die deren Kosten nicht erst
im Krieg zahlen müssen. Aber indem man so die Ideologie selbst
zum Grund für sich macht, wird sie zum eigenen Subjekt und die
Kritik des Krieges Angelegenheit moralischen Idealismus!
Ideologiekritisch die Kulturszene ergänzen
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Nur auf diese Weise ergibt sich als Kritik an der offiziell
geforderten Stimmung nicht die Kritik der praktischen Zwecke, auf
deren B a s i s "Massenmord legitimiert und Protest kriminali-
siert" wird, sondern die Schaffung einer "Gegenöffentlichkeit",
die dem subjektiv empfundenen Gegensatz von Welt und Moral deren
ideale Einheit entgegenhält, damit die r i c h t i g e n Taten
kriminalisiert werden und dem angeblichen Mißbrauch der Moralmaß-
stäbe durch die Presse Einhalt geboten wird. So wird die Öffent-
lichkeitsmafia dauerhaft bereichert um feinsinnig formulierte Ge-
genfeuilletons.
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