Quelle: Archiv MG - AFRIKA ALLGEMEIN - Hungertod in 24 Staaten
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MSZ 4/88
DER MORALISCHE IMPERATIV FÜR "UNS ALLE"
US-Söldner betreiben die militärische Endlösung des Sandinismus.
Bundesamtliche Hausbank oder IWF revolutionieren mit einem kre-
ditgewährenden oder kreditversagenden Federstrich gleichermaßen
die Lebensumstände der Bevölkerung eines botmäßigen oder unbotmä-
ßigen Landes so gründlich, daß sich daran auch noch so viele So-
lidaritätstassen tödlich blamieren. Und da entwerfen die Vertre-
ter einer "neuen Solidarität" Alternativmodelle menschenfreundli-
chen Handels und Wandels, die nur von einem zeugen: Sie haben
sich längst frei gemacht sowohl von dem Kriterium erfolgreichen
Widerstandes gegen imperialistische Zustände als auch von dem
Maßstab effektiver Hilfe für die Drittweltmenschen. Sie bekennen
sich sehr freimütig zu dem Bild vom
"Tropfen auf den heißen Stein"
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Diejenigen, die in den Dörfern und Slums der Städte um ihr Über-
leben zu kämpfen gezwungen sind, empfangen von christlichen Ba-
sisgemeinden und anderen Entwicklungshelfern Zuwendungen, die
notwendigerweise nicht mehr als Almosen sein können, weshalb sich
diese nicht selten in dem hoffnungsstiftenden Zuspruch an Neger,
Inder etc. erschöpfen, ganz elende Kreatur und doch geliebt zu
sein; zur Anschauung gebracht in einem zynischen Humanismus a la
Mutter Teresa, die die sterbenden Opfer indischer Politik zum er-
sten Mal in ihrem Leben mit einer letzten Speisung beglückt.
Diejenigen Herrschaften, die für die katastrophalen Zustände als
Statthalter vor Ort verantwortlich zeichnen, können sich sicher
sein, daß es immer karitativ tätige Menschen gibt, die sich um
die Notleidenden kümmern, sich um Versöhnung bemühen und darin
symbolisch ein Stück sozialen Frieden schaffen, sofern ihnen dies
gnädigerweise gestattet wird.
Die hiesigen Herrschaften, die sehr genau sortieren, in welchen
Fällen "Knappheit" bei öffentlichen Mitteln angebracht ist, stüt-
zen sich mit Vorliebe auf die privaten Mittel ihrer heimischen
Untertanen, mahnen sie zu "Brotpfennigen" und lassen Spendenkon-
ten in ihren Fernsehanstalten einblenden. Und gleichzeitig
schreiben sie ungerührt ihre Hungerstatistiken fort, die das
Elend sorgfältig nach Graden unterscheiden; mit der größten Si-
cherheit prognostizieren die nächsten und übernächsten "Welt-Er-
nährungs"-Katastrophen. Über den tatsächlichen Nutzeffekt der
privaten Caritas, die sie öffentlich anleiten und fördern, sind
die Profis des politischen Geschäfts sich also offensichtlich im
klaren; viel eher jedenfalls als die bei ihrer Moral gepackten
Untertanen. Er liegt weniger in materiellen Bereichen als viel-
mehr in den hohen Sphären der
Verantwortung
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für das Geschehen auf der Welt, die die Staatsmänner mit ihren
Weltwirtschaftsgipfeln und Rüstungskonferenzen sich praktisch
nicht nehmen lassen - wo es aber ums auswärtige Elend und Verhun-
gern geht, da darf und soll sich, ganz demokratisch, jedermann
eine höchstpersönliche Zuständigkeit e i n b i l d e n. Verant-
wortlich fühlen sollen sich die Leute, die an den heuchlerisch
beklagten Zuständen in der 'Dritten Welt' höchstens in dem einen
Sinne 'schuldig' geworden sind: darin, daß sie sich, zu ihrem ei-
genen Nachteil, dafür hergeben, für den ausgreifenden Reichtum
und die globale Macht ihrer Nation die loyale B a s i s abzuge-
ben.
Entsprechend ideell wird diese eingebildete Verantwortlichkeit
denn auch praktiziert - von Idealisten, die durch die auswärtigen
Glanzleistungen von Ausbeutung und Gewalt ihren Glauben, um so
mehr käme es auf deren moralisches Gegenstück, auf Almosen und
Fürsorglichkeit an, nicht widerlegt, sondern gestärkt, weil
"gefordert" finden. 'Dritte-Welt'-Komitees, Evangelische und Ka-
tholische Studentengemeinden, wohlmeinende Moralisten einer bes-
seren Weltordnung und beunruhigte Basisdemokraten vereinen sich
da in einem Geist, der Bittschriften an die "unaufmerksame" ei-
gene Obrigkeit richtet und ihr deren angeblich bessere Prinzipien
und höhere Werte demonstrativ vorlebt - statt sich g e g e n
die w i r k l i c h g ü l t i g e n Prinzipien der Weltpolitik
zu wenden. Mit milden Gaben und Kulturpflege, mit Empörung und
Gesang lassen sie den exotischen Opfern ausgerechnet den ideellen
Lohn zukommen, der die verheerenden Wirkungen von Geschäft und
Diplomatie so menschlich e r g ä n z t: ihre Wertschätzung als
durchaus lebenswertes, originelles Volk, das gerade in Hunger und
Not seine unverwüstliche Eigenart erweist und sich eigentlich
einen anerkannten Platz im öffentlichen Bewußtsein der hauptzu-
ständigen Nationen verdient hat. D a f ü r sind eine Tasse Al-
ternativkaffee, eine Jutetasche und dergleichen Utensilien des
Gewissens, die in 'Dritte-Welt'-Läden feilgeboten werden, tat-
sächlich die angemessenen Mittel. Wer sie zur Kenntnis nehmen
will, könnte daran die schädliche Dialektik der Moral des
Mitleids bemerken: Die Unzufriedenheit über die gesell-
schaftlichen Zustände geht mehr oder weniger billig über in die
Zufriedenheit über das eigene Engagement. Das politische Gewissen
des "mündigen Bürgers" verschafft sich mit seinem Betätigungsfeld
die Beruhigung, sich über die Wirkungen der imperialistischen
Staatenordnung nicht zu beruhigen. Den wirklich Verantwortlichen
hält man beständig das Ideal einer besseren Welt entgegen und
macht doch noch nicht mal dieses Wunschbild g e g e n sie
geltend, sondern nur f ü r s i c h und seinesgleichen: als
Aufruf zur Wahrnehmung der eigenen Verantwortlichkeit.
U n v e r s ö h n l i c h ist diese Haltung nur den paar Leuten
gegenüber, die die Frage aufzuwerfen wagen, wem mit dieser Tour
eigentlich gedient sei. D e n e n wird mit einem Nachdruck, den
Politiker sich kaum je gefallen lassen müssen, der Vorwurf entge-
gengeschleudert, sie stellten sich z y n i s c h zum Elend der
Welt. - Und eines ist ja in der Tat wahr: E h r e n w e r t e r
ist es schon, sich verantwortungsgeschwellt zum ideellen Anwalt
all der Werte zu machen, mit denen die wirkliche Politik mit ih-
rer wirklichen "Verantwortung" für das Weltgeschehen so bitter
ernst macht.
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